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13.09.20, Weimar: »Free Bach 212« der Katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus. Foto: Candy Welz
13.09.20, Weimar: »Free Bach 212« der Katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus. Foto: Candy Welz
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Musiktheater beim Kunstfest Weimar: Laut glühend und verkopft

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Am Ende des Kunstfests Weimar 2020 standen eine von kaltem Gegenwartsgeist durchfurchte Monteverdi-Phantasie durch die freie Opernkompanie Novoflot und Bachs Bauernkantate als fetzige Session, bei der Bach, Flamenco und Jazz den Soundtrack zum finalen „Prosit!“ lieferte. Jubel gab es im Deutschen Nationaltheater vom 11. bis 13. September für beide Anlässe.

Dabei verzichtete das Kollektiv La Fura dels Baus in seiner international rundum gewanderten Show „Free Bach 212“ auf Bachs grazilen Spott und Novoflots „Die Oper #2 – In den Seilen (Vom Ende)“ auf die unterleibsfixierte Amoralität von Monteverdis „Poppea“. Laute Muskelspiele mit Anspruch.

Schön länger hat sich La Fura dels Baus vom Dynamit seiner Pionierjahre entfernt und liefert für große Opernhäuser Opulenz mit sprichwörtlichen Materialschlachten. Derzeit fühlt sich das Aktionskollektiv am wohlsten, wenn es ein ganzes System mitsamt ideologischem Überbau in seine Bilderwelt überführen darf wie in Kreneks „Karl V.“ an der Bayerischen Staatsoper. Psychische Tiefendimensionen versenkt La Fura dels Baus dagegen gerne. Aufgrund des langfristigen Planungsvorlaufs lässt sich Brandaktuelles im Musiktheater eh nur bei akuten Neuproduktionen unterbringen. Deshalb denkt man am Ende von „Free Bach 212“ nicht an die Pandemie gleichen Namens, sondern an die mexikanische und auf der iberischen Halbinsel besonders geschätzte Biermarke. Das wohlig erhitzte Barockensemble Divina Mysteria, die Sänger und der vom Todesboten bis zum Satyr in alle Archetypen schlüpfende Tänzer Miguel Àngel Serrano prosten sich zu, hinten lockt als Projektion mit Schaumkrone und goldfarben ein Glaskrug: Tribut an das Leben und in Weimar auch an Johann Sebastian Bach, der am dortigen Hof von 1708 bis 1717 zunehmend unwillig musikalische Dienste leistete und mit dem Textdichter Picander in seiner bekanntesten weltlichen Kantate die Bauern mitsamt Herrschaften lächelnd vergackeierte. Darauf nimmt La Fura dels Baus nur kurz Bezug: Serrano umtanzt zwei weiße Bauernfiguren. So erschließt sich allerdings kaum, dass dieses Werk Bachs einzige Kantaten-Offenbachiade ist.

Die musikalische Ausführung der barocken Teile hat hohe Klasse. Dagegen geraten die Jazz-Einlagen laut und etwas flach. Zur Hauptsache werden die Flamenco-Einlagen (Mariola Membrives), die das wegen Hygienekonzept nur schmal besetzte Haus zum Siedepunkt bringen. „Fiesta y cerveza“ sind wichtiger als Bach und seine für ihn ungewöhnliche Rolle des Spötters. La Fura dels Baus bleibt auch hier seinem Image treu, dass man zur Präsentation und Ausstattung der Musiker (schwarzes Leder vor purpurdunklem Cembalo) weitaus mehr Ideen hatte als in der Spielleitung mit dem Bariton (Joan García Gomà) und der Mezzosopranistin (Eulàlia Fantova). Das Sounddesign zeigte keinerlei Ambitionen zur Polarisierung von Bach, Flamenco und Jazz. Schade ist das, weil die sehr ansprechende, individuelle Interpretation von Divina Mysteria abgesehen von abenteuerlicher Diktion hohe Qualitäten hatte und das Ensemble den melodisch-artistischen Gehalt mehr als die Architektur der Komposition zum Klingen brachte. Lautes Chillen ohne Interesse an Bachs feineren Wirkstoffen drängte diese Leistung allerdings aus dem Mittelpunkt. Da wäre der Theaterplatz, auf dem nach Einbruch der Dunkelheit eine stimmungsvolle Milonga stattfand, der bessere Aufführungsort gewesen.

Auch für Novoflot ist Jazz der Kitt zwischen der barocken Musikvergangenheit und der performativen Gegenwart. Der dreiteilige Zyklus „Die Oper #1 – #3“, eine Koproduktion des Ensembles, Kunstfest Weimar, DNT, Copenhagen Opera Festival und Teater Undergrunden, wurde letztes Jahr begonnen. Nach Monteverdis „Orfeo“ ist jetzt dessen „Krönung der Poppea“ der Ausgangspunkt für Novoflots Überschreibung. „Poppea“ war eines der ersten für ein öffentliches Opernhaus entstandenen Stücke. Sven Holm (Regie) und Malte Ubenauf (Dramaturgie) modellierten die alle sozialen Werte mit karnevalesker Energie versenkende „Poppea“-Sensation von 1643 für die Gegenwart mit korrekter Coolness und Distanz. Das gelang abgesehen von einigen wie Schutzanzüge wirkenden Overalls ohne pandemische Ikonographie.

Die Schnittstellen zwischen den im neuen Arrangement kaum noch als Alte Musik erkennbaren, etwas spannungsreduzierten Teilen und belebenden Jazz-Zutaten (Chris Dahlgren, Antonis Anissegos, Hayden Chisholm, Eric Schaefer, Kathrin Pechlof) sind kaum verblendet. Auf vokalen Wohlklang legt die für ihre Aktualisierungen überregional geschätzte Truppe wenig Wert. In der Kontrastierung zu den von Mitgliedern der Staatskapelle Weimar mit passionierter Spielgier intonierten Stücke aus Monteverdis Particell steckte Konzept. Antonis Anissegos gab sich nicht mit Übergängen oder neuen Zwischenspielen zufrieden und veränderte die Rhythmik stark.

Novoflot beginnt auf dem Theaterplatz. Vom Balkon des DNT spricht eine Regierungschefin mit elitär-diplomatischer Standardgestik zu den Vorstellungsgästen wie zum bunten Bürgervolk aus Skatern, Studierenden und internationalen Touristen. Die abstrahierende Symbolik der Texte Walter Abishs sind für dieses Publikum ein vergleichbar elaborierter Bruch wie der originale „Poppea“-Prolog, in dem Giovanni Francesco Busenello die anspruchsvolle Eröffnung für die nicht-adelige Zielgruppe mit deftigen Wendungen verunzierte und dadurch unterhaltsamer machte. Distanz entsteht auf der Hauptbühne zwischen Publikum und dem Ensemble, das teils in mit asiatisch wirkenden Applikationen versehenen Overalls (Nina von Rechow) steckt.

Welche Signalwirkung hätten Monteverdis 15 nicht erhaltene Opern für die Zukunft der Gattung haben können? Das von Novoflot aus Monteverdis „Poppea“-Material kreierte Stück ist auch die Fiktion einer Monteverdi-Oper, in der es um Machtwechsel, Intrigen und körperliche Gier geht. Dieses Konstrukt „In den Seilen (Von Ende)“ entstand als ein theatrales Gebilde, was es eigentlich gar nicht geben kann. Dabei hatte Novoflot das Gedankenfrachtgut aus Sinnlichkeit und den Noten brechender Triebhaftigkeit passgenau zum Konsens aktueller Gender-Nivellierung abgeschockt. Das Resultat mundet wie lau schmelzende Eiswürfel in sommerwarmem Vino nobile. Novoflot präsentiert den keimfrei polierten Spiegel von abstrakt bebilderten Prozessen, während La Fura dels Baus Bachs subtile Ebenen in einem überhitzten Überfallkommando auf Hörer und Publikum ignoriert. Das Kunstfest Weimar genehmigte sich nach drei packend aufgeladenen Wochen zur Gegenwartstopographie dieses aufgelockerte Finale. Satter Applaus.

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