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Gordon Bintner (Alexandr Petrovič Gorjančikov) und Ensemble. Foto: Barbara Aumüller
Gordon Bintner (Alexandr Petrovič Gorjančikov) und Ensemble. Foto: Barbara Aumüller
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Janáček verunklärt – „Aus einem Totenhaus“ an der Oper Frankfurt

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Uraufführungen schmücken ein Opernhaus, aber auch Interpretationsmaßstäbe setzende Inszenierungen. Die Oper Frankfurt kommt da immer wieder mit der „Neuenfels-Gielen-Aida“ und dem „Berghaus-Gielen-Ring“ ins Gespräch. Für ein bildlich „quer im Repertoire“ stehendes Werk wie Leoš Janáčeks „Aus einem Totenhaus“ gilt das auch: 1994 ließ Frankfurts damaliger GMD Sylvain Cambreling eine schon legendäre Brüsseler Produktion neu einstudieren: die bis ins Detail geformte psychische Deformationsstudie des medizinisch vorgebildeten Peter Mussbach für rund 30 Sängerdarsteller – eine unvergessliche „Wegemarke“.

Die Messlatte lag also sehr hoch. Musikalisch wurde sie gleich mit den ersten Takten des Vorspiels unterlaufen. Im Hoffnungen weckenden Trio italienischer Jung-Dirigenten – den in Frankfurt bereits beeindruckenden Antonello Manacorda und Lorenzo Viotti – gilt Tito Ceccherini als der Mann für Werke nach 1900. Womöglich wollte Ceccherini eine von italienischen Klangvorstellungen geprägte Janáček-Interpretation liefern. Schon die eigentlich schneidend insistierenden Streicher klangen rund und weich. Alles, was in Janáčeks Musik dann sperrig, schneidend, kantig, grell aufschreiend oder klagend komponiert ist, wirkte akzeptabel – und eben nicht verstörend, aufschreckend oder querstehend zu allen Opernerwartungen: „Ich komme mit der Wahrheit durch, der äußersten Wahrheit“ intendierte Janáček - dass nämlich „In jeder Kreatur ein Funke Gottes“ sei, auch in den verrohten Lagerinsassen, den Kriminellen, Mördern und Vergewaltigern. Das hätte aus den Klangballungen aufleuchten sollen, auch das fehlte. Eine Enttäuschung.

Regisseur David Herrmann wollte verständlicherweise weg von pseudorealistischer Lagerszenerie des Zarismus, Stalinismus, der KZs, der Roten Khmer oder der CIA. In einem Vorspiel wird der in heutigem Ambiente mit seiner Partnerin an Notebooks wohl investigativ arbeitende Journalist Gorjantschikov brutal gefangen genommen und beide verschleppt. Diesen einleuchtenden Ansatz verspielten dann Herrmann, sein Bühnenbildner Johannes Schütz und Kostümbildnerin Michaela Barth. Auf der vielfältig gespaltenen Drehbühne kreisten graue Wandteile, bildeten beängstigend enge, irreale und auch normale Räume: mal ein primitives Krankenzimmer, mal eine wirr gestapelte Stuhllandschaft, mal einen Glaskasten als nicht recht erschreckende Einzelzelle, mal ein schlichtes Büro.

Irgendwie-Assoziationen

Über die kreisende Mitte tänzelten dann mal ein Pope, ein Brautpaar und drei Märchenbuch-Hexen - nicht als bürgerlicher Kontrast von kurz ins Lager schauender „Gesellschaft“. Irgendwie ließen sich „Kafka“, „Beckett“ oder „Ionesco“ assoziieren, aber eben nur „irgendwie“ und nicht alptraumhaft. Denn die Verhaftenden trugen die gleiche blaue, uniformähnliche Kluft wie die Insassen; hyperrealistisch wurden dem Journalisten Gorjantschikov alle Finger mit einem Hammer zerschlagen; ein brutal wirkender Arzt will ihm beide Hände amputieren – und genau dieser Arzt stellt sich dann als Verleumder-Betrüger-Gewalttäter Filka-Luka heraus: seinetwegen hat Häftling Šiškov seine Frau umgebracht; während seiner selbstquälerisch langen „Beicht-Erzählung“ sollte Filka sterben und als sich Šiškov dennoch auf ihn stürzen will, komponiert Janáček den Leitsatz überwältigenden Mitleids „Auch ihn hat eine Mutter geboren“.

Was ein Höhepunkt aller Opernkunst sein kann, ging einfach unter und verloren, denn der Lagerarzt Filka blieb am Leben und bedrohte den befremdlich gefesselten Šiškov mit einer Amputationsschere, Gorjantschikov durfte wegen der Bittschrift seiner Mutter wieder in sein Journalistenzimmer zurückkehren, seine gedemütigte und traumatisierte Partnerin trösten… wieder einmal war der Versuch eines Jungregisseurs, einen Giganten wie Janáček zu verbessern, kläglich gescheitert. Um die schwierigen Züge im Werk hatte er sich ohnehin gemogelt: den anfangs verletzten Adler, den die Häftlinge pflegen und als hoffnungsvolles Symbol am Ende fliegen lassen; um die kläglich groteske Theatervorstellung der Häftlinge; um die Ausgestaltung der zarten, eventuell sogar homoerotischen Beziehung zwischen Gorjantschikov und dem jungen Aljeja; um das Gewabere der Häftlinge, aus denen die vier großen „Gewalterzählungen“ aufsteigen und versinken. Hier blieb umso befremdlicher haften, dass Šiškov spät und plötzlich im sauberen Anzug auftaucht, nicht beraubt und eingekleidet wird…

So blieb insgesamt nur das Erlebnis sehr guter Sängerleistungen, dem jugendlich ungebrochen wirkenden Gorjantschikov von Gordon Bintner, Vincent Wolfsteiners brutalem Arzt Filka-Luka, AJ Glueckerts klagendem Skuratov vor dem klanglich gut abgestuften Männerchor (Einstudierung: Tilman Michael). Sie alle überragte Johannes Martin Kränzle als Šiškov: er führte über alle Inkonsequenzen der Inszenierung vor, was Janáček tief anrührend an menschlichem Elend gestaltet, ja zu einem Mahnmal geformt hat: in jeder Kreatur ein Funke…

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