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Münchner Rundfunkorchester. Foto: Felix Broede
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Männer-Macht und Frauen-Leid – Verdis Frühwerk „I due Foscari“ in München

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“Power tends to corrupt” stellte Lord Acton treffend fest. Ergänzend ist heutzutage zu fragen: Nicht auch Machtgier? Umjubelt wurde im Prinzregententheater die Erkenntnis, dass schon 1844 ein junger italienischer Komponist mit seinem Librettisten in der eigenen Geschichte ein erschütterndes Beispiel dafür fand, daraus eine Oper formte, die nur bislang selten gespielt wird, wenn man es nicht macht wie…

… wie die Reihe des Münchner Rundfunkorchesters, unterschätzte Musiktheaterwerke durch Maßstäbe setzende Aufführungen zu beleben: so Gounods „Cinq-Mars“ und „Le Tribut de Zamora“ oder Rossinis „Sigismondo“ – nun also Giuseppe Verdis „I due Foscari“ – für eine Woche als Podcast nachzuhören unter www.br-klassik.de, reiselustige Verdi-Freunde konnten zur nächsten Aufführung nach Budapest reisen und im Sommer 2019 erscheint der CD-Mitschnitt auf dem Label BR-Klassik.

Zu entdecken war: Inmitten der Gärungen vor der Revolution von 1848 entlarven Librettist Francesco Maria Piave und der 31jährige Verdi ein politisches Ränkespiel des Jahres 1457, aus der Blütezeit der Seemacht Venedig: Francesco Foscari ist nicht nur der am längsten regierende Doge, er hat Venedig durch viele Kriege zur Mittelmeermacht geführt und drei Söhne verloren; sein Sohn Jacopo hatte sich Privilegien angemaßt, war nach Kreta verbannt worden und wird nun in eine Mordintrige verwickelt; der machtgierige Adelige Loredano sieht die Chance, Vater und Sohn Foscari zu vernichten und bringt Venedigs „Rat der Zehn“ dazu auf seine Seite – der Sohn stirbt angesichts erneuter Verbannung halb wahnsinnig, halb seelisch zerstört; der Vater muss den Tod des letzten Sohnes und die eigene Entmachtung hinnehmen und stirbt – zurückbleiben Jacopos leidgeprüfte Frau und seine zwei Kinder inmitten von kalt rational agierender Männermacht.

Verdis mitunter abqualifizierte Werke der „Galeerenjahre“ – vor dem Dreigestirn „Traviata“, „Trovatore“ und „Rigoletto“ – zeigen eine heute meist fehlende Qualität: die dramatisch sofort zündende, musikalisch unmittelbare Wirkung, eben Musiktheaterinstinkt. Eingebettet in musikdramatisches Vorwärtsdrängen ist dann melancholischer Solo-Klarinettenklang für Jacopos Sehnsucht, den die Solo-Flöte aufgreift und umspielt. Dazu kontrastieren hochdramatische Streicherfiguren für die leidgeprüfte Ehefrau Lucrezia. Nochmaligen Kontrast schaffen die alle Chorstimmen als „Volk“ umfassenden Barcarole-Rhythmen – deutlich abgegrenzt von den Männerstimmen um den „Rat der Zehn“ mit wuchtigen Blechbläserlinien. Das von gegenseitiger Liebe tönend-hoffende Duett Jacopo-Lucrezia wird von Harfenklängen durchflutet. Prägend aber ist trotz glutvollen Stretta-Teilen Verdis „tinta nera“, die von Celli und Bratschen angestimmte dunkle Stimmung um den Dogen: dieser Francesco Foscari mit seiner Sohnesliebe ist ein beeindruckender Vorläufer zu Simon Boccanegras Tochterliebe.

Dass all dies fesselnd erlebbar wurde, ist Ivan Repušić, dem neuen Chefdirigenten des engagiert folgenden Münchner Rundfunkorchesters, zu danken. Carlos Kleiber urteilte einst maliziös über viele Kollegen „Auch so ein Herumwedler“ – Repušić war mit klar führender rechter und immer wieder ganz unabhängig akzentuierender, zusätzlich formender und fordernder linker Hand das genaue Gegenteil. Ergebnis: ein fulminanter früher Verdi. Dazu spielte Sopranistin Guanqun Yu als Lucrezia ihre „lirico spinto“-Qualitäten aus: Lyrik und Attacke perfekt vereint. Tenor Ivan Magri hatte für Jacopos Leiden und Tod die Träne in der Stimme – ganz im Kontrast zu der unnachgiebig finsteren Rachsucht und Machtgier in Loredanos Forderungen von Bassbariton Miklós Sebestyén. Stand Leo Nucci vor Jahrzehnten im Schatten der Bariton-Kollegen Cappuccilli und Bruson, so ist er nun zum Gestaltungskünstler gereift: der von Piave und Verdi angelegte Zwiespalt Doge – Vater „Ja, teurer Sohn, ich liebe dich, denn hier bin ich nicht Doge!“ – oder „Im Blicke bin ich Doge, doch Vater im Herzen“ gelang bewegend. Doch der Mordverdacht erzwingt das erneute Exil des Sohnes; als der wahre Mörder bekannt wird, ist der Sohn bereits im Leid verstorben; da zerbricht auch der Vater und als ihm auch noch das Dogen-Amt entzogen wird, stirbt Francesco Foscari – da gelangen Nucci heroisches Aufbegehren und quälender Zusammenbruch. Jubelstürme der Begeisterung am Ende – ein Plädoyer für eine Bühneninszenierung.

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