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Powder her Face, Noa Danon, Statisterie. Foto: Andreas Lander
Powder her Face, Noa Danon, Statisterie. Foto: Andreas Lander
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„Die geile Herzogin“ – „Powder Her Face“ von Adés am Theater Magdeburg

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Im Magdeburger Theater am Jerichower Platz brachten Mathias Husmann und Anja Sündermann „Powder Her Face“ („Ihre letzte Maske“) 1996 ein Jahr nach der Weltpremiere zur deutschen Erstaufführung. Im Schauspielhaus dort erlebt das seither zu einem Hit der jüngsten Operngeschichte gewordene Opus über die 1963 in einem Sensationsprozess geschiedene Margaret Camphell, Herzogin von Argyll, eine Neuinszenierung. Am Pult steht der Komponist Hans Rotman und Leiter des IMPULS Festivals, dessen Zukunft derzeit zur Diskussion steht. Der große Applaus am Ende zeigt den Bedarf an mehr Musik der Gegenwart in Sachsen-Anhalt, selbst wenn die Darstellung der „Sex-Queen“ etwas eindimensional gerät.

Laszives Räkeln im Hotel, das Nippen an Champagner oder harten Sachen und das Umzüngeln eines Revolverlaufs: Die Vorgaben von Regisseurin Magdalena Fuchsberger und Bühnenbildner Dirk Steffen Göpfert zeugen von einer dominanten oralen Fixierung und kreisen vor allem um das Eine. Gewiss fordern Thomas Adès und sein Textdichter Philip Hensher, der die Entstehung ihrer melodisch satten und stellenweise provokativ gemeinten Kammeroper in „zügellosen“ Begleitumständen verortet, dazu heraus. Doch es geht um weitaus mehr als um den Sieg einer poetischen Moral bei der namenlosen Herzogin, die als Opernbespiegelung der 1993 in Armut verstorbenen Margaret Camphell erst das Personal anbaggert, dann bei ihren Sexpartnern den Überblick verliert und schließlich erkennen muss, dass sie sich Anteilnahme immer erkaufen musste. Ein vielschichtiges Porträt hätte die phänomenale, sich rückhaltlos der Partitur und der Szene ausliefernde Noa Danon prägen können, deren vokale und szenische Intensität bei der mit Glucksen endenden Blowjob-Arie eigentlich erst richtig beginnt, nicht nur gipfelt. Wenn Noa Danon in appetitlicher Reizwäsche auf ihr immer einsameres Ende zusteuert, fährt sie trotzdem zu jener Größe hoch, die von der Regie durch das Dauerfeuer von Illustrierten-Voyeurismus und plakativer Komödiantik fast verhindert worden wäre. Eine Paraderolle für diese zutiefst beeindruckende Sängerin!

Noa Danon: Zutiefst beeindruckende Sängerin

Trotz gegenteiliger Bekundungen geht es Magdalena Fuchsberger vor allem um die Darstellung einer „Suchtgeschichte und die auch dadurch bedingte Einsamkeit“ und die „Illustration sexueller Praktiken“. Gefühlt mindestens die Hälfte des Bewegungsmaterials in diesen zwei Stunden sind Kopulationsbewegungen allein, zu zweit, zu vielen. Kathrin Hegedüschs Kostüme geben mit einer Übersteigerung zum Grand-Guignol dieser schlüpfrigen Dauerberieselung einen weiteren attraktiven Bonus.

Für den Spielplan des Theaters der Landeshauptstadt ist das sicher eine bislang fehlende und artifiziell stimmige Leistung. Doch dieser zwischen adrettem Hotelzimmer und bizarrer Dunkelkammer springende Operetten-Klamauk würde noch besser zu „Madame Pompadour“ passen, zum Beispiel. Das Regieteam agiert aus der Perspektive einer jüngeren Generation, in der jeder Hedonismus, der Konsum fördert, legitim ist. Das Abgleiten der hier vor allem dauergeilen Herzogin in die Einsamkeit ihres Alters bleibt befangen auf der Ebene einer erotischen Totalburleske.

Angesichts der von allen Darstellern brillant exekutierten Vertikal- und Horizontal-Gymnastik ist es ungerecht, dass die Hündin Lilly auf dem Besetzungszettel stehen darf, nicht aber die Namen des aus der Statisterie des Theaters Magdeburg rekrutierten und umfänglich geforderten Kopulationskollektivs. Immerhin hat das zweite Paar im Cast einen Heidenspaß: Welcher Tenor darf schon einen ganzen Abend lang sein prächtiges Spiel- und Charakterisierungspotenzial in Netzstrümpfen und Strapsen ausstellen wie Jonathan Winell? Und die ihre Koloraturen mit zielgenau steiler Präzision schmetternde Daire Halpin revitalisiert das Fach der superblonden Opernsoubrette mit einem Schuss Flittchen vom Pay-Channel. Als Herzog in Damendessous mit dezent devoten Allüren macht Paul Sketris ebenso eine gute Figur wie als zur moralischen Vogelscheuche gemachter Richter und der schließlich die restlos verarmte Herzogin aus ihrer Suite ausweisende Hotelmanager.

Inflation von Pornoladen-Dingsbums

Die kleine Besetzung aus der Magdeburgischen Philharmonie agiert sehr differenziert und holt auch die dunklen Farben aus der frechen, emotionalen und melodienreichen Partitur, ihren fetzigen Koloraturen und gefühlshungrigen Tangos. Auf der Bühne allerdings bleibt das Geschehen trotz der Assoziationen zu Pieter Bruegels Höllen-Szenarien und der Inflation von Pornoladen-Dingsbums recht flach. Schade, dass man auf den kontrastreichen Sprint vom erotischen Reste-Seller in die Tragödie offenbar verzichten wollte. Trotzdem bietet der Abend einiges neben den vokalen Glanzleistungen: Das körperliche und rhythmische Durchhaltevermögen des gesamten Ensembles ist bewundernswert.

  • Premiere: Sa 31.03.2018 - Wieder am Fr 06.04./19:30 -  Do 19.04./19:30 – So 29.04./19:30 – Fr 25.05./19:30 - Schauspielhaus Magdeburg, Bühne

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