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Foto: Jochen Quast
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Der Mensch, ein Spiel des Bösen – Verdis „Otello“ in Lübeck

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Am Theater Lübeck empfiehlt sich ein sehr gradliniger, zugleich plausibler „Otello“, der wohl gerade deshalb mit großem Beifall aufgenommen wurde, weil er keine unnötigen Versatzstücke benötigte. Redlich besann man sich auf das Gegebene, auf Shakespeares großartige Charakterisierungskunst, auf Boitos Geschick, opernwirksame Szenen zu schaffen, und auf den genialen Verdi, der dafür mitreißende Musik fand. Ungewohnt ist solch ein Herausarbeiten dessen geworden, was im Werk steckt und nicht im Kopf eines Regisseurs.

Abweisendes Gemäuer

Bernd Reiner Krieger leistete das. Lange hat er Regie geführt, u.a. in Schwerin, wo er zudem Fritz Reuter für die Bühne bearbeitete. Seit einigen Jahren ist er Chefdisponent am Theater Lübeck und konnte dort immer mal wieder sein dramaturgisches Können präsentierten, herausragend ein Doppelabend mit Zemlinskys Einaktern „Der Zwerg“ und „Eine florentinische Tragödie“. Vor elf Jahren war auf dieser Bühne zuletzt ein „Otello“ zu sehen. Vermeintlich ganz im Sinne Brechts wurde das Spiel als Boxkampf „verfremdet“, der böse Jago darin als Ringrichter. Von solchen Mätzchen war die neue Inszenierung weit entfernt, dafür wohltuend auf die Protagonisten ausgerichtet. Für sie schuf Momme Röhrbein einen düsteren und kargen Spielraum. Links und rechts waren es betonhaft wehrsame Mauern mit Pfeilern. An einen Bunker erinnerten sie. Den Hintergrund verschloss eine Wand mit rostigen Eisenplatten, die sich hier oder dort öffnete, den Blick frei machte auf die tosende See im ersten Akt oder später in den lichtdurchfluteten Garten, in dem Desdemona Cassio begegnete. Eindrucksvoll zeigt sich dort Jagos Intrigantengeschick, wenn er Othello im Dunkel des Raumes das Verhalten des Paares draußen im hellen Licht zu missdeuten anstiftet. Wenige Requisiten mussten genügen, die unterschiedlichen Spielorte zu charakterisieren. Das überzeugte schon im ersten Akt, ebenso in dem immer dunkler werdenden zweiten und dritten, der mit seinen schäbigen Ledersesseln zu einer Kommandozentrale Otellos wurde. Im letzten Akt wurde, ebenso nachvollziehbar, der Raum mit einer kleinen Kerzeninsel im Vordergrund sakral, in dem die verzweifelte Desdemona betete, bevor Otello sie erwürgte. So musste sie dann statt im intimen Schlafgemach auf dem nackten Boden ihr Ende finden.

Jago versus Otello

Die Kostüme von Angelika Rieck, quasi im Stil des Umbruchs vom 19. zum 20. Jahrhundert, fügten sich gleichermaßen dem Konzept der Düsternis. Dunkel kleidete sie alle, die Herren militant oder, wenn sie zum Volk gehörten, festlich, ihre Damen mit etwas Glitzer dabei. Einzig Desdemona musste hell gewandet sein, ein Lichtblick in der Düsternis. Dem Schwarzgrau der Handlung zufolge hätte auch in Kriegers Regie die Oper „Jago“ genannt sein müssen, denn er war die zentrale Figur. So hatte der Darsteller des Otello, als Gast der Rumäne Marius Vlad, viel aufzubieten, gegen Michele Kalmandys Jago zu bestehen. Seines Landsmannes voluminöser, finster und leicht hohl klingender Bariton beherrschte alles, so wie Jagos böse Intrige alles und alle überdeckte.

Ob es die Regie so wollte oder ob der Sänger das nicht mochte, ist nicht zu entscheiden. Jedenfalls verzichtete er weitgehend auf jede stimmliche Modifizierung. Dazu hätte nicht nur sein etwas blasses „Credo“ Anlass gegeben, wenn er zynisch bekennt, dass für ihn der Mensch „nichts als ein Spiel des Bösen“ sei. Nie verließ er die rein gesangliche Ebene, verfiel nicht in Parlandos, färbte seine Stimme nicht ein. Das hätte möglicherweise Jagos Charakter noch mehr Schwarzes gegeben, die er allein durch geschicktes Spiel erreichte. Aber so hatte der klangschöne Heldentenor von Marius Vlad doch eine Chance, sich zu wehren. Auch er gestaltete eher nordisch kühl, war ein Befehlshaber, den die Eifersucht innerlich zerfraß.

Um auch die Frage zu beantworten, wie die Lübecker es mit dem Titelhelden hielten, geschminkt oder echt, sei gesagt, dass Otello einen vornehm wettergegerbten Teint hatte. Sonnengebräunt wirkte der, nicht schwarz, zumal ein weißes Pflaster auf der Stirn Hinweis auf die gerade siegreich beendete Schlacht gab und durch den Farbkontrast den Eindruck von Tatkraft festigte. So wurde Shakespeares „Mohr von Venedig“ hier bestenfalls andeutungsweise als Maure zitiert. Optisch blieb er dennoch unverkennbar der Löwe von Venedig. Eine lange, leicht zottelige, aber angegraute Mähne zierte sein Haupt, passend zu seiner vor Erschöpfung passiven Haltung. Das betraf aber nicht seine Stimme. Die behielt bis zum Schluss bewundernswerte Strahlkraft, wovon sich Jago dennoch nicht beeindrucken ließ. Der böseste und perfideste Held der Operngeschichte hatte wieder einmal leichtes Spiel.

Eine wunderbare Desdemona

Bekanntlich ist aber nicht nur Otello schwach, auch alle anderen waren Jagos Schachfiguren. Hinterhältig, aber meisterlich setzte er sie so, dass sie und andere nichts merkten, ausgenommen davon seine Ehefrau Emilia. Julia Grote, auch sie ein Gast, gestaltete sie feinsinnig und mit glaubhaftem Mut zum Widerstand. Mit der Desdemona, der einzigen geradlinigen Figur, hatte die temperamentvolle Mexikanerin Maria Fernanda Castillo einen glänzenden Einstand als neues Ensemblemitglied an der Trave. Agil war ihr Spiel, klangvoll ihre Stimme, wenn auch anfangs in den Spitzen noch etwas scharf und mit einer Neigung zum Forcieren in der Höhe. Im Weidenlied fand sie dann zu berückend schöner Wärme und einem seelenvollen Piano. Eine große Leistung war das, die auf zukünftige Rollen gespannt sein lässt und die am Schlussbeifall immer wieder größten Anteil hatte. 

In den Nebenrollen fiel wieder der Bass von Taras Konoshchenko auf, der dem Montano bemerkenswerte Qualität gab. Auch Juraj Hollý lieferte als Cassio eine feine Studie als Trunkener, als ein von Jago Benutzter und Betrogener. Und auch die beiden Mitglieder des Opernelitestudios Hojong Song und Minhong An überzeugten mit ihren Rollenportraits als Rodrigo und Ludovico.

Der erste Akt ist insbesondere der Akt des Chores, hier unterstützt von einem Kinder- und Jugendchor (Leitung: Gudrun Schröder). Sehr lebendig agierten beide, überzeugten zudem mit differenziertem Klang. Einstudiert hatte ihn wieder Jan-Michael Krüger. Das, was vom Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck aus dem Orchestergraben oder von der Bühne herab erklang, war zumeist ansprechend, manchmal schön, auch wenn Andreas Wolf, Lübecks Interims-GMD, wieder zu eiligen Tempi neigte, ein Problem bei großen Ensemble oder Chorszenen.

Fazit

Das vielschichtige Psychodrama machte in dieser Regie einen geschlossenen Eindruck. Der starke Applaus galt diesmal nicht nur den Leistungen der Sänger und Musiker, bedachte hörbar das Regieteam.  

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