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Camille Schnoor (Hanna Glawari), Adam Cooper (Der Tod). Foto: © Marie-Laure Briane
Camille Schnoor (Hanna Glawari), Adam Cooper (Der Tod). Foto: © Marie-Laure Briane
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Eros thanatos um eine Witwe – Lehárs Erfolgsoperette zum 152-jährigen Jubiläum des Münchner Gärtnerplatztheaters

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„Als sich um neun Uhr die Türen endlich auftaten, drängte die Masse mit so vehementer Kraft vorwärts, dass es der Schutzmannschaft nur unter Aufbietung aller Energie gelang, größeres Unheil zu verhüten. Kinder, die in Gefahr schwebten, erdrückt zu werden, mussten über die Köpfe hinweggezogen werden und mancher zerrissene Anzug, manch’ ruiniertes Kleid zeugten von dem Kampf um Billets, der am Gärtnerplatz getobt.“ Derartige Zeitungsmeldungen wie anlässlich der 150.Vorstellung von Lehárs „Lustiger Witwe“ am 15.April 1907 gibt es nun am 4.November 2017 nicht.

Dennoch war der Erwartungsdruck auf die Eröffnungsinszenierung durch Intendant Joseph Köpplinger enorm: Münchens „andere“ oder Komische Oper hat eine lange Aufführungstradition des Operetten-Klassikers: schon im Juni 1907 dirigierte Lehár selbst die 200. en-suite-Vorstellung; heimische und auswärtige Operetten-Stars wechselten durch regelmäßige Neuinszenierungen, gipfelnd in NS-Plänen zu einer „Staatsoperette“ und Hitlers mehrfachen Besuchen der „Lustigen Witwe“. Honorig, dass gerade in München die Inszenierung Louis Treumann, dem in Theresienstadt umgekommenen Uraufführungs-Danilo gewidmet ist. (Siehe Köpplingers Aussagen in nmz online 11.10.2017). „Was wir  wollen!“ lautete der bunt gemischte Eröffnungsabend am 4.November 1865 – und es war zu erwarten, dass Köpplinger nun 152 Jahre später künstlerisch zeigen wird, was er und sein ganzes Team künftig wollen.

Schellackplatten-Knistern

Prompt begann der Abend mit einem von Schellackplatten-Knistern umrauschten Vorspiel. Vor dem neuen „Wagner-Vorhang“ nahm ein hochgewachsener, kahlköpfiger und schwarz gekleideter Mann in einem Polsterstuhl der Uraufführungszeit Platz. Er blickte nach Öffnen des Vorhangs in einen bühnenhohen, schmalen Spiegel, in dem sich zunächst auch das amüsierte Publikum sah. Dann wurde der Spiegel durchsichtig, der Trauerzug mit dem Sarg des Hofbankiers Glawari überquerte die Bühne – die nun millionenschwere Witwe stockte – und zwischen ihr und dem schwarzen Mann baute sich eine Beziehung auf: inmitten aller kommenden Lustigkeit begleitete von nun an dieser Todesengel Hanna Glawari. Choreograph Adam Cooper changierte dabei in Tanz und Spiel zwischen lockendem Trost und bestürzendem Dazwischengehen und reichte mehrfach inmitten aller roten eine schwarze Rose. „Eros thanatos“ war damit von Dramaturgie und Regie angeschlagen…

Die Hauptzüge der Handlung inszenierte Köpplinger in Rainer Sinells auf die Kaiserzeit weisenden Bildern – mit dem Höhepunkt eines Pavillons mit lebenden „griechischen Säulenträgern“ - gradlinig, so dass dieser Pfeiler des künftigen Repertoires auch für wechselnde Besetzungen und Gastsolisten keine Übernahmeprobleme bietet. Jetzt trat Daniel Prohaska als adeliger Hallodri Danilo schon gut in die Fußstapfen großer Rollenvorgänger; sein bitteres „Königskinder“-Gleichnis gelang ihm so emotional, dass anschließend kurz die Stimmbänder belegt waren. In Camille Schnoor kam eine bildhübsche Jung-Witwe auf ihn zu, die nur zu wenig charmant spielerische Lebens- und Liebeslust versprühte und mehrfach an stimmliche Grenzen gehen musste. Da muss Dirigent Michael Brandstätter mit der zwar der Uraufführung angenäherten kleinen Orchesterbesetzung verstärkt einplanen, dass der akustisch optimierte Orchestergraben leicht „zuviel hergibt“. Jetzt bestachen Sophie Mitterhubers Valencienne und Maximilan Mayers Camille über ihre blendenden Bühnenerscheinungen hinaus auch vokal am meisten, so gut die vielen Nebenrollen aus dem Ensemble auch besetzt waren.

Detailreich

Alle ihre erotischen Irrungen und Wirrungen führte Köpplinger in Feinzeichnung und kleinen Nebenhandlungen amüsant vor – immer auch mit präzisem Timing für die unsterblichen Wortwitze der Librettisten Léon und Stein. Dieses Panoptikum gipfelte in der Rolle des Botschaftssekretärs Njegus: durch die Bühnenpräsenz einer Sigrid Hauser wurde daraus ein herrlich doppelbödiges Gender-Porträt des alle Irrtümer einrenkenden und Peinlichkeiten auffangenden Faktotums – mit dem Höhepunkt, dass Hauser im imitierten „Maxim“ des 3.Akts aus ihrer Hosenrolle raus in ein gezielt schlecht sitzendes Grisetten-Kostüm wechseln durfte: parallel zu vier Transvestiten-Grisetten setzte sie dem erotische Kuddelmuddel mit dem für London nachkomponierten Couplet „Quite Parisian“ ein Sahnehäubchen auf.

Diese Details einer „anders lustigen Witwe“ durchzogen den ganzen Abend, in dem Adam Coopers Tod immer wieder auftauchte. Er war in einem Fotolinsen-Ausschnitt des Rückvorhangs auch der Jägersmann in Hanna Glawaris „Vilja-Lied“. Mehrfach unbewusst lehnte sich Hanna an ihn an. Er versuchte, sich bei jeder Annäherung zwischen die Liebenden zu drängen. Im Vorspiel zum 3.Akt kommt es gar zu einem Pas de deux zwischen ihm und Hanna. Erst im Finalduett „Lippen schweigen“ muss der Tod der Liebe weichen. Doch allen süßen Seim der Kaiser-Zeit konterkariert Regisseur Köpplinger am Ende: Njegus meldet den Mord von Sarajewo und den Krieg – in die aufziehenden Rauchschwaden gehen alle Männer davon – nur der Tod kommt und küsst Hanna Glawari… eine gebrochen „Lustige Witwe“ für dramaturgisch mitdenkende Operettenfreunde.

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