Die Theater Chemnitz und die Volksoper Wien feiern in einer Koproduktion den 200. Geburtstag von Franz von Suppé. Doch die selten gespielte Operette „Der Teufel auf Erden“ (Wien 1878) ist auch in der textlichen Neufassung von Alexander Kuchinka kein einfaches Stück. Raffinierte Musiknummern folgen auf sehr ausgedehnte Dialogszenen. Die Orts- und Zeitsprünge von der Hölle in ein Kloster, eine Kaserne und eine Tanzschule erfordern darstellerisches Geschick. Dabei enthält das Opus erstaunlich gute Musik.
So viel Teufel war schon lange nicht mehr auf einer sächsischen Bühne wie bei dieser Wiederentdeckung zum 200. Geburtstag Franz von Suppés in der Oper Chemnitz. Selbst nach dreieinhalb Stunden zeigte das Publikum nur leichte Ermüdungserscheinungen und spendete dem „Teufel aus Erden“ freudigen Applaus. Zu lernen ist aus dieser zwischen Suppés berühmteren Werken „Fatinitza“ und „Boccaccio“ entstandenen frühen Wiener Operette, die noch zwischen Offenbachiade, Singspiel und Sittenbild schwankt, viel über die Satanologie des 19. Jahrhunderts, aber auch über die Unterschiede sächsischer und österreichischer Publikumsvorlieben. Nach der Uraufführung am Wiener Carltheater 1878 verschwand das Werk schnell in der Versenkung. Grund dafür war höchstwahrscheinlich die im Sujet versteckte Forderung nach Liberalität und möglicherweise die Verhaftung in der kräftig auf‘s Korn genommenen, aber überlebten Tradition des Wiener Zauber- und Mysterientheaters. Die Tücken der zwischen „Fledermaus“ und „Bettelstudent“ entstandenen „fantastisch-burlesken Operette“ merkt man auch bei dieser ambitionierten Koproduktion der Theater Chemnitz und der Volksoper Wien. Dort schwingt der Teufel noch immer seinen Schwanz wie im Märchenbuch und fletscht die Zähne im zotteligen Gesicht. Derartiges kennt man im Süden auch aus den Volksschauspielen, in Sachsen vor allem aus dem Puppentheater.
Ein weit aufgerissener Höllenrachen gibt den Blick frei in die tiefrot glühende Unterwelt mit Kannibalen-Kochtöpfen und der in lasziver Ausgelassenheit tobenden Sünderschar. Sogar Spitzenpolitiker wie der amerikanische Präsident werden an der Pforte abgewiesen und die die Hölle wird der anstürmenden Logis-Interessenten nicht mehr Herr, denn der Himmel ist megaout.
Jetzt erst merkt man, dass es sich um eine Aktualisierung handelt. Alexander Kuchinka vergleicht seine Bearbeitung mit dem Opernhaus-Gebäude in Chemnitz, bei dem hinter der echt historistischen Fassade ein moderner Innenausbau steckt. Doch so einfach lässt sich das nicht auf den originalen Text von Karl Juin und Julius Hopp übertragen. Kuchinka schätzt deftige Kalauer und Zoten mehr als Feinschliff. Auch deshalb gelingt es der Robert-Schumann-Philharmonie in der sorgfältigen musikalischen Einrichtung des Dirigenten Jakob Brenner nicht so recht, sich aus den schwerfälligen Pointen der überlangen Dialoge hinauf in Suppés musikalisches Firmament zu erheben. Zwischen Bühne und Graben wackelt es mehrfach.
Toll ist der Abend vor allem deshalb, weil er ein vergessenes Stück mit absurden Ortswechseln und Zeitsprüngen reanimiert. Die Gründerzeit war mehr Dada und Gaga, als wir uns das in unserer Bildungsgefälligkeit träumen lassen. Kostüme mit Fell, Hörnern, Schweif und Smartphones sind der Haupttrumpf des die Regie und die Gesamtausstattung verantwortenden Hinrich Horstkotte.
Der Oberteufel ist weg und deshalb soll der Höllenknecht Ruprecht (Alexander Kuchinka) den höllenflüchtigen Chef auf der Erde suchen. Das tut er und trifft auf den Engel Rupert (Matthias Winter mit androgyner Milde, Flügelchen und Heiligenschein). Die ungleichen Freunde ziehen jetzt gemeinsam durch Raum und Zeit: In ein Kloster (17. Jahrhundert), in eine Kaserne (19. Jahrhundert) und in die Tanzschule ‚Höllen-Schimmel‘ (in der Neufassung: 2019). Der Witz daran: Teuferl und Engerl begegnen dabei immer wieder von den gleichen Darstellern gespielten Paaren, die in der Vergangenheit ihren Herzensbund zwar gegen alle böse Widrigkeiten besiegeln, in der Gegenwart aber an Selfie-Sucht und Star-Ambitionen scheitern. Bei Suppé ist die Kluft zwischen lyrischem und komischem Paar noch nicht so groß wie bei Johann Strauß oder Lehár. Franziska Krötenheerdt und Sylvia Rena Ziegler sind kokett, frivol und alles andere als unerfahrene Backfische. Horstkotte versäumt es leider, aus dem gestandenen Reto Rosin und den baumhohen Andreas Beinhauer vergleichbar temperamentvolle Funken zu schlagen. Es bleibt Aufgabe der raumsprengenden Episodenfiguren, das Auditorium mit geballter Bösartigkeit zu bombardieren. Gerhard Ernst wird vom Krimidarsteller zum geldgierigen Vormund, der sich aus den Geldtöpfen seiner heiratswilligen Schutzbefohlenen bedient. Als echter Weibsteufel wie aus einem romantischen Schauerroman hat Stiftsvorsteherin Aglaja (Dagmar Schellenberger in diabolischer Bestform) nichts einzuwenden gegen heimlichen Sex, Missbrauch, Korruption und illegale Finanzaktionen, mit denen sie ihr Kloster vor dem Bankrott schützen will.
In diesen Szenen zeigt sich die Unentschiedenheit der Produktion: Fast alles fiel aus der Bearbeitung heraus, was im Original an Doppelbödigem über die Zeitumstände steckt. Aktualisierungen beschränken sich auf Schlagworte und grobe Gesten. Überfülle und Leere sind ganz nahe zusammen: Die Bühne ist immer rammelvoll. In der Masse überzeugt de Chor (Leitung: Stefan Bilz) mehr als in den Gruppen schütterer Nonnen und bulliger Kadetten. Was dieser Abend hätte werden können, sieht man an den Szenen der Opernballettschule, wenn sich Kasperl und Krampus, die Engel und Teufel der jüngeren Generation ihr putziges Stelldichein geben. Nur da und bei einigen belcantesken Ensemblestellen vernimmt man endlich Franz von Suppés beglückende kompositorische Meisterschaft.
- Wieder am Sa 04.05., 19:00 – Fr 17.05., 19:00 – Fr 24.05., 19:00 – So 02.06., 15:00 – Gastspiel in Aschaffenburg: Mi 19.06., 19:30 – Do 20.06., 19.30 – Wiederaufnahme in der Spielzeit 2019/20 in der Oper Chemnitz