Aus der abgesagten physischen Premiere vom 28. November wurde ein Drehtermin am 12. und eine Online-Premiere am 25./26. Dezember. Eine TV-Produktion war 1957 die Urversion des Musicals mit Julie Andrews als mit feeischer Unterstützung vom Housekeeping an die Regierungsspitze katapultierte „Cinderella“. Nach mehreren Adaptionen (Bühnenproduktion in London 1958, Filme 1964 und 1997) kam es 2013 am Broadway zur preisgekrönten Märchen-Renovierung mit politischem Lifting durch Douglas Carter Beane und einer Neu-Orchestration von Danny Troob. Beide puderten „Rodgers und Hammersteins Cinderella“ liebenswert und (fast) zeitgemäß auf. Nach einer Produktion der Bayerischen Theaterakademie August Everding im Münchner Prinzregententheater 2018 folgt jetzt an der Staatsoperette Dresden die deutsche Fassung von Jens Luckwaldt.
„Tauwetter unter der Regierung von Prinz Christopher!“ heißt es in der historischen korrekten Rückversetzung von Rodgers‘ und Oscar Hammersteins II „Cinderella“ auf den Telescreens. Also Weihnachtstheater nicht mit physischem, sondern digitalem Publikum. Herausgekommen ist ein korrektes Stück für die ganze Patchworkfamilie. Allerdings wollte man an der Staatsoperette kein Glamour-Märchen wie am Broadway. Regisseurin Geertje Boeden und Dramaturgin Judith Wiemers beließen es bei der fröhlichen Wiedergabe des wohltemperiert aktualisierten Textes mit ortsspezifischen Farben und Livreen. Die gute Fee Marie (Silke Fröde) trägt breite Schlaghosen im nobilitierten Ethnolook. Sie propagiert (Cinder-)Ellas Ballbesuch zum löblichen Vorbild für jede Frau, die aus der Küche raus und ins irdische Paradies rein will. Natürlich mit der Musical-Botschaft Nummer 1, dass wahrhaft Wollenden alle Steine auf dem zielstrebigen Weg von der Tellerwäscherin zur Millionärin egal sein müssen. In Dresden findet der zentrale Machtkampf des Stücks indirekt zwischen guter Fee und böser Stiefmutter (Ingeborg Schöpf) statt, weil sich deren Interpretinnen spürbar um die unter den manchmal glatten Dialogen steckende Zweitebene bemühen.
Kürbiskutsche, tierische Helfer, feine Roben und Fetzen-Look wirken gut auf der oft in sattem Himmelblau gefluteten Bühne (Philip Rubner). Durch die Kostüme Sarah Antonia Rungs klebt in einem turmartigen Konstrukt mit wirkungsvollen Rundtreppen der Adel auf den unteren Schichten wie schwerer Zuckerguss auf butterzartem Biskuit. Es bleibt bei Andeutungen, weil Winfried Schneider in seiner Choreografie Demonstranten und Diplomaten nicht separiert, Unterdrückte keine Fäuste ballen und eine lasche Gestik haben wie die Upperclass.
Der Abstand zwischen den Darstellern auf der großen Bühne im Werk Mitte verleiht Szenen, in denen es phantastisch oder luxuriös zugeht, etwas Schwebendes. Das mildert den Nachdruck der vom Oppositionellen Jean-Michel (Timo Schabel) in gemächlichen Trab versetzten Underdogs, die sich bei der entscheidenden Demo aufreihen wie zur tariflich zugesicherten Mittagspause. Die Regie lässt geschehen, was der Stücktext bietet. So kann Gero Wendorff nur schwerlich begründen, warum es Märchenprinz Christopher auf der Eliteschule in Politologie nicht über Kapitel Eins hinausgeschafft hat und am Drachentöten nur mäßiges Gefallen findet. Cinderella behält sogar noch ein sonniges Gemüt, als ihre Stiefmutter hysterisch herausdröhnt, dass sie den seligen Papa nur wegen des Geldes geheiratet hatte. Die Dresdner Entglitzerungsarbeit hätte noch ein Investment an dramatischer Schärfung vertragen können.
Aber alle im Produktionsteam waren sich einig, Beanes textliche Renditeangebote geflissentlich zu ignorieren. Da bleibt vieles halbherzig, etwa der machiavellistische Überprotektionismus von Premierminister Sebastian (Bryan Rothfuss) für den lange in frauenloser Umgebung belassenen Prinzen, die Aufsteiger-Ambitionen der Stiefmutter und vor allem eine Titelfigur mit unerschöpflichen Heiterkeitsresourcen. Laila Salome Fischer hat Stimme, Ausdruck und Präsenz. Am Ende bleiben trotzdem die meisten Augen trocken. Das Happy End kommt zwangsläufig und stachelfrei, weil man die emotionale Bindung des Hauptpaars nach der Pause bereits vergessen hat. Aus der Nähe betrachtet fehlen die feinen Abstufungen im Kontakt zwischen Cinderella und den bösen Schwestern, von denen eine aus Liebe von der Krähe zur Taube wird (Lisa Müller).
Dabei zeigt das Orchester der Staatsoperette, dass die Musik von Richard Rodgers auch ohne besondere Hits Reize entwickelt. Wenn sich die Kamera auf den Dirigenten Christian Garbosnik richtet, schaut dieser vor allem auf die Musiker*innen und selten auf die Bühne. Wie bei der Titelfigur ist der Glaube an die eigenen Qualitäten da. Aber noch fehlt es etwas zu jener pulsierenden Motorik, von der in dieser „Cinderella“-Adaption so viel palavert wird. Seit dem ersten Erscheinen von Charles Perraults „Aschenputtel“ (1697) hat sich offenbar kaum etwas geändert: Perrault erklärte in seiner zweiten Moral zur Märchenhochzeit, dass sozialer Aufstieg ohne Nepotismus unmöglich ist.