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Katharina Baumgarten (Sophie Scholl), Andreas Beinhauer (Hans Scholl). Foto: Nasser Hashemi
Katharina Baumgarten (Sophie Scholl), Andreas Beinhauer (Hans Scholl). Foto: Nasser Has-hemi
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Dramatische Populismus-Studie: „Weiße Rose“, ein Manifest der Theater Chemnitz

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Zwei Sänger, sechs Musiker, ein intelligentes Produktionsteam und eine Theaterleitung, die dieses Projekt ausdrücklich fördert, reagieren auf die Ereignisse um das Tötungsverbrechen Ende August 2018 bei den Feiern zum 875. Jubiläum der Stadt Chemnitz. Partner der Theater Chemnitz für dieses Projekt sind die Städtische Musikschule als Proben- und Aufführungsort, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Programms „Demokratie Leben!“, die Weiße Rose Stiftung e. V. und enviaM. Die Aufführungsserie der Kammeroper “Weiße Rose” von Udo Zimmermann ist Teil der Veranstaltungsreihe „Gemeinsam stärker“ und in Kooperation mit dem Programm „neue unentdeckte narrative“ des ASA-FF e.V. ein Programmpunkt des Festivals „Aufstand der Geschichten“.

In nur wenigen Wochen studierten Mitglieder der Theater Chemnitz und Gäste Udo Zimmermanns Kammeroper „Weiße Rose“ ein. Dessen zweite, stark veränderte Vertonung des historischen Sujets auf das Textbuch von Wolfgang Willaschek wird seit der Uraufführung 1986 an der Hamburger Staatsoper immer wieder als Manifest gegen Gewalt, politische Willkür und radikale Ideologien aufgeführt.

In der reduzierten Orchesterfassung, die Arno Waschk für das Theater Koblenz 2013 eingerichtet hatte, zeigt sich das Kammerensemble unter dem differenziert agierenden Jakob Brenner souverän. Schade, dass die jungen Besucher der Premiere wohl nur schwerlich würdigen können, wie diese konzentrierte Fassung die Gesangsparts im Kammerspiel-Marathon durch die letzten Lebensstunden der Geschwister Hans und Sophie Scholl fast noch eindringlicher begleitet als die belcanteske Wohligkeit fördernde Originalfassung. Auf der einfachen Bühne im akustisch hervorragenden Konzertsaal der Städtischen Musikschule Chemnitz gibt es keinen historischen Realismus für den fortgeschrittenen Zweiten Weltkrieg und die Hinrichtung der Geschwister Scholl am 22. Februar 1943.

Stattdessen konstruieren der junge Regisseur Nils Braun und seine Ausstatterin Rebekka Bentzen eine scharf skizzierte Labor-Situation über die Vergröberung politischer Ideale in Extremsituationen. Sophie und Hans sind also nach ihrer Flugblatt-Aktion gegen den Naziterror in der Aula der Münchner Universität nicht nur Opfer. Hier beinhaltet ihr letzter Ruf „Freiheit!“ auf das aus dem anonymen Off verkündete Urteil noch viel mehr als das Ende des Ringens um einen Tod mit Würde: Das schicksalsergebene Wort wächst zum kreatürlichen Sehnsuchtsschrei. In ihrer weißen Kleidung, die wie ihre Hände immer mehr verschmutzen, sind Hans und Sophie Scholl Pfleger, Handwerker oder Therapeuten in einer sie von anderen Gemeinschaften trennenden Box. Um diese Sozialstation ohne Klienten und die Musiker kreisen tumultöse Farbspiele in einem ähnlich intensiven Nuancenreichtum, wie ihn der Bariton Andreas Beinhauser und die Sopranistin Katharina Baumgarten mit ganz starker sängerdarstellerischer Kraft einbringen.

Erst schreiben Sophie und Hans enge Zeilen auf die weißen Papierwände, die sie am Ende zerreißen und sich so befreien. Aus Angst, seelischer Not und gärender Aggression wird beider Wille zum Widerstand desto drängender und immer einfacher, verkürzt sich schließlich zum Aufschrei und dem breiten Kreidestrich als ganz großer Geste.

Starke Beklemmung steht am Ende der beeindruckend geradlinigen Produktion. Denn thematisiert wird neben der emotionalen Grenzerfahrung eine Entwicklung, in der Ideen von einer elaborierten Diskurshöhe durch Vereinfachung und Überhitzung zu leeren Parolen werden. Das biographische Lamento für die humanistisch geprägten Rebellen Hans und Sophie Scholl spiegelt hier auch den drastischen Absturz von Theorien in die populistische Deformierung. Ein packender Beitrag der Theater Chemnitz also und überdies eine theatrale Klarstellung über das antifaschistische Symbol der Weißen Rose, die bei den populistischen „Trauermärschen“ und in direkter Nachbarschaft mit verbotenen Symbolen des Rechtsextremismus getragen wurde.

  • Nächste Vorstellungen: So 18.11., 17.30 Uhr – Do 22.11., 10.30 Uhr – Di 04.12., 10.30 Uhr – Mi 16.01., 10.30 Uhr – Do 17.01., 10.30 Uhr im Konzertsaal der Städtischen Musikschule Chemnitz / Mi 28.11., 15.30 Uhr – Fr 30.11., 10.30 Uhr im Wasserkraftwerk Mittweida e.V. – Weitere Termine sind geplant / Unterrichtsmaterial: vieth [at] theater-chemnitz.de (vieth[at]theater-chemnitz[dot]de) – Klassen-Besuche sind nach Absprache möglich

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