Die Tatsache, dass am Tag der Deutschen Einheit eine Spieloper von Otto Nicolai das Festprogramm bildete, mag den einen oder anderen Opernbesucher verwundert haben. Aber immerhin hat in diesem Opernhaus vor 170 Jahren die Uraufführung der „Lustigen Weiber von Windsor“ stattgefunden, und Otto Nicolai war einer der Vorgänger im Amte von Daniel Barenboim. Peter P. Pachl über Premiere mit „wenn“ und „doch“.
Die dreiaktige, komisch-phantastische Shakespeare-Oper von Otto Nicolai hat es geschafft, neben Verdis „Falstaff“ hierzulande durch die Zeiten unvergessen zu bleiben. Als zwölfte Inszenierung seit der Uraufführung an diesem Haus, aber auch erstmals seit 35 Jahren wieder auf dem Spielplan der Staatsoper Unter den Linden, inszenierte der primär im Schauspiel beheimatete David Bösch die – gemeinsam mit seinen Ausstattern Patrick Bannwart und Falko Herold – in die Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts verlegte Handlung. In der neuen Dialogfassung der Nummernoper, für welche der Regisseur und der Dramaturg Detlef Giese verantwortlich zeichnen, spricht das Ehepaar Reich in breitem Fränkisch. Die textliche Verknappung bekommt der Spielvorlage gut. Dramaturgisch ungeschickt ist es jedoch, dass in der neuen Fassung nicht klar wird, warum die Ehemänner beim Mummenschanz im nächtlichen Wald mitspielen; denn Frau Reich erzählt die Ballade vom Jäger Herne hier nicht ihrem Mann, sondern ihrer Nachbarin und sich selbst.
David Bösch siedelt das Geschehen in einer eingeschossigen Reihenhaussiedlung mit begehbaren Dächern an. Die Nachbarinnen Frau Fluth und Frau Reich erhalten die gleichlautenden Liebesbriefe von ihrem Nachbarn an der Rückseite dieser Wohnanlage, dem offenbar reicheren, aber heruntergekommenen Sir John Falstaff. In und um einen ausladenden Swimmingpool mit Springbrunnenfontäne feiert der hier, statt im Gasthaus zum Hosenband, seine Saufgelage – mit einer karnevalesken Spaßgesellschaft, welche durch Trichter und Plastikschläuche Champagner-Magnumflaschen konsumiert.
Dass dieser Pool dann auch zum Zentrum des Schlussbildes im Wald bei Windsor wird, erscheint jedoch etwas als Notlösung, auch wenn dahinter ein gigantischer Mond aufsteigt – wie in Lars von Triers „Melancholia“ bedrohlich nahe, so dass der Chor-Gesang „O süßer Mond“ wie Ironie wirkt.
Die Dekoration mit Wäschespinne, Liegestuhl und Gartengrill, sowie Pool, gemahnt allerdings überdeutlich an die Inszenierung von Frank Castorfs „Das Rheingold“ in Bayreuth.
Christian Bösch forciert die Komik und lässt Spielfreude aufblühen – mit Junker Spärlich auf dem Fahrrad, mit Annas Freund Fenton als Herz-Sprayer, mit viel weiblichem Beauty-Accessoire, vom Nagellack bis hin zur Fußpflege-Raspel. Die Wand an Wand lebenden Nachbarinnen kommunizieren per Telefon, und als der eifersüchtige Gatte Fluth, nachdem er per Kettensäge im Wäschekorb ein kleines Feuer verursacht hat, von seiner scheidungswilligen Frau vor die Tür gesetzt wird, darf er in einem Umzugskarton diverse Siegespokale, einen kleinen Schwarz-Weiß-TV und das Hochzeitsbild mitnehmen.
Bezüge
Anna liebt Shakespeare, zitiert und spielt Szenen aus „Romeo und Julia“ nach, stets im englischen Original, bis hin zum Suizid mit ihrem Geliebten. Auf diese Weise bekommt die Schlussszene, in welcher Anna in die Rolle der Titania schlüpft und Fenton in die des Oberon, also der Bezug zum „Sommernachtstraum“, sogar eine Konsequenz als Steigerung der bürgerlichen Shakespeare-Rezeption. Beide tragen gegenseitige Namens-Tätowierungen und sie lieben Heavy Metal, zumindest in ihrer Gestik des Gitarrespiels zum schmelzenden Violinsolo der Konzertmeisterin.
Unklar blieb eine mehrfach angespielte (vorgetäuschte?) Schwangerschaft der Frau Fluth, die gleichwohl nicht nur den Süßigkeiten, sondern auch dem Sekt heftig zuspricht, während ihre Freundin Frau Reich, wie auch deren Tochter Anna, dem Nikotin frönen.
Das zweite Finale, mit dem als alte Frau verkleideten Falstaff, welches Verdi in seiner Oper zurecht eliminiert hat, erweist sich auch hier als redundant und als weniger stark denn das erste Finale (mit Chor), insbesondere wenn Falstaff nicht verprügelt wird, sondern nur ein paar Schläge mit dem Fächer auf die Schulter bekommt. (Da mögen Operettenfreunde an Ollendorf im „Bettelstudent“ denken…)
Doktor Cajus, dies eine interessante Variante, ist hier der Liebhaber der Frau Reich: offenbar plant die Mutter, den Franzosen durch Heirat mit ihrer Tochter ans eigene Haus und an sich zu binden. Doch Cajus erweist sich bestenfalls als bisexuell. Denn im Schlussbild blüht er im „grünen Fummel“ ebenso auf wie Junker Spärlich im „roten Fummel“, beide virtuos tanzend, Spärlich auf Stöckelschuhen sogar artistisch, mit Radschlag. Die beiden Crossdresser bekennen hier auch verbal ihre Liebe zueinander und erweisen sich denn im Schlusstableau als die eigentlichen lustigen Weiber von Windsor.
Unter Daniel Barenboim, der an diesem Abend sein Debüt mit dieser Oper gab, musiziert die Staatskapelle auf hohem Niveau, aber ohne schneidenden Witz und mit zu wenig Perfektion. Im Schlussakt waren Bühne und Orchester zu stark auseinander; dies betraf insbesondere den von Martin Wright einstudierten Chor.
Und doch liegt doch der Wert dieses Abends in der musikalischen Gestaltung. Gerade die hochkarätig besetzten Nebenrollen – Linard Vrielink als Junker Spärlich und David Oštrek als Doktor Cajus – beweisen nach dem Hollywoodgesetz die Reißfestigkeit der Kette. René Pape mit nackt zur Schau gestelltem Bauchnabel im Fett-Kostüm singt den Falstaff mit Bellezza und ergänzt á cappella Schlager-Auszüge eines fragwürdigen Männerbildes („Männer“ von Herbert Grönemeyer). Mandy Fredrich bewältigt die koloraturreiche, dramatisch angehauchte Partie der Frau Fluth ohne Abstriche. Gleichwohl wird sie an Stimmgewalt und Witz in der Differenzierung überboten von Michaela Schuster als Frau Reich. Anna Prohaska ist eine der Jugendszene angehörende, jugendlich dramatisch zur Eva der Meistersinger tendierende, Anna. Wilhelm Schwinghammer als Herr Reich gefällt insbesondere in der Spiel-im-Spiel-Rolle des Jäger Herne. Die Bravour-Partie bietet allerdings Michael Volle als Herr Fluth (und vorgeblicher Herr Bach mit Langhaar-Perücke), wobei er an seine Darstellung des Verdischen Falstaff (vor einem Jahr am selben Haus) ebenso anknüpft wie an die Schlitzohrigkeit des Hans Sachs in der derzeitigen Bayreuther Inszenierung. Auf diese Weise wird die Rolle unfreiwillig zur Hauptpartie des Abends aufgewertet und gleichzeitig zu einer im Libretto von Salomon Hermann Mosenthal so nicht vorgesehenen Sympathiefigur.
Am Ende des einheitsdeutschen Premierenabends gab es einhelligen Jubel für alle Beteiligten. Gleichwohl wünschte man, nach Verdis „Falstaff“ und Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ als Dreisprungsergebnis um Shakespeares komischen, späten Ritter, demnächst an diesem Haus William Waltons „Sir John in Love“ zu erleben!
- Weitere Aufführungen: 5., 9., 11. 13. und 19. Oktober.