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Verdis "La forza del destino" in Antwerpen. Foto: Vlaamse Opera / Annemie Augustijns
Verdis "La forza del destino" in Antwerpen. Foto: Vlaamse Opera / Annemie Augustijns
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Bedingungsloser Grundgehalt: Michael Thalheimer inszeniert Verdis „La forza del destino“ in Antwerpen

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Für die einen ist Giuseppe Verdis „Macht des Schicksals“ das musikalische Kraftwerk der Gefühle schlechthin, andere halten es für ein dramatisch missratenes Machwerk. Da diese 1862 in St. Petersburg uraufgeführte Oper sich aber so fortdauernd unverdrossener Beliebtheit erfreut, will sie nicht nur virtuos gesungen werden, sondern auch in Szene gesetzt sein. Der Braunschweiger GMD Alexander Joel ist nun für den musikalischen Part der neuen Produktion an de vlaamse opera verantwortlich (in Antwerpen wird die Petersburger Originalversion gespielt). Die Regie wurde in Flandern Michael Thalheimer anvertraut, der im Hamburger und Berliner Sprechtheater durch extremen Zugriff auf die Texte Aufsehen erregte.

Michael Thalheimer wird als Regisseur gerühmt, der die von ihm in Arbeit genommenen Stücke jeweils „auf den Grundgehalt reduziert“. Dies zu vollstrecken, war wohl auch bei der „Macht des Schicksals“ an de vlaamse opera der Wunsch. Und tatsächlich zeigt Thalheimer den folgenschweren Leichtsinn im Umgang mit einer Schusswaffe, auf die das erste Tableau hinausläuft, mit einer leeren, nach hinten ansteigenden Fläche, die von einem Laufgraben umgeben ist. Aus der linken Vertiefung tritt, im weißen Nachthemd, die spanische Grandentochter Leonora mitsamt ihrer Hausdame, aus der rechten kommen die Männer. Erst der Vater, dann der aus Lateinamerika stammende Liebhaber.

Der Mulatte Don Alvaro, Sohn eines Vizekönigs und einer Inka-Prinzessin, wird beim nächtlichen Besuch bei Leonora ‚gestellt’. Den im christlichen Mittelalter fälligen Zweikampf aber vermeidet er. Beim Wegwerfen der Pistole löst sich unversehens ein Schuss, der den Vater tödlich trifft – im Sterben hat der Alte Herr nichts Besseres zu tun, als die Tochter zu verfluchen.

Der Rest der Handlung, die sich in knappen Konturen zwischen den ausladenden Arien und Duetten abzeichnet, ist Flucht und Vertreibung bzw. Verfolgungsjagd und beabsichtigte Blutrache als angeblich höherer Lebenszweck des Bruders von Leonora, Don Carlo. Dem rettet, als er inkognito in Italien kämpft, der ebenfalls unter Pseudonym dorthin ausgewichene Alvaro das Leben. Die beiden schließen Blutsbrüderschaft. Das Bündnis aber geht wg. Neugier in Brüche und die Mechanik von Rache, Tod und Verderben gibt der Geschichte und deren Protagonisten den Rest. Für all das hat Thalheimer am Ende des ersten Akts ein im hinteren Graben lauerndes Rudel Statisten Stühle auf die Bühne schieben und werfen lassen, von denen aus die Choristen dann des Weiteren vorzügliche Arbeit leisten.

Der Regisseur hat die Handlung auf eine Chorprobensituation reduziert, was in den letzten Jahrzehnten des Regietheaters bereits verschiedentlich zu sehen war – am markantesten bei der Realisierung von Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ durch George Tabori und Gottfried Pilz  1994 in Leipzig. Die Choristen bilden die Mönchsgemeinschaft für das Kloster, in dem Leonora, getrieben von der Dramatik ihrer eigentlich deplazierten Schuldgefühle, Zuflucht sucht und vor dem im Hintergrund dräuenden riesigen schrägen Symbol der christlichen Religion zu Kreuze kriecht (und man wird durch die  neuerlich Gewahr, dass Schuldgefühle Rechtfertigung in juristischem Sinn fragen). Die Choristen symbolisieren in blutbefleckten weißen Hemden die Helden des italienischen Schlachtfelds. Sie legen sich zu Beginn des letzten Akts nieder und stellen sich, offensichtlich aus Empathie mit den drei überlebenden Protagonisten, tot. Die schlichte holzschnittartige „Erzählweise“ von Thalheimers Inszenierung abstrahiert in Fortsetzung der in Francesco Piaves Libretto gegenüber Saavedras Dramen-Vorlage angelegten Tendenz noch weitergehend vom christlichen Mittelalter und vom rassistisch konnotierten Anfangskonflikt. Damit sollen die nochmals vergrößerten Gefühle der Bezugspersonen am allerdrastischsten freigespielt werden.

Das zu leisten, ist und bleibt primär Sache der Musik, die zwingend allen Operninszenierungen Takt und Rhythmus vorgibt. Die neue Verdi-Produktion der Flämischen Oper entwickelt von Anfang an Drive und Kraft. Alexander Joel hat das Orchester in Antwerpen sicher im Griff und fordert ihm Allegro-Brillanz und ausmusizierte elegisch-„schöne Stellen“ ab. Im Vergleich zu Repertoire-Vorstellung von „Forza del destino“ in Metropolen wie Paris und Wien braucht sich die im Nordwesten Belgiens nicht zu verstecken. Gewisse Einwände ergeben sich angesichts der weithin sehr hoch ausgesteuerten Gesangspartien. Cathrine Naglstad gibt eine Leonora, die immer wieder viel Willen in die Stimme legt. Setzt sie ihr vorzügliches Material zurückhaltender ein, erreicht sie große Intensität.Da Vladimir Stoyanov als Latino- Lover, der nicht zum Zug kommt, seine Stimme als Mittelstreckenwaffe einsetzt, wirkt der etwas raubeinige Mikhail Agafonov als rachsüchtiger Carlo am vorteilhaftesten. Aber das ist ja auf dem Theater in der Regel so: dass die Bösewichter am besten abschneiden.

Musiktheater und Sprechtheater funktionieren nicht nur nach anderen Zeitgesetzen, sondern auch nach unterschiedlichen Mustern des Verstehens und der Gefühlsvermittlung. Obwohl Michael Thalheimer die Mechanismen, mit denen er für gewöhnlich zu Werke geht, nicht auf die Oper übertragen kann, ist ihm eine konzise Inszenierung mit einiger Sogkraft gelungen – ganz im Dienst einer solide aufgestellten musikalischen Energieversorgung.

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