Kaum ein Instrument war bisher in seinem Charakter so festgelegt wie die Trompete. Ausgehend von den historischen Funktionen, die ihr auf der Jagd und im Krieg, bei Siegesverkündigung oder Gotteslob zugewiesen waren, war allein schon ihr Klang pure Affirmation, wurde zum Herrschaftsinsignium schlechthin, ob sakral oder säkular. In der reinen Konzertmusik war diese Kraft eher Beschränkung.
An Beweglichkeit und Differenziertheit den anderen Instrumenten unterlegen, taugte sie weder zu solistischer Bravour noch zur Kammermusik, für die sie schlicht zu laut erschien. So durfte die Trompete zwar an markanten Punkten im Orchester auftrumpfen, fristete aber trotz spektakulärer Auftritte vergleichsweise ein Schattendasein etwa neben Geige oder Klavier, selbst Klarinette oder Oboe.
Erst heute, meint William Forman, Professor für Trompete an der Berliner Hochschule für Musik “Hanns Eisler”, hat sie durch neue Spieltechniken und Klangmöglichkeiten ein anderes Gesicht bekommen. Die Entwicklung einer Vielzahl von neuen Dämpfern, ihre Fähigkeit zu dynamischen Extremen, die Ausnutzung des Obertonspektrums, die ebenso zu Mehrfachklängen wie zu Mikrotonalität führen kann, die Affinität zur Elektronik oder ihr ausgeprägter Raumklang - das alles macht die Trompete zum Instrument der Moderne, siedelt so manches Stück für sie an Wendepunkten der Neuen Musik an. Was an Vielfalt vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden ist, präsentierte Forman erstmals in einem dreitägigen Festival Ende April 2010 in Berlin - “Totally Trumpet” sollte die Trompete gewissermaßen von allen Seiten zeigen, ebenso ihre eigenen kreativen Möglichkeiten wie ihre Impulse auf zeitgenössisches Komponieren überhaupt vorführen.
Fünf Konzerte hatte Forman mit zwei workshops kombiniert - zum einen ging es dort um die Erarbeitung neuer Trompetenmusik durch Interpreten jeder Entwicklungsstufe, zum anderen brachten drei Forman-Schüler sechs jungen Komponisten die Kniffe des instrumentengerechten Schreibens bei. Forman will damit sowohl die Literatur als allgemein das Verständnis für neue Klangwelten weiterentwickeln. Dass dies nicht bei der Trompete selbst stehenblieb, sondern ein wirkliches Festival Neuer Musik entstand, verdankte sich dem unbestechlichen Geschmack des künstlerischen Leiters, gepaart mit einer unbezähmbaren Neugier und Offenheit. “Wir haben zum Glück den Anspruch aufgegeben, dass Neue Musik verstanden werden muss”, meint der rührige New Yorker. Theoretisch überfrachtete Konzepte, die das Publikum abschreckten, seien passee, die Unvoreingenommenheit der Zuhörer gewachsen. So konnte Forman zu einer überwältigend vielseitigen Auswahl gelangen, unterstützt von ausgezeichneten Musikern, die sich zum großen Teil aus seiner eigenen Studentenschaft rekrutierten. Den Blechbläsern war der erste Abend vorbehalten. Mit ironischer Präzision umreißt Mauricio Kagel in den “Fanfanfaren” Trompeten-Tradition: den schmetternden Signalcharakter, der in vielfachen Überlagerungen zerbricht und sich nach fahlen Klagerufen im tonlosen Zischen ad absurdum führt. “Windflüchter I” nennt Sebastian Stier sein 1997 geschriebenes Werk für Trompete solo, das den klanglichen Zerfallsprozess in Flatterzungen-Tremoli noch weiterführt. Friedrich Goldmann hingegen nutzt im Posaunen hinzuziehenden “Concerto a sei” die mikrotonalen Schwankungen sich überlagernder Naturtonreihen für farbig-räumliche Effekte. “Geträumte Räume” baut Isabel Mundry aus kleinteiligeren, dialogischen Strukturen, während Hans Werner Henze in seiner “Sonata per otto ottoni” für Blechblasinstrumente barocke Muster zur Kenntlichkeit verfremdet.
Kombinationen der Trompete mit Elektronik, mit Stimme, mit Schlagzeug gab den folgenden Konzerten die Vielfarbigkeit. Jonathan Harveys entfaltet in “Other Presences” von 2007 griffige Melodik über flirrenden elektronischen Klangteppichen. Unverhohlen tonal, mit Lust am Kitsch, erzeugt Olga Neuwirth in “Addio...Sognando” für Trompete und Tonband schaurig schönen Sound - das Stück entstand für eine Gedenkstunde zu Haydns 200. Todestag 2009 in der Bergkirche zu Eisenstadt, in der sich die sterblichen Reste des Komponisten befinden. Es hatte mit seiner zwielichtigen Aura in Formans weitherziger Konzeption ebenso seinen Platz wie Friedrich Schenkers “Fantasiestücke” für Trompete und Klavier (2007), ein uraufgeführtes Auftragswerk der Interpreten William Forman und Angela Gassenhuber, das unter dem Titel “Wo die schönen Trompeten blasen” trotz großem Klangfarbenreichtum eher holzschnitthaft-pathetisch ein ewiges Unbehagen über das “neu-alte” Deutschland thematisiert.
“Ma’s Sequenze 7" für Trompete und drei Schlagzeuger von Ricardo Nova wiederum führt mit von indischer Tradition inspirierten Trommel- und Beckenschlägen in leichtere Gefilde. Der Schritt zum Jazz war da naheliegend: das Improvisationsprojekt “Band in my Head” von Gerard Presencer, Professor für Trompete am Jazz-Institut Berlin, verblüffte mit immer neuen Besetzungsstärken, Formen und Kombinationen in atemberaubender Virtuosität. Die “Band im Kopf”, so Presencer, soll die Unabhängigkeit des einzelnen Spielers innerhalb der jeweils aktuellen Formation stärken, so dass er seine Qualitäten bewahren und immer neu einbringen kann. Äußerst gewitztes Zusammenspiel voll origineller Klangfantasie und in mitreißend guter Laune schien seine These zu bestätigen - “ das beste Jazztrompetenspiel, das ich je gehört habe”, war dazu ein Kommentar aus dem Publikum.
Natürlich kam man um die “Klassiker” - “Solo” für Trompete und Live-Elektronik von Karlheinz Stockhausen und “Sequenzya X” für Trompete und resonierenden Flügel von Luciano Berio - nicht herum, beide unvermindert eindrucksvoll und von bleibender Bedeutung für das Instrument. Doch die jüngere Generation stand dem an Erfindungsreichtum nicht nach. Unsuk Chin bestach in “Fantaisie méchanique” für Trompete, Posaune, Schlagzeuger und Klavier von 1997 mit sensibler Klangfantasie, die sie überraschende Verschmelzungsgrade zwischen Trompeten- bzw. Klavierdiskant und hellen Beckenklängen entdecken ließ. Ähnliches gelang Vykintas Baltalas mit “Riro” (1999) für Trompete und Sopran, indem er ihrer beider “Sprachmöglichkeiten” einander annäherte, Schreie der Sopranistin mit heftigen Trompetenstößen konfrontierte. Trompete ausdrucksvoll, aggressiv, verspielt, in abstrakten Mustern befangen oder rein klanglich aufgefasst - alle nur denkbaren Spielarten der neuen Musik bildeten sich hier ab. Am konsequentesten wohl bei Mark Andre: “iv 6", ein Auftragswerk von William Forman, meint im Titel “Introvertiertheit” und gehört zu einer Reihe von Solo- und Kammermusikwerken, die der Komponist als “Laboratorium des Komponierens” begreift. Der ehemalige Lachenmann-Schüler stellt hier seine “geträumte Trompete” vor, die alles Martialische abgelegt hat, vielmehr stufenlos von leise zitternden und röchelnden Geräuschen dem letzten Hauch, dem Nichts entgegengeht.