Alte Regie-Hasen wie Peter Konwitschny, junge Szenen-Aufsteiger wie Nikolaus Habjan oder Martin G. Berger, neues Musiktheater und Entdeckungen wie die vom Januar auf den 13. Mai 2021 verschobene Premiere von „Frédégonde“ zum 100. Todestag von Camille Saint-Saëns mischen das Dortmunder Operngeschehen unter Heribert Germeshausen ordentlich auf. Im zweiten Lockdown reüssiert das Opernhaus mit einer filmischen Hymne auf die Kooperationskraft urbaner Musikenergien: Am 16. Januar hatte der 20-minütige Experimentierfilm „Sounds of Dortmund“ von Houssie Shirin und Alvaro Schoeck seine Stream-Uraufführung.
Wegen der Pandemie wurde die performative Soundcollage „Sounds of Dortmund“ aus der Spielzeit 2019/20 zu einem Film als Ersatz für das vorerst entfallende Stadtprojekt „SoundTram 21“ unter der Leitung von Sigune von Osten. Die Stream-Uraufführung des Experimentalfilms war vom 16. zum 17. Januar 2021 (www.tdo.li/soundsofdo). Die physische Leinwand-Premiere soll am 17. April im Opernhaus Dortmund folgen, darauf sind Vorführungen mit musikalischem Rahmenprogramm bei einigen beteiligten Veranstaltungsorten geplant.
In zehn Monaten Reserve- und Alternativen-Management wegen Corona haben sich Stream- und Video-Genres der geförderten Theater etabliert. Neben mehr oder weniger heftigen Schrumpfungen von Ursprungskonzepten, Präsentationshäppchen, virtuellen Theaterrundgängen und Imitaten televisueller Unterhaltungsformate à la „Kochen mit...“ ist dieser Film tatsächlich etwas anderes als der digitale Aufschrei „Vergesst uns nicht!“ oder das ebenfalls gern trompetete „Wir sind für euch da!“. Mitglieder des Dortmunder Opernensembles agieren nicht für, sondern mit Rappern, Laienmusikern, Ballettschülerinnen und anderen urbanen Musikakteuren. Selbst wenn das Opernhaus an der Kuhstraße aus der Vogelperspektive und Aufnahmen vom Theaterplatz das Herz des Filmes bilden, erhebt die Visualisierung nie Führungsansprüche von der Schlagseite eines hochkulturellen Primatentums: Die Oper ist einer von vielen Akteuren, aber nicht deren Alpha- Primadonna.
„Sounds of Dortmund“ kommt ohne Dialoge und Service-Devotionalien aus. Die Texte von „Too Strong“ sind pessimistisch, meinen aber den sozialen Progress generell und nicht den Corona-Blues. Wenn die Sopranistin Sooyeon Lee „Der Hölle Rache“ aus der „Zauberflöte“ über Beats singt, bekommt Mozart etwas vom Geruch der Straße. Das strophisch wiederholte zweite Thema erhält ein subtil variiertes Arrangement und Audio Design. Diese engagierte Lässigkeit macht Freude. Danach schafft es Richard Rodgers' „You᾽ll Never Walk Alone“ aus „Carousel“ zu einer gegenüber dem Original recht bescheidenen Hymnik. Einzeln stehen die Solisten im Westfalenstadion und anderen Orten der Stadt. Musical-Happiness wie weggeblasen, Gehalt der Melodie haut trotzvoll rein.
Man muss schon etwas zurückdenken, um auf mit „Sounds of Dortmund“ Vergleichbares zu stoßen. Kein Weg führt dann vorbei an Wim Wenders, den zumindest Houssie Shirin, die Autorin des Dokumentarfilms „Am Rande von Dortmund“ (2017) und Produktionsdramaturgin des Projekts, nur zu gut kennen müsste. Wer denkt in der bunten digitalen Welt bei einem neuen Film an „Himmel über Berlin“? Aus Perspektive der Engel ist die irdische Sphäre schwarzweiß. Wie sich Ballettschülerinnen und Opernsänger an den für ihre Künste ungewohnten Orten bewegen, ähnelt mit seiner emotionalen Körperlichkeit jenen Szenen aus Wenders‘ „Pina“, in denen das gereifte Ensemble des Tanztheaters Wuppertal einsam, zweisam und grüppchenweise in die urbanen Räume unter der Schwebebahn ausschwärmt.
„Songs for a New World“ verheißt ein Transparent über dem Haupteingang des Opernhauses Dortmund, während über den Vorplatz eine Skater-Herde weniger wütet, als in erträglich wohliger Schnelligkeit dahin saust. Wie dieser Film die gesellschaftliche Mitte zeigt, ist diese erfreuend weit und breit. Das Schwarzweiß macht aus der bunten vielfältigen eine unifarbene Welt mit geebneten Kontrasten. Auch dahingehend, dass alle mit innerer Beseelung musizieren, rappen, singen und endlich mal nicht zum merkantilen Grimassieren genötigt wurden.
Ein Anti-Image-Film im besten Sinn: Die Ruhr-Großstadt sieht man in langen Kamerafahrten und Schwenks. Riesige Rohre, gepflasterte Passagen und viel Ambiente mit Gebrauchsspuren. Die Sounds favorisieren ein sympathisch mittleres Tempo. Das nimmt den Versen etwas Schärfe und dem Streifen, der eher einem harmonischen Spiegel ähnelt als einer Verkaufsveranstaltung, die turbulente Euphorie. Anders als bei vielen Theatertrailern kitzelt diese beschwingte Realisierung echte Neugier frei. Demzufolge ist neben den „20 Shots of Opera“ der Irish National Opera und der Filmadaption von „Chaosmos“, einer Gemeinschaftsarbeit der Opernensembles von Bremen, Halle und Wuppertal, bisher einer der geistreichsten und feinsten musiktheatralen Muntermacher im Lockdown-Januar.
- SOUNDS OF DORTMUND - Konzept und Idee: Houssie Shirin, Alvaro Schoeck - Leitung Filmcrew: Eduard Starcic – Kamera: Eduard Starcic & Jakob Gehrmann - Akkordeon-Orchester Recklinghausen e.V. - Bezirkszupforchester Dortmund - Café Global – Dassiragi - der andere chor herdecke - Felix Riedel, Trompete - Freya Deiting, Violine - Glen Buschmann Jazz Akademie Dortmund, GBJA Big Band & Ensembles - Günther Holtmann, E-Gitarre – IndiRekt – Beatboxing- Instrumentalverein Dortmund - Kinderballett Barbara Richter - Mel Maroon – Pung-Mul-Ban - Richard Ortmann, Industriesounds - Skateboardinitiative Dortmund e.V. - Sektundselters - Theater Dortmund / Ensemble Oper Dortmund, Ensemble Junge Oper Dortmund, Mitglieder der Dortmunder Philharmoniker - Too Strong „Der Kurs ist vorherbestimmt“. Gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit dem NRW KULTUR Sekretariat