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LA SONNAMBULA. Arthur Espiritu als Elvino, Jennifer O'Loughlin als Amina. Foto: © Thomas Dashuber
LA SONNAMBULA. Arthur Espiritu als Elvino, Jennifer O'Loughlin als Amina. Foto: © Thomas Dashuber
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Belcanto als „Utopie zurück“ – Münchens Gärtnerplatztheater mit Bellinis „La Sonnambula“

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Soll ein Theater Vincenzo Bellinis elegisch schöne „melodie lunghe lunghe lunghe“ (so Giuseppe Verdi über die „unendlichen Melodien“ des früh verstorbenen Kollegen) spielen, wenn keine Callas, Sutherland, Anderson, Aliberti oder Gruberova für die Koloratur-Girlanden der Schlafwandlerin zu Verfügung steht? Das immer noch heimatlose Münchener Staatstheater am Gärtnerplatz wagte sich ins Prinzregententheater und bewies: Ja doch!

Mehr noch: Das gesamte Niveau des Abends bewies, dass das „Gärtnerplatz“ nicht Münchens „zweite“ Oper, sondern „Münchens andere Oper“ ist. Nach einer kurzen „Einschwingphase“ spann Jennifer O’Loughlin als Amina die schwärmerische Traumseligkeit über die kurz bevorstehende Hochzeit in mal zarten, mal strahlenden Vokalbögen aus, dass glaubhaft wurde: da lebt und liebt eine nicht so ganz in der Realität. Und die „dolcezza“, die der philipino-amerikanische Tenor Arthur Espiritu als Elvino dann nach wenigen Phrasen verströmte, machte das noch mehr verständlich. In beider Zusammenklang gab es speziell in den Dacapo-Teilen ihrer Duette erst die Zurücknahme in feine mezza-voce-Partien, die dann zu glühen begannen und sich in unforcierten Attacken zum leuchtenden Gefühlsausbruch steigerten. Da waren Fiorituren und Koloraturen keine gekünstelten Verzierungen, sondern das klangglitzernde Aufschäumen von Emotionen und Exaltationen überschwänglicher Seelen. So reihten sich im Verlauf der Handlung um die vermeintliche Untreue Aminas – sie schlafwandelt in ein vom Grafen angemietetes Gästezimmer, wird dort entdeckt, von Elvino als Braut zurückgewiesen und erst durch einen von allen beobachteten erneuten „Traum-Gang“ entschuldigt und glücklich vereint – so reihte sich dies zu Momenten klassischen Belcanto-Gesangsglücks, in dem utopisch schön aufleuchtete, was wir alles verloren haben: Eleganz, Formvollendung, Harmonie, Feinsinn, Zartheit und Anmut. Das waren auch im Uraufführungsjahr 1831 – speziell im gesellschaftspolitisch zerrissenen Italien, aber auch durch die sozialrevolutionären Umbrüche von 1830 und 1848 in Europa – für den Großteil der Opernbesucher utopische Werte. Doch dem kulturell mitdenkenden Musiktheaterfreund wird auch klar: das scheinen 2015 gar keine Werte mehr zu sein.

Dass sich diese Gedanken einstellten, ist der szenischen Realisierung des Teams um Regisseur Michael Sturminger zu danken. Die filmisch wirkenden Videos von Meike Ebert und Raphael Kurig führten auf mal transparenten, mal leinwandartigen Hängern zurück in eine utopisch wirkende, ländliche Idylle des Uraufführungsjahres. Ein sich mal in den Vordergrund schiebender, mal nur Hintergrundfassade bildender offener Raumkasten verstärkte die „Traum-Realität“ von historisierenden Kostümen, Gesten und Verhaltensweisen (Bühne und Kostüme: Andreas Donhauser und Renate Martin). Auch Heikles wie die „Probe“ einer Verzeihensbitte der Dorfbewohner im Wald wurde in Michael Heidingers Lichtzauber und durch die Projektionen zu visuellem Zauber. Als dann noch zur Erklärung der Schlafwandelei Aminas durch den Grafen ihr Bett aus einen Sternenhimmel auf dem Dachfirst des Raumes landet, Amina traumsicher gratwandert, dann über die von den Dörflern besorgt liebevoll aufgetürmten Tische stufenweise in die Realität zurückfindet, schließlich vor Liebesfreude im Hochzeitskleid auf eben diesen Tischen ihrem Glück entgegentanzt – da war Musiktheater als utopischer Entwurf, wie die Welt sein könnte und sollte, geglückt. Jubel für den differenziert mitagierenden und klangschön tönenden Chor in Felix Meybiers Einstudierung; Gelächter und Jubel für die biestig eifersüchtige Rivalin Lisa von Maria Nazarova, die ihr Hochzeitsklaid raffte und mit einem Strumpfband verlockend aufpeppte; gelungene Nebenrollen-Porträts von Ziehmutter, Nebenbuhler und Notar. Wenn in den Folgeaufführungen Dirigent Marco Comin ein bisschen mehr pfiffigen Feinsinn zum Klingen bringt und Maxim Kuzmin dem Grafen etwas mehr baritonale Grandezza verleiht, dann blitzt in München brillantes Belcanto-Glück.

Termine und Beschreibung des Theaters

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