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Protest in Donaueschingen außerhalb des Konzertsaals. Foto: Felix Basche
Protest in Donaueschingen außerhalb des Konzertsaals. Foto: Felix Basche
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Avantgardistischer Marathon – Orchestergruppen und Großformen dominierten die Donaueschinger Musiktage 2013

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Im letzten Jahr sorgte Johannes Kreidler für einen Eklat beim Eröffnungskonzert der Donaueschinger Musiktage, als er – gegen die Fusion der SWR-Sinfonieorchester protestierend – eine Geige und ein Cello zusammenband, zerstörte und befand: ein solches fusioniertes Instrument sei nicht spielbar. Im Festivaljahrgang 2013 ging die Kritik gegen die kulturpolitischen Sparzwänge etwas weniger destruktiv weiter: Mit knallgelben Solidaritäts-Buttons und einem Protestmarsch konnten sich geneigte Festivalbesucher aktionistisch mit den existenzbedrohten Musikern des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg verbünden, während die Solidarität im Museum Biedermann eher symbolisch bekundet wurde: Ein prächtig gedeihendes Beet aus Klee hatte man dort gehegt und gepflegt, nun ließ man es ausdörren. In einer weiteren Installation wurde jede baden-württembergische Musikhochschule mit einer Stimmgabel versehen, an der sich Besucher mit einer Feile zu schaffen machen konnten. Am ärgsten angekratzt war die Trossinger Gabel, der kaum mehr ein Ton zu entlocken war.

Musikästhetisch regierte beim Festivaljahrgang 2013 die ältere Komponistengeneration, die einen besonderen Hang zur Gruppendynamik offenbarte. Gleich vier Uraufführungen arbeiteten mit Orchestergruppen, wirklich überzeugen konnte nur Philippe Manoury, der das Orchester im gesamten Saal verteilte und mit seinem Gespür für Instrumentationskunst nicht nur Raum für wunderbar wandernde Klänge, sondern auch den Orchesterpreis schuf. Etwas zu viel hatte sich am zweiten Tag Raphaël Cendo für seine opulente Menschheitsgeschichte Registre des lumières vorgenommen, welche die SWR-Vokalsolisten von links und rechts sowie das Ensemble musikFabrik von vorne beschworen, eingehüllt von allen Seiten durch elektronische Universalität. Beim Eröffnungskonzert wurde gar eine gruppendynamische Quote von 100% erreicht. War Walter Zimmermanns Suave Mari Magna für sechs Orchestergruppen von – je nach Geschmack – zäher oder zerbrechlicher Sprödheit, setzte Bernhard Lang dem Publikum in seiner Monadologie VIII für zwei im Vierteltonabstand gestimmte und an den Kopfseiten des Saales positionierte Orchester einen „virtuellen Kopfhörer“ auf. Diese Fusion der mikrotonalen Art und das so geteilte SWR-Orchester ließen sich auch als ästhetische Reaktion auf die Fusionierungszwänge der Kulturpolitik deuten.

Großformen antizyklisch

Deren Tendenzen stehen dem von Festivalleiter Armin Köhler apostrophierten Schwerpunkt auf musikalische Großformen antizyklisch gegenüber. Nicht nur mit Blick auf die gegenwärtige Entwicklung der menschlichen Aufmerksamkeit, die allgemeine Betonung von avantgardistischen Kurzformen ist letzten Endes ein musikpolitischer und -soziologischer Faktor, wie Bernhard Lang es auf den Punkt brachte: „Im Kontext der Einzwängung von neuen Stücken in klassische Programme, die laut Auftraggeber nicht länger als zehn Minuten sein sollen, kann man wirklich von einem ein Vorgang des Ausgrenzens und An-den-Rand-Drängens“ sprechen.

Auch deshalb haben Kompositionen wie Enno Poppes fast eineinhalbstündiger Zyklus Speicher I-VI einen Reiz, der dem eines Marathonlaufs gleicht: Nach zähem Beginn konnte man mittels Durchhaltevermögen einen beglückenden „Runners Point“ erlangen, bis die Beine respektive das Hören auf den letzten Streckenmetern doch arg schwer wurden. Bei aller Lobhudelei, ist die musikalische Großform doch nicht der einleuchtendste Ausdruck der Neuen Musik, die eher lyrischer denn prosaisch angelegt ist: sie chiffriert, reduziert und fragmentiert und erreicht so auch ohne zeitliche Ausdehnung großformatige Dichte.

Mit 65 Minuten waren Georges Aperghis‘ Situations nicht nur schneller als Poppe, sondern der Franzose hatte die Nase auch laut Applausmessung vorne. Auf der anderen Seite der Skala ging Bruno Mantovani mit seiner Kantate Nr. 3 immerhin als Sieger in der Kategorie Buhrufe hervor. In der Bandbreite seiner Reaktionen bewies das Donaueschinger Publikum seinen differenzierten Geschmack. Denn anders als Mantovanis letztlich biedere Vertonung von Schiller-Texten, verwies Aperghis‘ absurdes, von stilsicher ausgewählten Decken- und Stehlampen warm ausgeleuchtetes Kammerspiel, unaufdringlich auf die szenische und gestische Seite der Neuen Musik.

Klangkunst, Installationen und der Jazz

Trotz erlauchter Fachkenntnis, offenbart das Donaueschinger Publikum immer wieder auch an Blasiertheit grenzende Hörgewohnheiten. So werden Klangkunst, Installationen und der Jazz in der Regel eher nebenbei mitgenommen, wenn nicht ausgelassen. Das war – zumindest in diesem Jahr – ein Fehler. Explizit und unterhaltsam wurde die performativen Tendenzen der Avantgarde in der Ringlandschaft mit Bierstrom betont, wie Georg Nussbaumer sein mit 16 Stunden durchaus großformatiges Wagner-Areal in der Fürstenberg’schen Brauerei nannte. Szenen, Motive und Versatzstücke aus der Wagnerschen Mottenkiste wurden in Pop-Art-Manier behandelt und der aktionistischen Vorliebe des Publikums anheimgegeben: Wassertonnen gaben das Original nur für den Preis eines nassen Kopfes frei, Videosequenzen und archaische Requisiten animierten die frei herumstreunenden Besucher ebenso wie das stündlich ausgeschenkte Bier, das „wie Wagner und seine Wälder und Flüsse ein deutsches Leitmotiv“ sei.

Von performativer Kraft war auch die Nummer I hear a smell der SWR2 NOWJazz Session, in der das Tobias Delius Quartett von einer Köchin komplettiert wurde, die den Klängen ungewohnte Duftnoten beisteuerte und damit das inflationäre Feld von Koch-Shows um eine hochkulturelle Variante bereicherte und auch ein wenig an John Cages Water Music erinnerte. Von einem kleinen Paradigmenwechsel zugunsten des Jazz zeugte die Vorverlegung der Jazzsession auf die prominente Konzertzeit am Samstag um 20:00 Uhr. Tatsächlich aber kann das Feuerwerk, das die Stimmkünstlerin Shelley Hirsch abfeuerte, kaum noch als Jazz bezeichnet werden. Begleitet von der „Hardcore Chambermusic“ der Schweizer Kombo Koch/Schütz/Studer, entzog sich Hirschs hochvirtuose und progressive Sprachkunst jeglicher einordnenden Kategorisierung in gängige Kriterien und erntete polarisierende Reaktionen, die von entrüstetem Türknallen bis hin zu Begeisterungsstürmen reichte. Emotionen wie diese sind selten geworden und lassen doch Erinnerungen an die provozierende Sturm- und Drangzeitzeugen der Nachkriegsavantgarde wach werden. Ähnliche mit Heiterkeit gepaarte Entrüstung kann man auf den Aufnahmen von John Cages Europapremiere in Donaueschingen nachhören, die sich 2014 zum 60. Mal jähren wird.


Videoblog-Eintrag von nmzMedia zum Sonntag:

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