„Peter P. Pachl hatte eine Zielstrebigkeit in der Umsetzung seiner Visionen wie wenige. Sein Brennen für die Kunst war bewundernswert frei von Ehrgeiz und Eitelkeit. Das habe ich in den vielen Jahren unserer Bekanntschaft und der unter Corona erschwerten Umsetzung des Bayreuther Siegfried-Wagner-Zyklus an ihm bewundert.“
Diese Betrachtung von Katharina Wagner sagt viel über den am 24. April 1953 in Bayreuth geborenen und letzte Woche nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von nur 68 Jahren gestorbenen Peter P. Pachl. Seine umfangreichen Tätigkeiten als Autor der nmz, für die er viele Jahre fast alle Berliner Musiktheater-Premieren rezensiert hatte, waren nur ein ganz geringer Teil von Pachls Wirken. Mehr erfuhr man bei Besuchen in Nähe der Britzer Gärten, wo er in den letzten Jahren mit seiner Frau Angelika Pachl-Mix lebte. Dort stapelten sich in hohen Regalen die künstlerischen und wissenschaftlichen Trophäen von Pachls musikalischen und künstlerischen Leidenschaften, vor allem Autographe und Handschriften aus dem Umfeld Bayreuths und sogar Originalgemälde von Franz Stassen, einem Freund Siegfried Wagners.
Im Grunde kreiste fast das ganze berufliche Leben des sich früher Schüler von Hans Neuenfels nennenden Regisseurs, Intendanten, Dramaturgen, Theaterleiters und Musikwissenschaftlers Peter P. Pachl um den Bayreuther Festspielleiter Siegfried Wagner (1869–1930), den er aus dem Schweigen von dessen umstrittener Witwe Winifred Wagner herausholte und dessen musikalisches Bühnenschaffen er mit unerschöpflichem Engagement rehabilitieren wollte. Für erste Initiativen dazu suchte Pachl den Kontakt mit Friedelind Wagner, die zu ihren Brüdern, den Bayreuther Festspielleitern Wieland und Wolfgang, ein eher reserviertes Verhältnis hatte. Aus Pachls 1979 publizierter Dissertation „Siegfried Wagners musikdramatisches Schaffen“ entstand seine in mehreren durchgesehenen Auflagen erschienene Standard-Biographie „Genie im Schatten“ (1988). In den Pionierjahren des Internets wuchs die Website der gerade ihr 50-jähriges Jubiläum vorbereitenden Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft schnell zu einer imponierenden Enzyklopädie über Leben und Werk des vom Nationalsozialismus bis weit in die Nachkriegszeit verdrängten Komponisten.
Drei posthume Uraufführungen von Opern Siegfried Wagners gingen auf die Initiative Pachls zurück: „Das Flüchlein, das jeder mitbekam (in Kiel 1984 inszenierte er ein Bayreuthsches Biographical über Hitlers Aufstieg), das Fragment „Wahnopfer“ (Rudolstadt 1994) und „Die heilige Linde“ (Kölner Philharmonie 2001). Jede Tonträger-Veröffentlichung, vor allem bei den Labels Marco Polo und cpo (oft mit unter dem gleichfalls früh verstorbenen Werner Andreas Albert), enthält Pachls Aufsätze.
Die Siegfried-Wagner-Produktionen während Pachls Intendanz am Thüringischen Landestheaters Rudolstadt in den frühen 1990ern und während seiner Jahre als Chefdramaturg und stellvertretender Intendant am Theater Hagen (1998 bis 2000) bleiben in nachdrücklicher Erinnerung. Aber auch Entdeckungen von Opern wie Hans Pfitzners „Das Herz“, in der Pachl die Hosenrolle Wendelin zur anzüglichen Krankenschwester Gwendolyne umpolte, von Ludwig Thuille und Anton Urspruch prägten seine Karriere. Der Gründer des pianopianissimo musiktheaters und Vizepräsident der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft, deren Vorsitz er sich mit dem in seinen Schwerpunkten vergleichbar gestrickten Filmmusik-Archäologen und -Forscher Frank Strobel teilte, kam mindestens zwei Jahrzehnte regelmäßig zum Zug bei Intendanzen, die nach originellen Sichtweisen mit etwas Publikumsrandale suchten. Pachl wurde der Mann für ungewöhnliche Märchenopern schlechthin.
Aber er war alles andere als ein Märchenonkel, selbst wenn prompt Siegfrieds Wagners Collage „An allem ist Hütchen schuld“ aus 40 Märchen der Brüder Grimm am Theater Hagen und im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth eine seiner poetischsten Arbeiten wurde. Pachl selbst könnte man zu dem von dem Frieder und dem Katherlieschen gesuchten singenden, springenden Löweneckerchen in direkte Beziehung setzen. In seinen Inszenierungen zeigte sich weniger der Analytiker als ein Paradiesvogel, der – wie im „Friedensengel“ (Bayreuth 2021) und in der bereits dritten von ihm betriebenen Produktion von Siegfried Wagners „Sonnenflammen“ (Bayreuth 2020) – mit irrwitziger Farben- und Aktionsflut den menschlichen Emotionenwahnsinn abbildete, immer mit einem Plädoyer für alle unschädlichen Spielweisen des Eros. Das war kein Widerspruch zu bravourös beherrschten Umgangsformen alter Schule. Pachls formvollendete Handküsse werden Sängerinnen wie die selige Martha Mödl, Dagmar Schellenberger und Rebecca Broberg, die Protagonistin so viele seiner Produktionen, nicht vergessen.
Das Tolle war: Wo Pachl aufschlug, war immer etwas los. Das galt für Berlin, wo er in seiner kurzen Intendanz bei den Berliner Symphonikern Max Reinhardts und Engelbert Humperdincks Film „Das Mirakel“ vorführte, ebenso für Pflaums Posthotel in Pegnitz und die Henrichshütte Hattingen, Schauplatz der von Pachl zehn Jahre lang betriebenen posthumen Uraufführung von Anton Urspruchs recht verstiegener Märtyreroper „Die heilige Cäcilia“ am 21. November 2021.
„Kommst du?“ lautete immer wieder Pachls Einladung und sanfte Aufforderung, auf die er nach abschlägiger Antwort meist mit unverhohlener mimischer Enttäuschung reagierte. Zum letzten Mal vernahm ich dieses „Kommst du?“ nach der „Friedensengel“-Aufführung in Bayreuth im August 2021. Dort gab es noch einmal den ‚ganzen Pachl‘ in einer Siegfried-Wagner Oper mit dem Plädoyer für freie Liebe, freie Spiritualität und freie Menschen ohne Aggressionen. Einmal mehr konnte er sich auf sein großes Ensemble auch im sich recht spontan gestaltenden Probenprozess voll verlassen. Man erlebte ein letztes Mal seine sturzbachartige Bilderflut und Pachls zutiefst humanen Spieltrieb mit stellenweise verrückten Effekten, die bizarr und deshalb ehrlich unsere wirren Zeitläufe spiegelten.
Urspruchs sakrale „Cäcilia“-Oper war weniger durch ihre Handlung als musikalisch ein typisches Pachl-Hybridstück. Enge Mitarbeiter berichteten letzte Woche, dass Pachl im Proben-Eifer den dringenden Arztbesuch viel zu lange hinauszögerte. So wurde er äußerst schroff aus seiner vollen Lebensenergie gerissen – und aus seiner Lieblingsbeschäftigung: der Entdeckung von Musiktheater-Werken im langen Schweif des Wagner-Kometen um seinen persönlichen Leuchtpol Siegfried – von E. T. A. Hoffmann über Oscar Straus bis Judith Weir. In der Opernszene wird Peter P. Pachl, der in der Spätromantik wildernde Abenteurer, der inspirierende Freigeist für Off- und Subventionsbühnen fehlen. Am 15. November ist er in Bochum gestorben.