Hauptbild
Erwin Schrott und Christopher Maltman in Claus Guths Giovanni-Inszenierung: Monika Rittershaus
Erwin Schrott und Christopher Maltman in Claus Guths Giovanni-Inszenierung: Monika Rittershaus
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Ohne das lieto fine: Barenboim mit Guths Inszenierung des „Don Giovanni“ an der Staatsoper Berlin

Publikationsdatum
Body

Eine größere Bestätigung kann ein Regisseur kaum erhalten, als wenn seine Inszenierung am Ort der Entstehung lange auf dem Spielplan steht, dort auf DVD verewigt wird, und dieselbe Produktion einige Jahre später andernorts erneut Premiere feiert. Für Claus Guths Inszenierung von Mozarts „Don Giovanni“, 2008 bei den Salzburger Festspielen herausgekommen, bedeutet das Public Viewing seiner an der Berliner Staatsoper mit teilweise neuen Solisten einstudierten und dabei immer noch keineswegs unumstrittenen Inszenierung eine Steigerung.

Der Einheitsraum eines naturalistischen Waldes auf der Drehscheibe hat in Berlin besondere Bedeutung, seit Max Reinhardt im Jahre 1905 den zweiten Akt seiner Inszenierung des „Sommernachtstraums“ in einem praktikablen Wald auf der Drehscheibe des Deutschen Theaters angesiedelt hat; erstmals in der Theatergeschichte hatte das Publikum beim Applaus auch den Regisseur vor den Vorhang gerufen, das Bewusstsein der Theaterbesucher für Regie war geweckt und das Jahrhundert des Regietheaters eröffnet.

Auch Claus Guth hat sich in Salzburg von seinem Ausstatter Christian Schmidt einen solchen Wald auf der Drehscheibe bauen lassen, als einen ungewöhnlichen Gesamtspielort für die letzten Tage im Leben des adeligen Wüstlings. Die umstrittene Inszenierung aus Salzburg hat Hausherr Flimm an die Stelle einer ursprünglich an der Staatsoper Berlin angekündigten Koproduktion mit der Mailänder Scala gesetzt und so Claus Guth ein spätes Berlin-Debüt ermöglicht.

In Guths Inszenierung wird überdeutlich, dass Anna den Giovanni sexuell begehrt, den Unmaskierten natürlich erkennt und ihrem Verlobten allerlei Lügen auftischt, weil Giovanni bis hin zu ihrer letzten Arie ihr Traummann ist und bleibt.

Die Tatsache, dass Giovanni – primär aus Geboten der Theatermoral im 18. Jahrhundert – bei allen Amouren scheitert, wurde bereits häufig zuvor so gedeutet, als sei  der liebessüchtige Don körperlich bereits am Ende. Besonders zwingend gelingt dies Guth: der von Giovanni mit einem Knüppel erschlagene Komtur versetzt ihm sterbend noch einen Bauchschuss; an dessen Folgen leidet Giovanni immer stärker und stirbt schließlich auch an der in seiner Waldexistenz nicht geheilten Wunde. Sogar die dramaturgisch sonst zumeist wenig zwingenden Hilferufe Zerlinas, bei ihrer erneuten Verführung im ersten Finale, erhalten durch Giovannis heftige, ihr Hochzeitskleid entstellende Blutungen motivierende Glaubwürdigkeit.

„Kaffee, Schokolade“ als Deckbegriffe für Drogen gab es bereit beim Kasseler „Don Giovanni“ im Jahre 1981 und wenige Jahre später dann bei Peter Sellars. Bei Guth sind es Joints, mit denen Leporello, Zerlina und später auch Elvira sich bekiffen.
Bier aus Dosen ersetzt hier den Champagner – auch für die Champagnerarie, vor der sich Giovanni eine Dose Bier überkippt; erst beim Fest fliegt dann ein Korken und der Sekt ergießt sich in Pappbecher.

Fast Food – wohl als bewusstes Zitat der Inszenierung von Peter Sellars – ersetzt das opulente Festmahl im zweiten Finale, – hier jedoch von Leporello nicht bei McDonalds eingekauft, sondern – wie an der Burgerking-Papierkrone, die Leporello seinem Herrn aufsetzt, ersichtlich wird – bei der Konkurrenz.

Das Auto, in dem Don Ottavio seine Anna chauffiert, hat einen Motorschaden, auch beim dampfenden Motor ist Giovanni hilfreich; während Ottavios Arie „Dalla sua pace“, die – wie im zweiten Akt Elviras Arie – aus der Wiener Fassung in die Urfassung hineingenommen wurde, raucht Anna im Fond und empfängt dort erneut eine Flirt-Visite Don Giovannis. Aber später stehen Anna, erneut rauchend, und Ottavio dann doch an jenem maroden Bushaltestellenwartehäuschen, dessen Fahrplan Leporello gegenüber Elvira als das Liebesregister umgedeutet hatte. Zerline fesselt Masetto an einen Baum und reißt ihm die Kleider vom Leib, um rittlings auf ihm sitzend die Begegnung mit Giovanni nachzuvollziehen und den unterbrochenen Liebesakt fortzusetzen.

Der zweite Akt beginnt mit einer Wolfsschlucht-Paraphrase; jenes Gewitter, das Giovanni in sich gespürt hatte, ist tatsächlich eingetreten; es hat einen Baum gefällt. Giovanni und Leoprello sitzen am gespenstisch leuchtenden Lagerfeuer, und zweimal wird sogar ein rampenlichtempfindicher Wolfshund auf die Bühne gescheucht.

In der hier zusätzlich aus der Wiener in die Prager Fassung eingefügten Arie legt sich Elvira neben den siechen Giovanni und pflegt seine Wunde. Auf diese Weise spielt Wagners „Tristan“ ebenso hinein in diese Inszenierung wie Marschners „Vampyr“, denn im hellen Licht des Vollmonds sammelt der todkranke Giovanni letzte Lebenskräfte.

Der untote Komtur kehrt wieder als ein Totengräber, der eine Grube aushebt, in die Giovanni unter Schneefall letal stürzt – Fine, ohne Mozarts letzte Szene. Auf das lieto fine hatte bereits Gustav Mahler in seiner Wiener Inszenierung an der Hofoper verzichtet, und mit ihm das Zeitalter spätromantischer Mozart-Rezeption.

Dem folgt nun auch, kongruent zur szenischen Lesart, Daniel Barenboim, der mit den ersten Klängen der Ouvertüre einen betont romantischen Ton anschlägt – und beibehält. Im Gegensatz dazu steht nur der fast auf Zuschauerniveau angehobene Orchestergraben. Die Staatskapelle sorgt für einen makellosen, satten Klang. Barenboim schafft unmerklich fließende, ja geradezu überblendende Übergänge zwischen den Cembalo begleiteten Rezitativen und den Orchesternummern, die ihrerseits nur selten nachklingen, sondern durch den nächsten Cembaloeinsatz quasi weggewischt werden.

Nach der Absage von Anna Netrebko brillierte die einige Saisons an der Komischen Oper und dann an der Staatsoper als Cunegonde in Bernsteins „Candide“ gefeierte schwedische Sopranistin Maria Bengtsson in der Partie der Donna Anna, mit Dramatik und leisen Zwischentönen. An Verve und Spielfreude überboten wurde sie noch von der gleichfalls dramatischen Sopranistin Dorothea Röschmann, die nicht nur die Partie der Donna Elvira, wunderschön singend, exzellent verkörpert, sondern auch beim Joint einen ausgiebigen Lach-Anfall hinlegt.

Christopher Maltman betont gegenüber seiner Salzburger Leistung noch das Hinfällige der Titelpartie, stimmlich überzeugt er insbesondere mit einem schmelzreichen Ständchen im Liegen. Mit Bassfundament und stimmlicher Charakterisierungsbreite, wie im Erzeugen komischer Wirkung, gewinnt Erwin Schrott als Leporello auf ganzer Linie.

Großartig in Spiel und Gesang Anna Prohaska als Zerlina und – im Gegensatz zu seinem szenischen Erscheinungsbild – fundamental Alexander Tsymbalyuk als Komtur. Schwächer in der Ausstrahlung und ihren stimmlichen Mitteln hingegen Giuseppe Filianoti als Don Ottavio und Stefan Kocan als Masetto.

Es wurde viel gelacht in dieser Premiere, mit deutlicher Zustimmung für die Reibungen zwischen Szene, Text und Sehgewohnheiten. In den emphatischen Schlussapplaus mischten sich auch einige Buhrufe fürs Regieteam sowie für Stefan Kocan. Heftigsten Publikumszuspruch, schon nach den Arien, erntete Dorothea Röschmann.

Das Public Viewing dieser Produktion findet am Samstag, dem 30. Juni, auf dem Bebelplatz, neben der derzeit geschlossenen Staatsoper Unter den Linden, als Liveübertragung aus der Staatsoper im Schillertheater statt.

Weitere Aufführungen: 27., 30. Juni, 3., 6. Juli 2012.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!