Vierteltöne, Microjazz, Musiktheater: Das 3. Kammermusikfestival Regensburg hatte wieder ein interessantes, ambitioniertes Programm zusammengestellt. Das Motto „Zwischentöne“ wurde dabei auf vielfache Weise musikalisch zum Leben erweckt. Juan Martin Koch berichtet:
„Blow bugle, blow, set the wild echoes flying“: Benjamin Brittens Serenade für Tenor, Horn und Streicher ist eines dieser Werke, das einen immer wieder packt. Zumal im Konzert, wenn das Horn die Echos durch den Raum fliegen lässt und der Tenor den vertonten Gedichten Präsenz und Unmittelbarkeit verleiht. Beim 3. Kammermusikfestival Regensburg waren es Hornist Christoph Eß und Tenor Jörg Dürmüller, die dies zusammen mit dem Festivalorchester Camerata Goltz auf wunderbare Weise bewerkstelligten.
Die Naturtöne des Horns, die Britten für Prolog und Epilog verlangt, bildeten in diesem Programm die Verbindung zum Festivalthema „Zwischentöne“. Dem waren ein Konzert des Hába Quartetts und ein Abend mit dem Quartett des Saxophonisten Philipp Gerschlauer ausdrücklich gewidmet. Alois Hábas viertel- bzw. fünfteltönige Streichquartette Nr. 2 (1920) und Nr. 16 (1967) entwickelten in der kompetenten Interpretation ihrer Sachwalter große Überzeugungskraft. Vor allem das spätere Werk zeigt in den acht kleinen Charakterstücken, aus denen es sich zusammensetzt, einen jeweils ganz eigenen Tonfall.
Sehr eigen auch der Sound beim „Microjazz“ Philipp Gerschlauers, wobei die Vierteltöne auf dem Saxophon weniger überraschten als auf den Keyboards, die sich Georg Vogel faszinierenderweise vierteltönig zurechtgebastelt hat.
Zwischen Kammermusik und Jazz
„Zwischentöne“ sollte aber wohl auch dafür stehen, dass das Festival Bereiche zwischen den Genres und außerhalb des Kerngeschäfts Kammermusik ansteuerte. So gestaltete Philipp Gerschlauer ein Solo-Nachtkonzert, wobei seine dreiviertelstündige „Celestial Church Music“ vor allem dort überzeugte, wo er tatsächlich nur mit seinem Saxophon die Raumakustik zum Mitgestalter machte. Sein Spiel zu selbst erzeugten Orgelpunkten und Akkordbrechungen auf den beiden Instrumenten der Kirche wurde dann zunehmend eindimensionaler. Jazzrock, R&B und leicht anstrengende Weltumarmungsballaden gab es von Jocelyn B. Smith. Gesanglich war ihr charismatischer Auftritt überragend, und auch die Band um Volker Holly Schlott kam zwischenzeitlich gehörig in Fahrt.
Endlich konnte außerdem das schon für die Festivalpremiere 2020 in Auftrag gegebene „Twilight to go“ von SJ Hanke uraufgeführt werden. In dem kurzweiligen 20-Minüter für Kontrabassquartett und Jazzklavier versucht Hanke im Klavierpart Auskomponiertes und Improvisiertes unmerklich ineinander übergehen zu lassen – Lorenz Kellhuber setzte das bravourös um. Die Mischung aus freitonalen Passagen und leicht angejazzten Harmonien funktioniert, zu kurz kommt aber eine echte Interaktion zwischen Piano und Basskollektiv. Dieses ist zunächst eher rhythmisch-perkussiv, später aber auch flächig-atmosphärisch gefordert, was das Oslo Fat String Quartet ausgezeichnet meisterte.
Ganz klassisch waren die Auftritte des Armida Quartetts und des Pianisten Fabian Müller. Der begleitete den Cellisten Maximilian Hornung und überzeugte in einem erstklassigen, intensiven Solo-Recital mit Schuberts A-Dur-Sonate D 959 und Beethovens „Appassionata“.
Atlas mit Discokugel
Am weitesten aus dem Kammermusikfenster hatte sich das Festival schon zur Eröffnung gelehnt: mit einer erfrischend offenen, frei-assoziativen Musiktheateruraufführung in Kooperation mit dem Akademietheater Regensburg (Musik: Max Andrzejewski, Regie: Georg Schütky). Weder der etwas gespreizte Titel („An den Rändern der Risse … in der Lücke das Grün“) noch die schwammige Ankündigungsprosa – beides offenbar getextet, bevor feststand, was beim Kreativprozess der Beteiligten tatsächlich herauskommen würde – gaben eine Ahnung davon, was bei der gut einstündigen Performance zu erleben war.
Zu Beginn gibt ein Instrumentalensemble (Flöte, Viola, Gitarre, E-Gitarre, Kontrabass) mit einem leicht zerdellten Klangband die Soundatmosphäre vor, bis sich 14 Schauspielstudierende allmählich zu einer Gruppe formieren. Mit Gesten und Tanzfragmenten changiert diese zwischen homogenem Kollektiv und einer Zufallsgemeinschaft vereinsamter Individuen. Vereinzelt lösen sie mit Oberflächenberührungen elektronisch erzeugte Geräusche aus und das aufgeteilte Publikum folgt den Akteuren nun durch die labyrinthischen Räumlichkeiten eines Clubs in der Regensburger Altstadt. Immer wieder macht das abstrakte musikalische Stationentheater halt; als stärkstes Bild trägt eine Performerin eine Discokugel auf dem Rücken, ein unglücksel’ger Atlas der Dance-Kultur. Die Instrumentalisten begleiten diese poetisch verrätselten Szenerien mit Soloimprovisationen (Bass, verzerrte Gitarre), die sich gelegentlich zu kleinen Ensemblepassagen verfestigen, inklusive Vokalisen der Schauspieler.
In einem Mittelteil versammelt sich zwischenzeitlich alles zu einem groovenden Tanzkollektiv, der stärksten Passage von Max Andrzejewskis Musik. Die großflächigen Videoprojektionen urbaner Impressionen kehren im Finale wieder. Staunend betrachten die Theater-Akteure sich nun selbst auf der Leinwand. „Das sind ja wir!“, scheinen sie innerlich auszurufen angesichts der fröhlich-gelösten Gruppe Gleichgesinnter in Alltagskleidung. Diese Diskrepanz zwischen Bühnenidentität und realer Existenz findet schließlich Ausdruck in einem zunächst pathetisch hochtrabenden, dann nachdenklich ausfransenden Popchor, der einen „neuen Namen“ und eine „neue Haut“ einfordert.
Das vierte Kammermusikfestival Regensburg wird vom 16. bis 24. September 2023 stattfinden, das Programm wird am 28. April verkündet.