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Theo Geißler. Foto: Hufner
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Kurz-Schluss – Wie ich einmal versuchte, meinem Enkel Machart und Schönheiten der deutschen Lyrik näherzubringen

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Was zurzeit in den Schulen abgeht – mein Blick richtet sich zwangsläufig vor allem auf die bayerischen – ist eine ziemliche Schinderei. Mein Enkel Gandolf-Augustus, neunte Klasse Gymnasium, schreibt ungefähr täglich zwei Prüfungsarbeiten. Vermutlich geschockt einerseits durch bedrohlich nah kreisende Hubschrauber-Eltern, den Anwalt an der Seite, andererseits getrieben von einer Effizienzpädagogik, die hohe Bildungsansprüche und scharfe Auslese im Sinne der Wirtschaft möglichst in Zeiten gerade noch medizinisch verantwortbaren Präsenzunterrichtes abfordert, werden Schülerinnen und Schüler durch Stoffmassen gepeitscht und zum jeweiligen Leistungsbeweis gezwungen. [Vorab aus Politik & Kultur 2021/22-12/01).

Weil er wohl weiß, dass ich in allen anderen Fächern kläglich versage, holt sich Gandolf allenfalls im Deutschunterricht gelegentlich bei mir Anregungen. Zur Wahl stehen diesmal drei Aufsatzthemen:

1. Warum wäre Markus Söder ein besserer Bundeskanzlerkandidat für die christlichen Parteien gewesen als Armin Laschet? Liefere wenigstens zwölf sachliche und menschliche Begründungen.

2. Weshalb Jugendrandale kein wirksames Mittel gegen die möglicherweise zu erwartenden Klimaveränderungen sein kann. Liefere Begründungen und hilfreiche Alternativen.

3. Versuche in schlichter Reimform einen Jahresbericht gern weihnachtlichen Charakters zu dichten. Lege einen Schwerpunkt auf die erfreulichen Ereignisse, ohne die weniger erfreulichen gänzlich auszusparen.

Nun hatte mich mein Enkel, wohl schon um sein eigentlich üppiges Taschengeld zu sparen, anlässlich gelegentlicher Events wie Geburtstag, Ostern, Weihnachten – oder auch zum Ausgleich gewisser Untaten (z. B.  der Versuch, mein Fahrrad an Klassenkameraden zu verkaufen) kleine lustige oder reuevolle Reime für mich geschmiedet und dabei eine gewisse Sprachgewandtheit durchblitzen lassen: Beispielsweise: „Zum Geburtstag schenk ich Dir – eine Flasche starkes Bier, und auch noch ne Krawatte, die vorher Vater hatte …“ (ein abscheulicher Strick vermutlich aus der Kleidersammlung.) Oder: „Als armer Sünder reut mich sehr die Tat. Vor der Tür steht wieder Dein Rad. Leider ist es sehr verschmutzt, deshalb wird’s von mir geputzt“. Letzteres geriet in Vergessenheit.

Na ja – weil mein Enkel eigentlich ein Schatz ist und mich gelegentlich an meine eigenen Schandtaten erinnert, bot ich ihm, natürlich nur an den wenigen Stellen, an denen er hing und in der löblichen Absicht, ihm mehr Zeit für die üppigen MINT-Hausaufgaben zu verschaffen, ein wenig Unterstützung an. Ich staunte nicht schlecht, als er nach etwa 20 Minuten Tablet-wedelnd zu mir kam und triumphierend rief: „Fertig!“

Ich guckte mir das viereinhalbzeilige Opus an und war doch ein wenig enttäuscht, was ich da zu lesen bekam:

„Die Pflicht zu diesem Jahresbericht – ist doof. Das Jahr war garnicht licht.
Am besten war noch der August –sonst gab es nur Corona-Frust.
Jetzt hoff ich auf die Weihenacht – und auf Geschenke, dass der Tisch kracht.
(Mindestens eine Sony PS 5 – und wegen Gesundheit: Standup-Paddler.)“

Ehrlich gesagt, finde ich dieses Berichtsgedicht etwas dürftig. Lass uns doch mal nachdenken – da fällt uns doch noch mehr ein: Also – im Januar ging’s mit Corona so richtig los – wie wäre es mit:

„Zum Start des Jahres kam die Seuche“… – „Da bin ich froh, dass ich nicht keuche“, ergänzte Gandolf geschickt, „mein Onkel ist ein Arzt ein feiner, hat mich geimpft, wissen darf’s keiner“. Und weiter: „Dann hattest Du Geburtstagsfeier, warst ein besoffnes Ungeheuer“ – ( „so ganz stimmt das ja nicht“ – wagte ich einzuschieben) – „fielst rückwärts in den Besenschrank und warst dann fast drei Wochen krank.“

„Sowas nennt man wohl ›Dichterische Freiheit‹“ murrte ich. „Wir sollten uns jetzt aber mal auf das Positive konzentrieren.“ Au ja“ meinte Gandolf. „Super fand ich Home-Schooling“:  Den ganzen Tag ›Minecraft‹, ›Grand Theft Auto‹ oder ›Player Unknown’s Battlegrounds‹ zocken – gute Zeit. Dann Ferienlager auf Sylt, Susi näher kennengelernt – Zucker! Oder – mal ganz ehrlich: Diese Bundestagswahl. Schade, dass die süsse Baerbock nicht Präsidentin geworden ist. Also ich hätte auf jeden Fall ›Die Linke‹ gewählt, weil die Wagenbrett oder so ähnlich eine noch bessere Figur hat als die Baerbock“.

„Sag mal Gandolf – was lernt ihr eigentlich in Eurer Schule“ – raunzte ich. Wie willst Du daraus ein Gedicht machen, das sich reimt? Und was ist mit dem weihnachtlichen Charakter?

„Ha“ – „Eine Sony P 5 vom Christuskind ich dankend in meinem Geschenkkorb find. Ein Stand-up-Paddler kompensiert, wenn Zocken mich zur Trägheit führt. Ist doch super – oder?

„Ich frag nochmal: Wofür lernst Du eigentlich in Deinem Gymnasium?“

„Fürs Leben, lieber Opa, fürs Leben natürlich“.

Nachtrag: Gandolf-Augustus bekam für sein Gedicht, ergänzt durch die zwei Weihnachtszeilen eine 1- (ehrlich, lebensnah, gut gereimt, Schwächen in der Zeichensetzung).


Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

 

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