Drei Ensembles mit acht Kompositionen, aufgeführt im Radialsystem Berlin. Damit wurde der Monat der zeitgenössischen Musik in Berlin, der in diesem Jahr sein dreijähriges Jubiläum feiert, eingeläutet. Es wird 146 Konzerte geben, verteilt auf 65 Spielstätten. Ein Mammutunternehmen, das bündelt, was zudem teilweise ohnehin in Berlin läuft. Der Eröffnungskonzert bot nun selbst ein Panorama des Ganzen, fokussiert auf zwei Stunden. Eine gelungene Veranstaltung, findet Martin Hufner.
Was bereitet einem eigentlich so viel Freude an zeitgenössischer Musikproduktion? Das kann man schnell sagen: Es ist das Gefühl, mit Musik neue Erfahrungen zu machen, das Unerhörte in sich selbst zurückschwingen lassen zu können. Bevor das Konzert begann, befragte die Musikjournalistin Leonie Reineke Vertreterinnen der drei Ensembles, die an diesem Abend aufspielten, weniger zu den Werken als zu Art und Weise ihrer jeweiligen Arbeit. Unabhängig vom Gesagten reichte schon ein Blick in die Gesichter der Befragten: Es funkelte in ihnen eine Freude über das Musikmachen, eine Glückseligkeit, Musik zum Klingen zu bringen und die Liebe zur Sache selbst: kurz Begeisterung. Man spürte, es kann etwas Unvergleichliches und Unwiederbringliches passieren. Vielleicht sogar etwas Unauslöschliches. Das ist interessant: Denn dieser Blick stellt die Musikerinnen der Ensembles und die Ensembles als solche in den Fokus. Die Kompositionen mögen so verschiedenen Ideen und Ästhetiken folgen wie sie wollen: Was zählt, ist das, was passiert. Dahinter verblasst die Urheberschaft als solche und die Konzeption des Werkes wird zu einem Ewig-Vergänglichen.
Das Ewig-Vergängliche
Es scheint darum weniger wichtig, was gespielt wird, sondern das „nackte Dass“. Die Stücke stehen somit jeweils für sich, als blinde Einzelprodukte, ja quasi als Monaden, fensterlos, aber mit Türen zur jeweiligen Wahrnehmung, die sie in sich und gegenüber den Zuhörenden erzeugen. Und diese Menschen, die zuhören, reagieren mit ihren jeweiligen Wahrnehmungsprogrammen und -organen ebenso individuell. Keine Industrie kann das stören. Die drei Ensembles des Abends, das International Contemporary Ensemble (ICE) aus New York, das Ensemble Offspring aus dem australischen Sydney und deutsch-isländische Ensemble Adapter haben geleistet genau das, was zugleich das Apriori des Ereignisses „Neue Musik“ ist. Die geradezu brutale Partikularisierung aller daran Beteiligten, von der Komponistin bis zur Zuhörerin, das man im Akt des Konzertvollzuges gleichwohl gemeinsam und doch nicht kollektiv erlebt.
Tonsalven, Tonsalat, Neuton
Natürlich hängt das Gesamtbild dann auch von der Wirksamkeit der Stück ab, die zu Gehör gebracht werden. Auch weil es nur eine Uraufführung im weiteren Sinne gab, sind die Stücke des Abends schon mal im Vorfeld probiert und getestet worden. Da knallte gleich zu Beginn Páll Ívan frá Eiðums „Þjóðlag“ für Bassklarinette und Eimer von Musikern des Ensemble Adapter in den Raum. Ein homophone und -rhythmische Tonsalve mit der Intensität eines Miniaturkraftwerks. Dem folgte Wojtek Blecharzs „dream-notes“ für Sopranino-Saxophon und Elektronik, aufgeführt von Ryan Muncy aus dem International Contemporary Ensemble. Was zunächst wie eine erstaunlich klangsensible, aber doch seltsame Übung über eine aufsteigende Tonleiter wirkte, entfaltete mit Hilfe elektronischer Hilfsmittel eine bezwingende Raumwirkung. Unterstützt wurde dies durch kleine Tonerzeuger in Form von Miniaturrauchmeldern, die Töne von sich gaben, die im Laufe der Zeit durch die Reihen der Zuhörenden gereicht wurden. Zwei Stücke nacheinander, deren ästhetischem und physischen Zwang man sich nicht entziehen konnte und wollte. Dafür schon muss man solche Veranstaltungen lieben.
Tonsalven, Tonsalat, Neuton
Ganz anders die beiden Stücke, die das Offspring Ensemble darbot: Kate Moores „Blackbird Song“ für Bassflöte, Bassklarinette und Vibraphon nach Art eines Dauer-Liedes ohne Worte, das harmonisch harmlos murmelnd im Achteltakt vor sich hin- und herpendelte. Etwas anders Thomas Meadowcrofts „Medieval Rococo“ für Altflöte, Klarinette, Perkussion, Keyboard und Zuspiel mit seinen über lange Zeit im Fünfsekundentakt stehenden konsonierenden Klängen, das sehr lange Zeit benötigt, um zu zerfallen.
Dazwischen Ashley Fures „Something to Hunt” für Septett mit dem International Contemporary Ensemble: Eine Klangstudie mit rhythmischer Grundierung. Klangstudie ist ja irgendwie immer alles und auch nichts. Doch diese Komposition scheint wirklich bis in Details angehört worden zu sein und dem Begriff des Neutönertums eine gewisse Ehre zukommen lässt. Das hat man alles so noch nie gehört, was da klingt und subtilst gemischt wird. Man hätte sich das Stück ein bisschen in der akustischen Perspektive aufgefächerter gewünscht. Denn das Septett breitet sich teppischartig wie ein Orchester aus. Erstaunlich die Wirkung. Den Schluss des ersten Teils bildete Paul Fricks „Destroy Erase Improve“ für Harfe, Schlagzeug und Diaprojektor mit dem Ensemble Adapter. Eher von performativem Interesse und mit einem Rhythmus, den Diawechsel im Diaprojektor erzeugt, das geschickt Versatzstücke verküpft und auf diese Weise eine statische Raserei erzeugt. Einzelne Passagen machen den Eindruck, aus Filmmusiken von Bernard Herman entwendet worden zu sein. Die Musikerinnen haben die Bühne längst verlassen, da verbeugen sie sich in Form von Dia-Slides. Das zeugt von Humor. Paul Frick geht mittlerweile musikalisch andere Wege mit den Neuen Meistern.
Nach der Pause die zwei großen Stücke von Sarah Nemtsov und Natasha Anderson zu dem sich die drei Ensembles zusammenfanden. Bei Sarah Nemtsovs „Zimmer I-IV“ für drei Ensembles und Elektronik, das in dieser Form zur Uraufführung kam, handelt es sich um ein Klanglabyrinth, bei dem man den Faden gerne mal verlieren kann, um ihn dann an beliebiger Stelle wieder aufzunehmen. Das Stück macht es einem nicht gerade leicht, sich im musikalischen Gewölle zurechtzufinden. Dennoch spinnen sich die musikalischen Fäden, gehalten von einer inneren Motorik, zu einem Klanggesamtbild zusammen. Die Gespinste erwirken eine Progression in der Statik. Es klingt komplex und schwierig, ist es auch. Bei Natasha Andersons „Cleave“ für drei Ensembles und Elektronik handelt es sich um einer Folge blockhafter Wellen von massiven, geradezu klaustrophobischen Clustern, die voller Kraft sind und das klangspielerisch auch feinere Passagen mit irisierenden, flirrenden Klängen nicht ausspart. Dirigiert wird über ein vorproduziertes Video an der Rückwand sehr prominent.
/ Freiheit / Kunstfreiheit / Kunst /
Acht Stücke, drei Ensembles: Sie stellen ein musikalisches Panorama her, das viel Hörvergnügen bereitet: undogmatisch, global gemischt. Ein herausforderndes Programm und ein gescheit zusammengestelltes ebenfalls. Ein Glücksfall.
In den Grußworten wurde insbesondere von Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) versprochen, derlei Veranstaltungen auch in Zukunft die nötige Förderung zuteil werden zu lassen. Es geht ja auch um die Kunstfreiheit als einer Freiheit der Kunst als solcher. Da ergibt die ästhetische Vielfältigkeit eines solchen Konzertes ein wunderbares Abbild als Versprechen – auch für ein Glück einer jeden Einzelnen. Mit der „initiative neue musik“ und dem dahinterstehenden Team hat man gleichfalls das Glück, kenntnisreiches Engagement auf Professionalität in organisatorischer Hinsicht treffen zu lassen. Allen voran muss man die unermüdliche Lisa Benjes beim Namen nennen.
Jetzt also geht es los, komprimiert und verteilt: Der Monat der zeitgenössischen Musik hat ordentlich etwas zu bieten. Das Programm finden Sie hier.