Qualität kann ein Problem sein: Deutschlands Klavierbauer fertigen Instrumente von Weltruf, doch der Absatz geht seit Jahrzehnten zurück. Ein wesentlicher Grund: Klaviere sind zu lange haltbar. Es sind keine guten Zeiten für Klavierbauer: Im Sommer wurde der US-Hersteller Steinway nach dramatischem Geschäftsrückgang von einem Finanzinvestor übernommen, in Frankreich stellte jüngst der berühmte Fabrikant Pleyel die Produktion ein, zu dessen Kunden einst Frédéric Chopin zählte.
Gemessen an alten Glanzzeiten ist auch vom deutschen Klavierbau nicht allzu viel übrig – jedenfalls bei Betrachtung der reinen Stückzahlen. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden in Deutschland jährlich mehr als 200 000 Klaviere gefertigt. Seitdem sind die Zahlen kontinuierlich zurückgegangen.
„Vor 20 Jahren wurden in Deutschland noch um die 40.000 Stück produziert, heute sind es noch etwa 11 000“, sagt Christian Blüthner-Hässler, Chef des Leipziger Unternehmens Blüthner und Vorsitzender des Bundesverbands Klavierbau. „Die Massenhersteller haben stark ausgedünnt. In der Oberklasse sind wir vergleichsweise stabil.“
Neue Klaviere sind in Deutschland nur sehr schwer an den Mann und die Frau zu bringen, weil es bereits so viele Klaviere gibt. „Nach einer Umfrage gibt es acht Millionen Klaviere in Deutschland“, sagt Blüthner-Hässler. „In vielen Familien gibt es jahrzehntealte Instrumente. Die Qualität und Haltbarkeit unserer Instrumente ist sozusagen unser Problem.“
Ludwig van Beethoven musste noch häufig neue Instrumente kaufen, weil er seine Flügel mit donnerndem Spiel zu ruinieren pflegte. Die hölzernen Rahmen waren den tonnenschweren Zugkräften der Saiten nicht gewachsen. Doch seit Ende des 19. Jahrhunderts Stahlrahmen üblich wurden, sind die Instrumente bei regelmäßiger Wartung praktisch unbegrenzt haltbar.
Hinzu kommen die Konkurrenz aus Ostasien und die Wirtschaftskrisen des vergangenen Jahrzehnts. „2008/2009 ist vor allem der nordamerikanische Markt innerhalb eines Jahres um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Das hat auch die deutschen Hersteller ziemlich stark getroffen“, berichtet Blüthner-Hässler.
Billige Klaviere kommen heute aus asiatischen Fabriken, doch in der Spitzenklasse sind die Deutschen dominant. Billige Klaviere klingen dumpf in den Bässen, matschig in der mittleren Lage und dünn-blechern in den Höhen. Ein gutes Klavier dagegen hat einen singenden Ton, kräftige klare Bässe, einen perlenden Diskant.
Ein skurriles Ärgernis für die deutschen Hersteller: Viele Konkurrenten aus China und anderen Ländern verkaufen ihre Produkte unter deutschen Markennamen. Manchmal handelt es sich um Fantasiemarken, in anderen Fällen wurden die Namen längst untergegangener Hersteller wiederbelebt. Der Bundesverband Klavier hat deswegen ein „Made in Germany“-Zertifikat entwickelt, damit Käufer falsche von echten deutschen Klavieren unterscheiden können.
Hilfreich für den deutschen Klavierexport: Viele Klavierkäufer auf der ganzen Welt ziehen eine populäre US-Publikation zu Rate. Und unter den acht Herstellern, denen Fachautor Larry Fine in seinem „Piano Book“ „highest quality“ zubilligt, sind fünf mitteleuropäische Werkstätten, die deutsche Steinway-Manufaktur in Hamburg und die inzwischen zum Yamaha-Konzern gehörende Firma Bösendorfer in Wien.
Zu den renommierten deutschen Traditionsunternehmen auf Fines Liste gehört die 1852 gegründete Bayreuther Manufaktur Steingraeber & Söhne. In Fachkreisen genießt das kleine Unternehmen mit einer Jahresproduktion von nur 120 bis 140 Klavieren und Flügeln legendären Status. So spielten die Komponisten Richard Wagner und Franz Liszt Instrumente aus Bayreuth.
Die Firma fühle sich in ihrer Nische „sehr wohl“, sagt Udo Schmidt-Steingraeber, der den Familienbetrieb in sechster Generation leitet. Klavierbau ist zwar ein traditionelles Handwerk, doch ist die Branche mittlerweile genauso exportabhängig wie die übrige deutsche Wirtschaft.
„Die Lieferungen nach Asien scheinen 2013 "dramatisch" zu steigen, die USA scheinen sich zu konsolidieren und endlich kommen die klassischen Musikliebhaberländer Südamerikas wieder aus den Folgen von zwei Dekaden Militärdiktatur und Kulturvernichtung hervor, langsam aber merklich“, sagt Schmidt-Steingraeber.
Spitzenqualität aber bedeutet Spitzenpreise. Ein gutes Klavier kostet so viel wie ein Auto der unteren Mittelklasse. „Wenn man es mit der Autobranche vergleichen würde, dann reicht unser Spektrum von BMW und Mercedes bis zu Bentley und Ferrari“, sagt Blüthner-Hässler.
Wenn eine Familie in Deutschland ein neues Klavier kauft, handelt es sich daher in aller Regel nicht mehr um ein in Deutschland gefertigtes Instrument. „Unsere festen Abnehmer sind nicht Privatleute, sondern Institutionen: Konzertsäle, Hochschulen, Musikstudios“, sagt Schmidt-Steingraeber.
Doch Angst vor der Zukunft haben die deutschen Spitzenhersteller nicht. „Deutschland ist – abgesehen von Bösendorfer in Wien und dem kleinen italienischen Hersteller Fazioli – das einzige Land der Welt, in dem es noch eine Klavierbaukultur gibt“, sagt Blüthner-Hässler.