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Foto: Bettina Stöss.
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Mozarts „Figaro“ unter Joana Mallwitz in Nürnberg: Ensemble-Sternstunde

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In den letzten Wochen ihrer Amtszeit als Generalmusikdirektorin der Staatsphilharmonie Nürnberg dirigiert Joana Mallwitz im Opernhaus neben einer Wiederaufnahme von Vera Nemirovas „Carmen“-Inszenierung die Neuproduktion von Wolfgang Amadeus Mozarts „Le nozze di Figaro“ (Die Hochzeit des Figaro). Ihr, Staatsintendant Jens-Daniel Herzog und dem Musiktheater-Ensemble gelingen eine Sternstunde mit Höhepunkten und Abstürzen auf der vollen Schlagseite des (Liebes-)Lebens. Begeisterungsstürme.

Jens-Daniel Herzog hat recht: Man muss – allen Fakten und Legenden um Wolfgang Amadeus Mozarts und Lorenzo da Pontes erstes gemeinsames Meisterstück zum Trotz – kein revolutionäres Randalieren darin sehen, wenn der Diener Figaro sich gegen die erotischen Übergriffe seines Brotgebers Almaviva gegen Figaros Braut Susanna wehrt. Wie Beaumarchais’ Komödienstoff „Der tolle Tag“ auch ohne Repliken auf das feudale „Recht der ersten Nacht“ in einer heutig geschärften Version ausgezeichnet funktionieren kann, zeigt die Neuproduktion von „Le nozze di Figaro“ im Opernhaus Nürnberg. Zur zweiten Vorstellung der 1786 in Wien uraufgeführten komischen Oper tobte der volle Zuschauerraum am Montagabend nach dreieinviertel Stunden szenischer und musikalischer Hochspannung. Das sagt einiges über die letzte Gesamtleitung einer Musiktheater-Produktion von GMD Joana Mallwitz, die im Sommer einem Ruf als Chefdirigentin an das Konzerthaus Berlin folgen wird. Denn selten dauert Mozarts „Figaro“ – trotz traditioneller Arien-Striche im Schlussakt – unter 220 Minuten.

Bei Mallwitz und der Staatsphilharmonie Nürnberg hat dieser Tempo-Wahnsinn nicht nur Methode, sondern ergibt auch Sinn. Kein einziger Takt gerät beiläufig. Die Streicher glänzen manchmal, öfters drohen sie mit bitterem Gleißen. Man hört das Rumoren menschlicher Abgründe und trotzdem liegt immer wieder ein versöhnliches Leuchten über dem erotischen Wirrwarr, in dem alle gleichermaßen Täter und Opfer sind. Dazu kommt ein charakterstarkes, sensibles wie versatiles Ensemble. Viele Partien sind aus den eigenen Reihen doppelt besetzt. Das schaffen heute längst nicht mehr alle größeren Opernhäuser. Laute Bravi regnete es schon nach einigen der großen Arien-Hits, am Schluss kannte der Enthusiasmus des Publikums keine Grenzen.

Zudem wurde dieser „Figaro“ nach mehreren flachen Arbeiten zu einer der besten Nürnberger Inszenierungen von Jens-Daniel Herzog. Bei Herzog ist Graf Almaviva die zentrale Figur. In Nürnberg allerdings nicht als Womanizer über Verfallsdatum, wie im Theater an der Wien, sondern als ein Mann in den besten Jahren auf der Suche nach dem erotischen Feuer, was in seiner eigenen Ehe leider erkaltete. Samuel Hasselhorn hätte man die toxischen Aspekte dieser Parade-Baritonpartie auch nicht abgenommen. So verschieben sich die emotional-erotischen Gewichte spannend und gegenwartsaffin. Susanna wehrt sich also nicht nur gegen das Appeal des Grafen, sondern erst recht gegen ihre eigenen Begehrlichkeiten. Die klappbaren Wände zeigen zwei Sphären der Klassengesellschaft. Mathis Neidhardt steckt deren Profiteure in ein gutbürgerliches, weniger mondänes als solides Neurokoko, die Diener in einen Raum mit nackter Matratze, klammer Tapete und Feuerlöscher. Es ist kein Hauptthema des Abends, aber klar wird: Wohlstand macht sinnlich, sofern man nicht in ambivalenten Selbstfesseln befangen ist wie die schöne, abweisende Gräfin Almaviva. Ihr gelingt weder der Sprung über die Klinge zur moralischen Großherzigkeit noch zum lesbischen Experiment. Emily Newton liefert in dieser oft allzu einseitig auf elegische Melancholie festgelegten Partie die für das Ensemble paradigmatische Leistung. Schönklang allein zählt nicht, immer sind Situationsschärfe und charakterstarke Pointierung dabei. Alle wechseln sehr bewusst zwischen berückenden, prägnanten und expressiven Tönen. Gerade deshalb gerät das in die Gegenwart verlegte Spiel so bewegend. Weitere Akteure: Figaro ist ein dienstbeflissener und eher schlichter Charakter, dessen große Anklage gegen das frauliche Geschlecht Adam Kim mit angemessen starken Tönen ausstattet. Stimmlich wie szenisch wird Andromahi Raptis als Susanna zu einer zierlichen, keineswegs aber zerbrechlichen Idealbesetzung für die längste Partie dieser Oper. Taras Konoshchenko gibt mit feiner Komödiantik einen von mehreren Gebrechen geplagten, bemitleidenswerten Bartolo. Almerija Delics Marcellina steigert sich gemäß den Trends internationaler Opernregie von der biestigen Alten zur steilen Fegerin mit Aufsteigerinnen-Ambitionen. Für die Episodenfiguren Basilio und Curzio schickt die Oper Nürnberg mit Hans Kittelmann und Sergei Nikolaev zwei hier unter Wert verkaufte Tenöre ins Rennen. Der Alkoholiker Antonio (Seokjun Kim) malträtiert seine Tochter Barbarina auch sexuell. Veronika Loy spielt die Fallhöhe von der genderbewussten Tattoo-Artistin zum Gewaltopfer packend aus. Stimmlich berückend mit einem von Neidhardt kostümlich perfekt gelungenen Dresscross singt Corinna Scheurle den „Pagen“ Cherubino, die Hosenrolle par excellence. Jeder Gang, jede Geste, jeder Rezitativ-Satz haben durch dieses Ensemble die Klasse eines ausgetüftelten Filmdramas.

Schön perfide ist die Zutat Herzogs, der dem angemüdeten Ehepaar Almaviva ein Kind andichtet und dieses zu einer stummen Hauptfigur macht. Maja Novikov zeigt in stetiger Präsenz und mit großen Augen, wie Kinder am Rosenkriegen ihrer Eltern leiden. Es hat seinen Grund, wenn am Ende dieser Kleinfamilienschlacht jeder seine Schrammen vom Kampfplatz trägt und viel Mobiliar von intimem Erinnerungswert zerstört wird. Das wirkt an keiner Stelle aufgesetzt und passt zu diesem genialem Stück, das Machern so viele abgefeimte Fallen auslegt. Selten gelingt Mozarts „Figaro“ mit seinen perfekten Reibungsflächen von Burleske, Panik und Melancholie so stark und packend.

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