Hauptbild
Jazz hält jung: Bunky Green bei JazzBaltica 2009. Foto: Ssirus W. Pakzad
Jazz hält jung: Bunky Green bei JazzBaltica 2009. Foto: Ssirus W. Pakzad
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Asteroidenschauer in der Scheune – Eindrücke vom JazzBaltica Festival 2009

Publikationsdatum
Body

Musik hält jung. Als der Pianist Hank Jones Anfang Juli beim JazzBaltica Festival in Salzau auftrat, stand er kurz vor Vollendung seines 91. Lebensjahrs; der Saxofonist James Moody hat die 84 bereits überschritten und von seinem Instrumentenkollegen Bunky Green sagt man, dass das offiziell angegebene Lebensalter von 73 ein wenig geschönt sei.

Diese drei betagten Herren jedenfalls zeigten in ihren Konzerten, dass Lebensweisheit und jugendlich anmutende instrumentale Elastizität kein Widerspruch sein müssen, dass man sich auch als Veteran, als Legende fast kindliche Neugier bewahren kann.

Als JazzBaltica, das aus einer Initiative verschiedenerer Ostseeanrainerstaaten hervorging, vor 19 Jahren die Premiere feierte, hatte man sich dreißig Kilometer vor den Toren Kiels, im Grünen, der Zelebrierung des Jazz aus dem baltischen Kulturraum verschrieben. Heute spielt diese ursprüngliche Idee eine eher untergeordnete Rolle. Viel mehr ist das Festival zu einer Begegnung der Generationen geworden – fast alle Altersklassen sind präsent. Von den jüngeren Musikern, die sich bei der hochfamiliären Veranstaltung im Ländlichen präsentierten, hinterließen viele einen bleibenden Eindruck.

Der in New York lebende puertoricanische Altsaxofonist und Komponist Miguel Zenón hat kürzlich den mit $ 500.000 dotierten MacArthur Award erhalten und wer ihn in Salzau gehört hat, weiß auch warum. Nicht nur ist dieser sympathische Glatzkopf am Instrument ein Stilist von Rang, auch als Konzeptionalist und Tonsetzer zeigt er eine einsame Klasse. Viele der Anwesenden (darunter etliche Kollegen) schüttelten bei seinem an Intensität kaum steigerbaren Auftritt nur fassungslos den Kopf. Bei dem mit einer minutenlangen standing ovation bedachten Konzert präsentierte Zenón eine charakterstarke Musik, die Verweise auf die reiche Folklore seiner Heimat mit dem Besten verband, was Jazz zu bieten hat. Hochkomplexe Strukturen, die sein Quartett mit beispielloser Lockerheit darbot, durchsetzt der 32jährige mit unwiderstehlichen Melodien, würzt sie mit Akzenten, die er und seine drei umwerfenden Mitstreiter auf traditionellen Rahmentrommeln einstreuen.

Auch nicht von schlechten Eltern war das, was die Gebrüder Rodriguez (Trompeter Michael und Pianist Robert) in der kleinen Konzertscheune aufboten: Jazz, der sich mit dem musikalischen Erbe dieser in New York geborenen Kubaner einließ – stolz, elegant, feurig, beseelt.

Für wirklich Eingeweihte, für Insider, hat das JazzBaltica Festival eigentlich wenig zu bieten. Wer aber kannte vor diesem Jahrgang den kolumbianischen Harfenisten Edmar Castaneda? Der war mit seinen Klängen weit entfernt von den Glissandi und zarten Arpeggien, die man in klassischen Konzerten oder in den Teesalons englischer Nobel-Hotels hört. Der kleine Mann langte so virtuos, so inbrünstig in die Saiten, dass einem Angst und Bange wurde. Er eint südamerikanisches Feuer mit dem Drive des nordamerikanischen Jazz. Und er hatte einen sensationellen Posaunisten dabei – Marshall Gilkes, einen Mann von beachtlicher Wendigkeit.

In der großen Musikscheune gingen während des Festivals eines Abends Asteroidenschauer nieder. Der Saxofonist und Komponist Daniel Glatzel (ein Münchner in Berlin) hatte sie mit seinem galaktischen, 20-köpfigen Andromeda Mega Express Orchestra ausgelöst. Er jagte Elemente aus der Klassik, dem Jazz, der Neuen Musik, Rock oder Lounge durch den Kosmos – der Trip ins All war so furios, dass am Ende des Konzerts alle Zuhörer von ihren Sitzen sprangen.

Das Andromeda Mega Express Orchestra war Teil des einzigen Schwerpunkts, den sich das finanziell etwas gebeutelte JazzBaltica leisten konnte: er war „Big Band Battle“ überschrieben und zeigte auf, was sich mit personeller Stärke musikalisch alles gestalten lässt. Nur Steve Swallow mit der Bohuslän Bigband aus Schweden blieb reichlich blass. Das Vanguard Jazz Orchestra zeigte hingegen prächtigen Großensemble-Sound alter Schule mit modernen Ansätzen, die bei der großartigen Komponistin und Dirigentin Maria Schneider noch präsenter waren. Sie leitete die NDR Bigband und präsentierte einen Sound, den man unzweifelhaft ihr zuordnen kann. Auch die Jazz Bigband Graz konnte punkten – mit einem Klangspektakel, das ungeahnte Stimmungsbilder offerierte und das Publikum in die Weiten der Fantasie mitnahm.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!