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„Das Rheingold“ an der Lindenoper: Peter Rose (Fafner), Mika Kares (Fasolt), Lauri Vasar (Donner), Rolando Villazón (Loge), Siyabonga Maqungo (Froh), Claudia Mahnke (Fricka), Michael Volle (Wotan). Foto: Monika Rittershaus
„Das Rheingold“ an der Lindenoper: Peter Rose (Fafner), Mika Kares (Fasolt), Lauri Vasar (Donner), Rolando Villazón (Loge), Siyabonga Maqungo (Froh), Claudia Mahnke (Fricka), Michael Volle (Wotan). Foto: Monika Rittershaus
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Enttäuschender „Ring“-Auftakt: „Das Rheingold“ an der Staatsoper Unter den Linden

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Alles, was Wagnerphilologie und szenische Wagnerexegese am „Ring“ zu schätzen wussten – er sei eine parabelhafte Tetralogie von der Welt Anfang und Ende, er zeige das wahre Bild von der Verfassung der Welt, er sei eine Geschichte von der Welt Anfang und Ende, Familiensaga, Politthriller und Mythenentwurf, politische Parabel der Gründerzeit, ein antikapitalistisches Endspiel und was noch – all das wird einem im neuen Lindenopern-„Ring“ vorenthalten.

Der jüngste „Ring“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden, inszeniert von Dmitri Tcherniakov, ignoriert Wagners szenische Phantasie (Anweisungen), aber auch seine Intentionen und inszeniert großzügig über das gesungene Wort hinweg.

Immerhin erklärte Wagner in seiner Selbsterklärungsmanie (konkret in seiner Schrift „Erkenne Dich selbst“) den verhängnisvollen Ring des Nibelungen als Börsen-Portefeuille; er dürfte als das schauerliche Bild des gespenstigen Weltbeherrschers (Gold=Geld) verstanden werden. Gegenüber seinem Freund Theodor Uhlig bekannte er: Mit dem „Ring“ „gebe ich den Menschen der Revolution … die Bedeutung dieser Revolution, nach ihrem edelsten Sinne, zu erkennen. Dieses Publikum wird mich verstehen.“

Schon zu seiner Zeit irrte der utopische Revolutionär Wagner. Ob das heutige Staatsopernpublikum den „Ring“ in der Lesart und szenischen Aufbereitung Tcherniakows versteht, muss bezweifelt werden, denn was man sieht ist kein antikapitalistisches Endspiel, keine Parabel weder der Gesellschaft der Wagnerzeit, noch unserer Gegenwart auf der Opernbühne, weder griechisch konzipiert und nordisch verkleidet, noch psychologisch eine hochmoderne Geschichte vom Untergang einer Welt. Soweit sich das im „Rheingold“ sagen lässt.

Tcherniakow zeigt stattdessen das Forschungszentrum E.S.C.H.E, mit Stresslabor, Anatomiesaal Büro, Verhörzimmer, Innenraum mit Baum (er wird wohl in der „Walküre“ den ersten Akt dekorieren), Beobachtungs-Emporen mit Markisen und vielen Gängen, Fahrstühlen und zwei Untergeschossen mit Versuchstieren in Käfigen sowie quasi ferngesteuerten, versklavten Goldschmieden hinter Glas. Man wohnt einem „Ring“ als Versuchslabor“ im kostümlichen (Elena Zaytseva) und bildnerischen (Dmitri Tcherniakov) Geist der Sechzigerjahre bei, soweit eindeutig erkennbar.

Das ist noch extremer als Frank Castorfs postsozialistische Bayreuther Lesart, die zwar auch nicht das zeigte, was Wagner in seiner Partitur vorschreibt, sondern im „Rheingold“ eine amerikanische Familiensaga mit Sex and Crime, mit einem Personal, das ausschließlich aus Zuhältern, Ganoven, Schlampen, Prostituierten, Dealern und Barleuten einschließlich zombiehaften Gästen des zweifelhaften Etablissements zu bestehen scheint. Aber diese Story zeigt er perfekt getimt, hinreißend beleuchtet, in faszinierendem Bühnenbild und spannend! Er nimmt Wagners „Ring“ als erklärtes Revolutionsstück ernst.

Castorfs politisches Stationen- und Anekdotentheater war für die meisten Zuschauer wohl nur schwer mit Wagner in Übereinstimmung zu bringen, doch wie er die Wagnersche altgermanisch sich gebende, aber antikapitalistisch gemeinte Parabel des 19. Jahrhunderts übersetzte in die Konfrontation von Kapitalismus und Sozialismus im Kampf ums Erdöl im 20. Jahrhundert, das nötigte Respekt ab. Tcherniakovs klinische Etüde in modernem Dekor und Alltagsoutfit ermüdet eher, und was der Regisseur eigentlich sagen will, wird abzuwarten sein.

Die Erste „Rheingold“-Szene mit dem aus der Urtiefe aufsteigenden Es-Dur-Dreiklang spielt nicht auf dem Grund des Rheins, sondern im Stresslabor einer psychiatrischen Klinik, so scheint es. Kraftvolle Krankenpfleger und begutachtende, beobachtende Ärzte allenthalben. Alberich ist auf einem Stuhl festgebunden, verkabelt und er trägt einen „Helm“ aus Elektroden, der auch später noch zu Ehren kommt, die Rheintöchter sind Krankenschwestern. Am Ende reißt sich Alberich los, zerstört und raubt das technische Equipment. Von Rheingold keine Spur. Allenfalls am sparsamen Schmuck der Rheintöchter.

Wotan als Klinikboss, Loge als clownesk herumhampelnder Intellektueller in senfgelbem Anzug, Alberich als Verrückter, der sich als Lindwurm wie als Kröte lediglich Halluzinationen hingibt, unsichtbar für den Zuschauer ebenso wie die Nibelungen, die Goldschätze anschleppen, Donner in blauem Anzug, eine Gewitterszene ohne Gewitter zelebrierend, aber mit pyrotechnischen Zauberkünsten und Taschenspielertricks, schließlich in die unspektakulären Finalszene, in der Froh eine Regenbogenfahne aus einer Blume zaubert, das sind die szenischen Höhepunkt der Inszenierung.

Unter den Linden herrscht bei allem bewundernswerten szenischen Aufwand klinische Sterilität eines Krankenhauses und gähnende Langeweile, ein szenischer Verschiebebahnhof, aber der Zug kommt nicht recht in Fahrt. Es herrscht Stillstand. Ein quälendes, nicht enden wollendes sznisches Epos (Thomas Mann), ohne Frage virtuos, ja bestens organisiert in seiner Realisierung mit ständig hin- und her- sowie auf- und abfahrenden Räumen (ein Lob der Bühnentechnik), dennoch langatmig und ohne Spannung. Was auch und vor allem an der musikalischen Leitung liegt.

Christian Thielemann braucht fast 2 Stunden 50 Minuten, um das „Rheingold“ zu stemmen. Das ist die langsamste musikalische Lesart, die ich kenne. Selbst Hans Knappertsbusch oder James Levine in Bayreuth, auch nicht Sir Simon Rattle in Aix-en-Provence haben sich solch extremer „Zeitlupenheiligkeit“ (Wieland Wagner) befleißigt.

Cosima notierte in ihrem Tagebuch, Richard habe ausgerufen: „Nicht einen Menschen hinterlasse ich, welcher mein Tempo kennt.“ In Bezug aufs „Rheingold“ wurde er gegenüber einem seiner Dirigenten (Hans Richter) noch deutlicher: „Wenn Ihr nicht alle so langweilige Kerle wärt, müsste das Rheingold in zwei Stunden fertig sein.“ Davon konnte man unter den Linden nur Träumen!

Christian Thielemann, der für den erkrankten Daniel Barenboim einsprang und, wie man munkelt, schon als dessen Nachfolger an der Staatsoper ins Spiel gebracht wird, hat noch langsamer als bei seinem Bayreuther „Ring“ dirigiert. Schwerfällig, extrem langsam, nur an den „schönen Stellen“ (etwa dem Abstieg nach Nibelheim oder dem Walhallamarsch, den er allerdings monumental und keineswegs ironisch gebrochen nahm, wie es die dramatische Situation erfordert. Es handelt sich schließlich um einen Abstieg der Götter, um deren beginnenden Untergang, wie Loge es unzweifelhaft sagt). Ansonsten klingt dieser „Ring“ mulmig, gelegentlich fast unhörbar leise, was die Sänger zu entsprechendem Flüstergesang bzw. Rezitationsstil zwang. Was aber keineswegs der Wortverständlichkeit zugutekam. Wenn man freundlich sein möchte, kann man Thielemanns Lesart „romantisch“ nennen. Auch Furtwängler hat romantisch dirigiert, aber wie kraftvoll und strukturiert!) Thielemann hat die Strukturen der Partitur keineswegs herausmodelliert, die Leitmotiv-Beziehungen auch nicht plastisch hörbar werden lassen, er hat die unter der Oberfläche verborgenen Kostbarkeiten der „Ring“-Partitur vernachlässigt. Das war, alles in allem, orchestral ein unterbelichteter, ja verharmlostes „Rheingold“. Und man hat die Staatskapelle weiß Gott schon besser gehört. Sehnsuchtsvoll erinnert man sich an Daniel Barenboims immerhin temperamentvolles, enorm klangprächtiges und dramatisches Musikantentum gerade im „Ring“, auch wenn seine Lesart weit entfernt war von jener glasklaren, analytisch-scharfen Attacke, mit der Kirill Petrenko bei seinem Bayreuther „Ring“ Furore machte.

Auch sängerisch ist dieses „Rheingold“ nicht wirklich sensationell, man hat schon bessere Besetzungen gehört. Michael Volle singt zwar einen noblen Wotan, Claudia Mahnke hingegen eine eher schwachbrüstige Chefs-Gattin Fricka im spießigen Kostüm, die Freia von Vida Miknevičiūtė hat das lauteste und schärfste Gesangsorgan, die Ungarin Anna Kissjudit als Erda (im blauen Straßenkleid) das schönste. Der Loge von Rolando Villazón ist weithin unverständlich, fällt aber durch komische schauspielerische Qualitäten auf. Donner (Lauri Vasar) und Froh (Siyabonga Maqungo) sind rollendeckend besetzt, auch Alberich (Johannes Martin Kränzle) und Mime (Stephan Rügamer). Fasolt (Mika Kares) und Fafner (Peter Rose) singen bassprächtig. Superb sind die Rheintöchter: Wogline (Evelin Novak), Wellgunde (Natalia Skrycka) und Flosshilde (Anna Lapkovskaja).

Gewiss, Wagners monumentaler „Ring“-Vierteiler mit nahezu 16 Stunden Spielzeit ist noch immer eine der größten Herausforderungen eines jeden Opernhauses, was Regie, Ausstattung, Sänger und Orchester angeht. Dieser Auftakt des neusten „Rings“ (es sollte der dritte von Daniel Barenboim Unter Den Linden sein) ist jedenfalls – trotz allen Aufwandes – enttäuschend, musikalisch vor allem. Warten wir ab, wie die kommenden drei Teile der Tetralogie ausfallen.

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