Man könnte den Eindruck gewinnen, die Regie führt hier das Bühnebild. Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ hatte am Theater Basel Premiere. Die Sänger*innen bringen aber manchmal Humor und Leichtigkeit in die doch etwas strenge Inszenierung von Barbara Frey, findet unser Kritiker Georg Rudiger.
Bühnenbilder*innen können Milieus zeigen und soziale Unterschiede vor Augen führen. Sie können eine bestimmte Epoche entstehen lassen oder nur abstrakte, zeitlose Räume entwerfen, die Weite schaffen oder Enge, Behaglichkeit oder Bedrohung. Das Zimmer, das Susanna und Figaro in Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Le Nozze di Figaro“ vom Grafen Almaviva zugewiesen bekommt, ist noch nicht möbliert. Nur eine in unterschiedlichen Grüntönen gehaltene Tapete mit barockem floralem Muster ziert die Wände. Als Susanna von ihrem Dienstherrn singt, taucht der Graf im Hintergrund kurz auf. Ein Lichtwechsel – und die Zimmerwand erweist als durchsichtiger Vorhang, der den Blick in einen weiteren Raum frei gibt. Bettina Meyers raffiniertes Einheitsbühnenbild offenbart sich erst nach und nach.
Die sich in Zentralperspektive verjüngenden Portale ermöglichen dem Zuschauer den Blick in die Tiefe. Ein Tunnel, der zum Labyrinth für die Figuren wird. Die Hierarchie ist hier aufgehoben. Die Figuren begegnen sich auf Augenhöhe – der soziale Stand spielt keine Rolle. Die in der Oper ständig wechselnden Dominanzverhältnisse und Gefühlszustände können so auch visuell von der Regisseurin ganz analytisch gezeigt werden, wenn sich beispielsweise zu Beginn des zweiten Aktes die Einsamkeit der Gräfin in dem weiten Raum zeigt, der sich hinter Oksana Sekerina in ihrer Arie „Porgi amor“, im langen blauen Kleid (Kostüme: Bettina Walter) am Boden sitzend, öffnet. Aber auch die Position des Grafen ganz am Ende des Tunnels zu Beginn des dritten Aktes zeigt, wie klein dieser mächtige Mann doch erscheinen kann.
Nur manchmal geht die Leichtigkeit verloren und der Raum erscheint als steriles Labor, der die Figuren grundlos alleine lässt. Andrew Murphys erster Auftritt als Bartolo ist solch ein Fall. Hier erdrückt die Leere. Auch musikalisch funktioniert die Szene nicht, weil der Bariton eilt und Dirigent Christian Curnyn nicht darauf reagiert. Wie überhaupt der musikalische Leiter den gesamten Premierenabend über seinen Kopf vor allem in der Partitur hat, was immer wieder zu kleineren Koordinationsproblemen zwischen Orchester, Solisten und Chor führt, zumal fast keine Einsätze gegeben werden. Dafür schlägt Curnyn stimmige Tempi an – auch der musikalische Fluss wird vom Briten aufs Beste gewährleistet. Das mit Naturtrompeten, Naturhörnern und klassischen Streicherbögen spielende Sinfonieorchester Basel setzt in farbigen Bläsersoli Akzente und sorgt für eine transparente, sprechende Interpretation, die eine inspirierte Grundlage bildet für das exquisite Solistenensemble.
Thomas Lehman ist mit seinem wunderbar strömenden, weichen Bariton ein gewinnender Graf Almaviva mit durchaus vielschichtiger Persönlichkeit. Die Gräfin gibt Oksana Sekerina als zutiefst verletzte Frau, deren Schmerz in der Arie „Dove sono i bei momenti“ in der Höhe durchaus Schärfen und auch leichte Intonationstrübungen erhält. Sarah Brady ist eine enorm selbstbewusste Susanne mit Beweglichkeit und großem Atem, die ihrem Figaro (mit viel Fundament und Präsenz: Antoin Herrera-Lopez Kessel) auch mal die Leviten liest. Die Figur des Cherubino legt Regisseurin Barbara Frey, die ab November 2020 die Ruhrtriennale leiten wird, zwischen den Geschlechtern an – „genderfluid“ nennt sie die Charakterisierung im Programmheft. Kristina Stanek ist mit ihrem betörenden Sopran nicht nur eine charmante Verführerin, sondern bringt auch Humor und Leichtigkeit in die manches Mal doch etwas strenge Inszenierung, wenn sie der Gräfin immer wieder schmachtend ins Dekolleté blickt oder in einem der Gräben zwischen den Portalen die Szenerie beobachtet. Um diesen neugierigen Cherubino zu verstecken, wirft Susanna einfach eine Decke mit dem gleichen Muster der Tapete über ihn.
Im vierten Akt verdichtet die Regisseurin nochmals das Geschehen. Der Kniefall des Grafen vor seiner Frau wird nicht zum Problemlöser, sondern zeigt erst, wie stark die Figuren durch das Verwechslungsspiel und den damit verbundenen getäuschten und enttäuschten Gefühlen in Mitleidenschaft gezogen wurden. „Ah, tutti contenti saremo cosi“ – nun können wir alle froh sein – singen die Protagonisten in einer Reihe sitzend, verziehen dabei aber keine Miene. Keine Tänze sind zu sehen, keine Freude zu spüren. Der tolle Tag, wie die Oper in der zugrundeliegenden Komödie von Pierre August Caron de Beaumarchais heißt, wirkt nach. Nach dem Schlussakkord verschwindet das Bühnenbild. Und alle Beteiligten drehen sich um und schauen ins Leere.