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Lohengrin, ein Rattenmärchen: Hans Neuenfels’ Inszenierung eröffnete die Bayreuther Festspiele

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Viel Aufregung anlässlich der jüngsten, noch vom verstorbenen Festspielleiter Wolfgang Wagner intendierten Neuinszenierung des „Lohengrin“ durch den 69-jährigen Regie-Provokateur Hans Neuenfels, der 1974 mit seinem „Troubadour“ in Nürnberg die Welle des eigenwilligen Regietheaters für das Genre Oper ausgelöst hatte.

In Wagners 1850 in Weimar uraufgeführter Romantischer Oper trifft der Zuschauer am Anfang auf eine führerlose Gesellschaft. 160 Jahre später in Bayreuth ist es nicht anders, nun gibt es aber sehr viel zu sehen und – ungewöhnlich für „Lohengrin“ – auch zu lachen.

Die Gesellschaft nämlich besteht aus Versuchstieren, männlichen schwarzen und weiblichen weißen Ratten, später noch ergänzt um possierliche rosafarbene Kinderratten. Eine der Ratten versucht ein Attentat auf den ohnehin arg verunsicherten und zur Fallsucht neigenden König, wird aber von grün gewandeten Laborkräften entwaffnet und abgeführt, die sich ein andermal nicht scheuen, auch den König unsanft von der Szene zu führen.

Ob solcher Zustände stehen dem Heerrufer des Königs permanent die Haare zu Berge, und im dritten Aufzug ist er dann verschwunden. Im klavierlackschwarzen Nachen, der an einen Kindersarg gemahnt, wird der Schwan hereingetragen, und der rückverwandelte Gottfried entsteigt am Ende einem großen Ei, als unförmiger, gewaltträchtiger Embryo, der seine Nabelschnur in Stücke reißt.

Den Prozess der Wahrheitsfindung, zu dem König Heinrich antritt, verdeutlicht der Regisseur in Brechtscher Manier mit drei Animationsvideos auf einer hierfür in den cleanen Designerraum herabgelassenen Leinwand. In das Einheitsgeviert mit Bullaugen rollen auf Schienen weitere Raumelemente, eine dritte Wand, eine silberne Treppe oder das Brautgemach. Die Optik des Gesamtausstatters Reinhard von der Tannen ist prunkvoll und auch farbenprächtig, etwa wenn sich die nummerierten Ratten partiell ihre Tierkostüme an den Nagel hängen und in gelben Fräcken jubeln, ohne dabei ihre übergroßen Füße und Hände zu verlieren. Und auch die vielfarbig gewandeten Damen ziehen beim Zug zum Münster ihre durch die langen Röcke quillenden Schwänze hinter sich her. Zur Freude des Königs legen Mannen und Frauen im Schlussbild ihre Rattenaccessoires ab, aber eine kollektive Uniformität ersetzt die andere, nunmehr sind Männlein und Weiblein allesamt schwarz gewandet, mit einem „L“ auf der Brust und einem Schwan auf dem Rücken.

Schon im Vorspiel hatte Lohengrin den eigenwilligen Vorstoß in jene Versuchsanordnung gewagt, in welcher er eine ihn fraglos und unbedingt, das heißt ohne Bedingung, liebende Partnerin zu finden hoffte. Elsa, ein von Ratten ihrerseits als Versuchsobjekt gepeinigtes, mit Pfeilen bespicktes Wesen, erweist sich jedoch ihrem Befreier gegenüber als wenig partnerschaftsfähig, und seine verzweifelten Versuche, sie zur körperlichen Liebe zu bewegen, scheitern kläglich. Da ist die rothaarige Ortrud ein anderes Kaliber, deren Sexus nicht nur ihren Gatten nach der gescheiterten Flucht in der Kutsche wieder vor Leidenschaft bersten lässt, sondern die auch Elsa raffiniert zu verführen und zu küssen versteht. Die starken Zweierszenen des ursprünglichen Schauspielregisseurs überzeugen handwerklich und erweisen sich als das Spannendste, was in dieser Hinsicht seit Chéreau auf dem Festspielhügel zu erleben war.

Sein Bayreuth-Debüt gab der lettische Dirigent Andris Nelsons: Rutschpartien im ersten. dann souveräne Klangentfaltung im zweiten Aufzug, und ein verblüffendes Brautgemach, sehr breit und vorherrschend in Piani, die unter die Haut gehen. Dass auch in dieser Bayreuther Produktion wieder der große Strich im Schlussakt erfolgt, um Lohengrins Prophezeiung des auch „in fernsten Tagen“ unbesiegten Deutschland political correct zu eliminieren, erscheint gerade in dieser Inszenierung fragwürdig; gleichwohl hat der Regisseur eine Passage aus der selten gehörten Szene geöffnet, um Elsas Reue als einen zu späten Versuch körperlicher Hingabe an Lohengrin zu deuten.

Annette Dasch singt die Elsa leider nicht sehr textverständlich und mit Intonationsproblemen, wofür sie auch einige Buhrufe einstecken musste. Schlimmer trafen die Missfallensbezeugungen die hinreißend agierende Evelyn Herlitzius, die stimmlich hoffentlich nur in einer (allerdings heftigen) Krise steckt. Beide Damen werden ihre Partien im nächsten Jahr nicht mehr verkörpern, aber auch der gefeierte Lohengrin-Darsteller Jonas Kaufmann ist nur in diesem Sommer zu erleben; Kaufmanns schlankes Heldenidol gewinnt mit dramatischer Stimmfärbung und gestemmten Piani.

Am Ende der Oper bleibt er – über das Verklingen der Musik hinaus – als offenbar einzig Überlebender an jener Stätte der Experimente. Auch der als Ratte endende Telramund Hans-Joachim Ketelsen hat seine stärksten Momente in der Pianogebung. Souverän und kraftvoll der Heerrufer Samuel Youn. Die ungewöhnlichste Leistung in Stimme und Darstellung vollbringt allerdings Georg Zeppenfeld als König Heinrich, im roten Sessel neben der Gerichtseiche im Blumentopf, zitternd und leidend vor politischer Ungewissheit.

Der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor erwarb sich im Rattenkostüm viele Sympathien und sang auch unter den großen Köpfen textverständlich und klangintensiv.

Erstmals ergriff die Bundeskanzlerin beim anschließenden Staatsempfang der Bayerischen Landesregierung selbst das Wort und brach eine Lanze für die ungewöhnliche Sichtweise des Regisseurs, so wie zuvor, beim heftig umkämpften Schlussapplaus, die beiden Festspielleiterinnen Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner mit auf die Bühne gekommen waren, obgleich Hans Neuenfels eines solchen Schutzes wahrlich nicht bedarf.

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