In der ohnehin herrlich vielfältigen, weltweit beneideten deutschen Opernlandschaft schmücken sich die Häuser gerne mit Uraufführungen. Frankfurts Oper erkundet darüber hinaus auch blinde Flecken oder kaum erkundete Ränder des Repertoires – jetzt Gabriel Faurés einziges Musikdrama „Pénélope“, 1913 im damals auf Novitäten und Avantgarde erpichten Monte Carlo uraufgeführt. Auch unser Kritiker Wolf-Dieter Peter reiste an, um das Werk erstmals auf der Bühne zu erleben.
Begeisterung für die zeitlose Größe antiker Stoffe war Fauré und seinem Librettisten René Fauchois gemeinsam. Sie wollten Homers „Odyssee“ nahe bleiben. Angesichts seines Alters bestand der über 60jährige Komponist auf der Reduzierung des Personals: viele Nebenfiguren und vor allem der Sohn Telemachos wurden weggelassen. Auf drei Akte wurde die Problematik von zehn Jahren Ungewissheit, Warten und Wiederbegegnung verdichtet. Erstaunlich bleibt, dass es beide Autoren angesichts der damals schon virulenten Frauenbewegung und den Erkenntnissen der Psychologie bei der homerisch-männlichen Sicht beließen: während der Held in zehn Jahren von Kirke zu Kalypso und Nausikaa „irrt“, bleibt die Ehefrau Pénélope, kein Hascherl, sondern eine spartanische Königstochter, trotz vehementer Anfechtungen von fünf Bewerbern gradlinig treu … ist das für eine Hauptfigur nicht musikdramatisch „eindimensional“, wenig bühnenwirksam?
Da sind also Interpretation und Realisierung gefragt und gefordert. Szenisch wurde diese Werkproblematik in Frankfurt nicht gelöst. Regisseurin Corinna Tetzel wollte die Problematik „vermeintliche Kriegerwitwe“ wohl zeitlos aktuell machen. Doch die Verlegung aller Hauptaktion auf ein südländisches Flachdach mit verrosteter Satellitenschüssel, wetterfesten Metallstühlen und Baumspitzen im Hintergrund (Bühne: Rifail Ajdarpasic) brachte keinerlei Interpretationsgewinn – nur den Verlust aller Macht-Problematik, schließlich geht es bei einer Wiederverheiratung auch um den Inselstaat Ithaka und seinen Reichtum. Eine moderne Prinzessin würde wohl eher in einer Designer-Villa umworben werden. Visuell ebneten die schlichten schwarzen Anzüge mit weißem Hemd für Pénélope und die fünf sie belagernden Männer alle Unterschiede von Stand und Macht ein – leider auch den eigentlich doch als unkenntlich verdreckten Bettler auftretenden Odysseus, dem nur das Hemd teilweise aus der Hose hing. Kostümbildnerin Raphaela Rose steuerte lediglich ein schönes Detail bei: das Totenhemd, das Pénélope tagsüber webt und nachts als „Zeitgewinn“ wieder auftrennt, ist eine Art Unterkleid der Heldin, dessen lösbare „Bande“ sie schützen - und „erinnerungserotisch“ binden – doch diese Idee wurde nicht tragend ausgesponnen. Auch ein visuell schöner, mit weißen Rosen gesäumter Weg zum Felsvorsprung, auf dem sich das Paar fast erkennt, führte ins Nirgendwo und ein junger Hirt, der Pfeile zu den Rosen steckte, wirkte zwar wie Telemachos - doch auch das blieb unausgeführt - wie auch der dramatische Höhepunkt um das Spannen von Odysseus‘ Bogen und das Gemetzel an Werbern und abtrünnigen Mägden. Da spielte Bibi Abels Video auf einer Rückwand herein: mit leidenschaftlich gedachten Großaufnahmen der Gesichter von Pénélope und Odysseus, während beide vorne real mit einem zum Messer reduzierten „Schwert“ ins Nichts stachen … davor auch Video mit Dachgarten und umhergehender Pénélope, Bildschirm-Geriesel und dann sinnentleertes Abstrakt-Design – abermals „Wenn die Regie nicht weiterweiß, hilft Video und Trockeneis“. Der Trockeneis-Nebel blieb aus.
Dafür beeindruckte viel musikalische „clarté“. Der in Lied und Kammermusik erfahrene Fauré deckt die Gesangspartien nie zu und Dirigentin Joana Mallwitz realisierte mit dem fein reagierenden Frankfurter Opernorchester diese sensible Klangatmosphäre. Dazu kontrastierten dann die dramatischen Ballungen im Vorspiel und um Odysseus beeindruckend. Chromatisches Changieren und raffinierte Klangfarbenvaleurs machten Faurés Eigenständigkeit zwischen Wagner und Debussy hörbar: ein Traditionalist, der nicht reaktionär tönt, reizvoll. Aus dem Frankfurter Top-Niveau von fünf schön unterschiedlichen Werbern und fünf anfangs widerstrebenden, dann willigen Mägden ragten die zwar viel zu junge, aber eindrucksvoll herbe Amme von Joanna Motulevicz und der mächtige Hirte von Božidar Smiljanić heraus. Der kanadische Tenor Eric Laporte brachte alle nötige Wucht und Power für Odysseus mit, konnte auf dieser Bühne und in diesem Kostüm aber nicht überzeugen, was nur der Regie anzulasten ist. Zu welcher tränenrührenden Expression Mezzosopranistin Paula Murrihy fähig ist, hat sie als unvergessliche Purcell-Dido bewiesen – also eine Traumbesetzung für diese andere scheinbar verlassene Frau. Doch so leise intensiv sie Pénélopes inneres Ringen auch gestaltete: in diesem szenischen Ambiente stellte sich das hörende Mitleiden nicht ein; Paula Murrihy blieb unterfordert. So wirkte Gabriel Faurés Musikdrama insgesamt wie eine „Opern-Orchidee“, die nicht zu voller Blüte kam.