Vom Boulevard bis zu Youtube: aktuelle Bilder und Filmchen zeigen vielerlei Arten, wie und warum sich Menschen zu Narren machen. Da ist also keine Rekonstruktion des Renaissance-Hofes zu Mantua nötig, um die zeitlose Gültigkeit von Giuseppe Verdis Klassiker vorzuführen. Ob das konsequent gelang, prüfte unser Kritiker Wolf-Dieter Peter in Münchens anderem Opernhaus am Gärtnerplatz.
Trocken düstere Orchesterschläge zur Einleitung – und dann legten das Orchester und Chefdirigent Anthony Bramall los: rasante Tempi und eine Lautstärke, wie sie ein heutiger Pop-Event bietet – da sollte also wohl jede Verdische Hmtata-Gemütlichkeit vermieden werden - und dazu dann auch noch Premierenanspannung: es wurde zu viel des Lauten. So war auch einer der grandiosen Fortissimo-Höhepunkte der Partitur, das tödliche Gewitter-Terzett mit Sparafuciles und Maddalenas Mord-Opfer-Tausch vom Herzog zu Gilda und deren Selbstaufopferung halt auch nur so laut wie vieles. Von der sensiblen Bandbreite in Verdis Komposition war fast alles unterhalb „forte“ forsch und klangfest wegmusiziert.
Leider waren und wurden auch die Solisten davon angesteckt – Schmettergesang fast durchweg. Zusätzlich stand mit Aris Argiris ein Bariton-Hüne als Rigoletto auf der Bühne, bei dem die Regie-Ankündigung im Programmheft-Interview, dass er seine körperliche Deformation durch ein Stützkorsett unsichtbar mache, leeres Versprechen blieb. Argiris sang deftig drauflos, anfangs vieles zu tief und so auf „Power“ angelegt, dass der Werkkenner ihm die Interpretation Tito Gobbis empfehlen muss: da wären Piani am Inneren-Monolog-Beginn des „Pari siamo“, für die kurze väterliche Zärtlichkeit des „Piangi“ im Kontrast zum explodierenden „Vendetta“ zu erlernen. Tenor Lucian Krasnec war ein agil überdrehter, Sex-besessener Frauenheld mit guter Höhe. Levente Páli und Anna-Katherina Tonauer gaben ein überzeugendes Mörder-Duo Sparafucile und Maddalena. Der Monterone von Christoph Seidl und sein werkprägender Fluch wirkten im allgemeinen Fortissimo zu wenig erschreckend. Einzig Jennifer O’Loughlin gestaltete über ihre frauliche Erscheinung hinaus eine Gilda mit piano-seligem Schwelgen, einem Hauch von klassischer Belcanto-Artistik und dann schön kontrastierend mit dem großen Gefühlsausbruch. Gute Nebenrollen und der von Pietro Nemico einstudierte, klangwuchtige Chor – eine Aufführung mit durchgängigem „Peng“.
Das wäre nicht nötig gewesen, denn Regisseur Herbert Fröttinger ist eine in sich konsequente Aktualisierung gelungen: Ein enthemmt hedonistisches Männerteam um einen bedenkenlosen Hedge-Fond-Manager, der sich auch mal Gualtier Malde nennt; eine wüste Party in einer rotierenden, entlarvend seelenlosen Giorgio-de-Chirico-Architektur (Bühne: Walter Vogelweider), wohl in einer Steuer-Oase wie Malta oderoderoder; ein flacher Deko-Pool, der auch mal zur Abkühlung genutzt wird; Alkohol, Champagner, Kokain, Viagra und viele weibliche Körper als Ware – das alles konnte überzeugen. Sehr hübsch das Detail, dass dieser „Herzog“-Protz mit Blumenbukett, Champagner und kleiner Party-Band bei Gilda antanzen will, doch als er von ihren bescheidenen Wünschen hört, alle wegschickt und im abgenutzten Musikerjackett als Student mit einem Blümelein sein „T’amo“ singt. Zu all dem passte auch die derzeit gängige Joker-Schminkmaske von Rigoletto - nur eben der ungebrochene Hüne nicht, den plötzlich vor der toten Tochter spastische Handgesten anwandeln. Auch die abgelegene Tankstelle Sparafuciles als Vorort-Absteige wäre eine mögliche Neudeutung, nur war sie für Verdis fulminante Gewitter-Musik und das düstere Ende durchweg zu hell ausgeleuchtet. So blieb als genereller Eindruck: zu grell, zu derb, zu laut. Doch vielleicht ohne Premieren-Druck…