Es gibt sie noch, die Aufführungen, die mit Lust ans Werk gehen, die ihre Kraft in dasselbe legen, weil sie spüren: es braucht es, hat es verdient und meinen Einsatz bekomme ich sowieso zurück. So geschehen jetzt in Frankfurt als „Heimspiel“ von Ensemble Modern. Ab und an kooperiert man mit der Oper im Bockenheimer Depot, ab und an ist man solo unterwegs wie jetzt in der experimentallabormäßigen Kunst-Kooperative LAB: „Don Quijote de la Mancha“ als Opern-Eigenproduktion wahlweise als Exklusiv-Präsent zum 80. Geburtstag ihres Komponisten Hans Zender.
Die Sache beginnt verhalten. Alles ist am Start, aber verharrt noch in den Blöcken. Ensemble Modern auf Treppen im Bühnenhintergrund; vorn sprechende „Lektoren“, die uns noch einmal auf den Stand der Cervantes-Dinge bringen. Ach ja, da ist dieser Herr Quijada mit seinem Rittertick, eben der, der entschieden zuviel Ritterromane gelesen hat und jetzt glaubt, selber einer zu sein, um die Welt von der Armut und von der Ungerechtigkeit zu befreien und um schönen Jungfrauen den Hof zu machen. So geht das Stück los und so geht auch der Edle auf die Welt los, eben kompromisslos. Letzterer ist Otto Katzameier, der Motor dieses kurzweiligen Theaterabends. Anfangs hockt er noch am Rand herum, ungläubig in die Noten schauend. Das soll mein Stück sein? – Ja, wird ihm vom Dirigentenpult signalisiert, es ist es, nun mach schon! – Im halbszenischen Frankfurter Quijote von Anna-Sophie Mahler ist dies ein Regiedetail, aber eins, das Beachtung verdient. Zum ersten Mal, dass wir Johannes Kalitzke, am Pult wie gewohnt die Souveränität in Person, auch in der Szene agieren sehen. Wenn Katzameier ans Ende gekommen ist, also ans Ende seiner Illusionen, wenn er sich im Spiegel betrachtet, also zur Selbsterkenntnis gelangt ist und damit sein Ende nahe sieht, sieht er sich neuerlich mit dem stumm dastehenden Dirigenten konfrontiert, der die Partitur unterm Arm hält. Ein starkes Bild unter vielen starken Bildern. Bevor das Licht ausgeht, werden die Noten noch einmal vor dem neunstimmigen Solistenchor aufgeschlagen. Das Finale, es ist unbegleitet.
Die Modul-Oper
„Don Quijote de la Mancha“, einst von den Salzburger Festspielen unter Gerard Mortier bestellt, 1993 in Stuttgart uraufgeführt ist eine „Modul“-Oper. „Modul“ deshalb, weil sämtliche 31 Mini-Szenen zum beliebigen Kombinieren freigegeben sind. Die Idee dazu war Hans Zender, wie er in der Einführung bekannte, beim Betrachten eines „Hungertuchs“ gekommen. Ein Hungertuch! Das Inspirierende daran weniger der christkatholische Bedeutungsraum als vielmehr dessen Formgestalt: Aneinandersetzen-Können, Aneinandersetzen-Sollen. Dies die Vorstellung des Komponisten, weswegen er der „Subjektivität“ der Regie wie der Ausführenden allerhöchste Bedeutung beimaß. Es klang wie ein Vermächtnis. Was das nachfolgende 70-Minuten-Spiel selbst betraf, so war darin alles Baukastenmäßige wie weggeblasen als ob es nicht 31, sondern tatsächlich nur diese 16 theatralischen Abenteuer gäbe. Getroffen haben Anna-Sophie Mahler und ihr Dramaturg Stefan Wirth ihre Auswahl ganz um die Person des Quijote herum, um das Ganze in der geradezu irrwitzigen Probenzeit von zweieinhalb Wochen auf die LAB-Bühne zu stemmen.
Geschafft hat man dies nur, weil die Professionalität gleichmäßig übers gesamte Team verteilt war und weil man einfach keine Zeit hatte, um sich in Bühnen-Illusionsräumen zu verlieren. Quijote ist im LAB dankenswerterweise ohne Mantel und Degen unterwegs, was nicht unbedingt auf heilige Nüchternheit hinauslaufen muss. Ganz im Gegenteil haben Mahler/Wirth unter Beweis gestellt, dass der Witz die Burg aus Pappmaschee, die Realo-Mühle nicht braucht. In Frankfurt tat‘s eine gewöhnliche Theater-Windmaschine, die den Herren Katzameier und Winfrid Mikus, dem treuen Sancho Panza, die Notenblätter im aufgestellten Notenständerwald verwirbelte. Völlig ausreichend, um Fin de partie zu sagen, um zu zeigen, dass der Don die erste Runde gegen seine ‚Riesen‘ verloren hat.
Cervantes pur
Für den eminenten Schwung dieser Aufführung sorgte eine geschlossene Ensembleleistung: Ensemble Modern, auf den Punkt verlässlich, ausbalanciert in allen Orchesterteilen wie im Zusammenwirken mit einem SWR-Experimentalstudio, das das Gesungene aufsammelte, um es als Echo und Hall live-elektronisch wieder einzuspeisen. Klang gut; vor allem aber Otto Katzameier, der Star, die starke Seele dieses Abends. Durchtönend, präsent in der Deklamation, keine Silbe verloren gebend, aus der Deklamation in seine Linien findend, nur um zurückzurutschen in die Sprachlosigkeit, ins Dastehen, ins Mit-sich-Machenlassen. Denn „Subjekt-Sein“, dies ist hier doch die Illusion, damit aber die Gegenwärtigkeit, die locker ohne allen Aktualisierungshub erreicht ward und die dann doch noch die Umrisse eines Illusionsraums aufscheinen ließ – ein Raum freilich nur aus Spiel gebaut, aufs Spiel gegründet. Auf einen perkussiv-grundierten Orchesterklang, auf die zarten Linien, mit denen Mikus-Panza seinem Patron assistierte, im nächsten Moment ihn schneidend konterkarierte. Nicht zu vergessen die exzellent besetzten Nebenrollen aus dem Korpus der von Walter Nußbaum einstudierten Schola Heidelberg. Erstaunlich, wie dieses scheinbar aufs rein Vokale spezialisierte Solistenensemble in den Schlüsselszenen darstellerische Präsenz an den Tag legte. Da war Juliane Dennerts Dorothea-Grandezza vor ihrem Galan und Letztere zusammen mit Svea Schildknecht und Noa Frenkel als die „drei Damen“ aus der Schenke: Kokett und mit diesem spitzigem Kicherton, wenn der Don in den Dirnen die Jungfrauen sieht. Cervantes pur.
- Letzte Aufführung: 11. Dezember, 19:30, Frankfurt LAB