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Michael Heim (Siegfried), Heeyun Choi (Fafner). Foto: Peter Litvai.
Michael Heim (Siegfried), Heeyun Choi (Fafner). Foto: Peter Litvai.
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Männermacht, Naturweben, Frauenweisheit – das Landestheater Niederbayern triumphiert mit Wagners „Siegfried“

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Anfangs schon das Schwert-Schmieden – Großkritiker Joachim Kaiser staunte einst angesichts weißhaariger Aufsichtsräte in Bayreuth und deren Pausen-Kritik, dass auf der Bühne unglaubwürdig geschmiedet worden sei, wie oft die Herren doch wohl selbst den Hammer schwängen. Im Werk dann noch Riesendrache und singendes Waldvögelein… lauter Herausforderungen – und für all dies im Landshuter Theaterzelt am Ende Ovationen.

Das auch Passau und Straubing bespielende Landestheater hatte über die werkimmanenten Schwierigkeiten hinaus – vgl. nmz online vom 17.04.2022 – diesmal mit dem Abbruch der Premiere wegen Indisposition zu kämpfen. So wurde der zweite Abend zur gefeierten Erstaufführung.

Deren Gelingen ist der Zusammenarbeit eines Teams für die ganze Tetralogie zu danken: Intendant-Regisseur Stefan Tilch, Bühnenbildner Karlheinz Beer, Kostümbildnerin Ursula Beutler und zunehmend Florian Rödl für die Hintergrund-Videos wollen zusammen eine Welt-Parabel erzählen. Den ganzen Abend prägen Aspekte unserer Welt die Szenen: Durchgängig taucht ein Cyber-Kriegs-Bildschirm auf, auf dem jagende Datenkolonnen schließlich die Standorte der Hauptfiguren fixieren – und in scharfem Kontrast dazu stehen der Zivilisationsmüll auf der Bühne samt wuchernder grüner Natur im Hintergrund – Willkommen im Jetzt.

Wie Wagner in Musik und Text mit Leitmotiven und erzählenden Rückgriffen die Abende und Handlungen miteinander verknüpft, schafft das Team auch szenische Brücken. Die bühnengroße Bücherwand des Weltwissens gibt nach wenigen Takten den Blick auf den lauernden, kahlköpfig alten Alberich frei – und ihm zu Füßen sitzt der junge Hagen und schnitzt an einem Speer. Zu Mimes quälenden Klagen ziehen uniforme Sklaven vorne und hinten auf der Videoleinwand dicke Goldseile über die Bühne. Der wandernde Wotan imitiert einen fahrenden Gaukler, der Blumen für Mime aus dem Zylinder zaubert und alberne Scherze mit Furzkissen und metallenen Handschockern treibt. Der Riese Fafner hockt auf den gehäuften Goldseilen, hat sich mit Riesenbroten mindestens dreifache Menschengröße angefressen und in seinem „Abgas“-Rauch schlängelt sich ein giftig grüner Drachenschweif. Als Waldvöglein greift Choreographin Sunny Prasch zurecht den Tanz-Charakter der Musik auf, umtänzelt selbst in einem reizenden Paradiesvogel-Kostüm das Schrank-groß wirkende Mannsbild Siegfried und animiert ihn zu hilfslos tumbem Getänzel, während Emily Fultz unsichtbar singt. Wanderer und Grande Dame Erda treffen sich in einem erdfernen Nirgendwo. Im Videohintergrund wird Siegfried im kämpferischen Durchschreiten der Feuersbrunst gezeigt, ehe sich Brünnhilde und er auf einem weltenfernen Gipfeldreieck finden – und das oft gespreizt endlos wirkende Ringen um Liebeserfüllung in Tilchs feiner Personenregie zu einem nachvollziehbar menschlichen Hin und Her von Eroberungslust und scheuem Zurückweichen wird.

All das gelang und fügte sich zu einer mal überraschenden, mal beeindruckenden Mischung aus „Ring-Scherzo“ und finaler Weltenwende: von „Göttern“ wie Wotan (hochgewachsen, fast zu jugendlich mitspielend, vokal markant Stephan Bootz) zum weiblichen Prinzip Erda (erst ruhend, dann verzweifelnd Tiina Penttinen), dann zum humanen Prinzip Liebe. Bühnenhüne Michael Heim war ohne dümmliches Getue zunächst zweieinhalb Aufzüge lang der naive Titelheld, der langsam sein Ich findet – und konnte dann mit der bildschönen Brünnhilde von Peggy Steiner im reizvollen Cyber-Walküren-Kostüm vokal dermaßen mühelos mithalten, dass beider berauschter Zwiegesang den Abend krönte – zurecht Bravostürme!

All das beeindruckte und riss mit, weil die Mikroport-Aussteuerung im schwierigen Zelt-Ambiente besser gelang. So konnte GMD Basil Coleman die reduzierte „Lessing-Fassung“ des Orchesters sogar um zusätzliche Musiker aufstocken, was den Wagner-Sound rundete; zwar könnten Walhall-Zitate, Wälsungen-Wehmut, Waldweben und Mutter-Erinnerungen feiner klingen, doch Coleman und sein ebenerdig sitzendes Orchester ließen sich halt von Wagners Dramatik auch mitreißen – und dann waren eben die Sänger mal zugedeckt. Doch insgesamt stellte sich wie bei der „Walküre“ der Eindruck ein: großes, fesselndes, auf uns weisendes Welt-Musiktheater.

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