Darf die überhaupt noch gespielt werden, die „Zauberflöte“? Dies wird gefühlt zumindest jährlich einmal bei Spielplangestaltungen an-, vielleicht aufgeregt diskutiert, bis wieder jemand schwach wird und sich an ihr versucht. Denn landauf und landab, landin und landaus zeigt man sie, neu oder gebraucht, in Braunschweig oder in Nürnberg für Jung & Alt, in Basel und St. Gallen, in Berlin im Planetarium, in New York im Kino oder gar im fernen Kambodscha. Jüngst gab es sie coronakonform in Bremen und ganz neu nun in Kiel, genau am 11. Dezember 2021, wo man den arg diskutierten Sonderlichkeiten der „Zauberflöte“ anders beikommen wollte.
Wie aber stellt man das an, Enthusiasten ebenso wie Skeptikern gerecht zu werden, das Kunst- oder Machwerk geschickt auf die Bühnenbretter zu zwingen? In jenem Ort nun, wo die Ostsee eine Förde hat und oft ein kräftiger Wind bläst, (schließlich ist Kiel auch Landeshauptstadt) gibt es im Theater einen, der beides ist, Hausherr in einem Mehrspartentheater, Generalintendant genannt, und zugleich ein begeisterter, auch begeisternder Regisseur in Wort und Klang. Sein Opern- und sein Schauspielhaus zu verbinden, musste ihn reizen.
Neue Zwischentexte
Daniel Karasak fand Mitstreiter. Wichtigster wurde Roland Schimmelpfennig, ein Vielgespielter Autor, auch an Karaseks Haus. Nur einen Tag vor der Opernpremiere war die seines 5-Personen-Stückes „Der Riss durch die Welt“ im Schauspielhaus. Seit November bereits sucht seine Version von H. C. Andersens „Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ im Opernhaus die Kinderherzen zu gewinnen. Schon im Vorjahr hatte man ihn auf die andere Märchenwelt angesetzt, in der mit Flöte und Glockenspiel gezaubert wird. Er sollte auf das ein Auge werfen, was 1791 Emanuel Schikaneder für Mozart in Dialoge und in Gesangstexte gepackt hatte. Letztere ließ Schimmelpfennig weitgehend unangetastet, suchte lediglich an einigen Stellen etwas umzuwürzen, vor allem in der Arie 13, wo bei „Alles fühlt der Liebe Freuden“, bei Monostatos‘ Geständnis seines Liebesdrangs, der rassistische Beigeschmack zu tilgen war. Die alten Dialoge dagegen traf es ärger. Sie wurden stark be- oder neu erarbeitet. Hatte Schimmelpfennig dabei auch an Kinder gedacht oder Jugendliche? Denn Tamino war kein Prinz mehr, er wurde zu einem „Jungen der Vorstadt“, in Jeans und lässiger Fliegerjacke. Passend trug Pamina Rock und Leggins darunter (Ausstattung: Claudia Spielmann). Gehört auch das dazu, Kindern und den etwas Älteren Opern schmackhaft zu machen, worum man sich ja vielerorts bemüht? Dabei wird sich ja gern der „Zauberflöte“ bedient, möglicherweise ein Grund, sie hier wie andernorts immer wieder an die Rampe zu zerren.
Jetzt füllte sie wieder das Haus, zumeist Erwachsene, die trotz Pandemie und bei strengem 2G-Reglement gekommen waren und sich begeistern ließen. Was sie sahen, war das Ergebnis einer aufwändigen Anstrengung, die schon vor mehr als einem Jahr begann, wegen der Abstandsregeln nur nicht realisierbar war. Da Karasek als Hausherr und Regisseur beide Ensembles kannte, gesellte er jedem Sänger, jeder Sängerin ein Alter Ego aus dem anderen Hause zu. Die Szene war dadurch ständig gut gefüllt, nicht nur bei den Chorstellen. Alle traten also im Doppelpack auf, Tamino und Papageno, Pamina und Papagena, Sarastro und Monostatos. Nicht immer passten sie im Phänotyp zueinander, nur die Königinnen der Nacht sehr gut, auch die Paminas mit dem Unterschied, dass die singende weich und zurückhaltend wirkte, die Sprechende keck. Tamino trat als Sänger besonnen auf, sprechend mehr sportlich. Papageno war feingliedrig und behände, sein Alias ein fast derber Naturbursche. Monostatos hatte bei kleiner Statur viel Resonanzvolumen zu bieten, sein Gegenbild, das für ihn sprach, dagegen war rank und schlank. Die drei Damen dagegen bildeten insgesamt im engen Kleid ein homogenes, äußerlich wohlgeformtes SEXtett, wie es ihre Rolle erforderte. Nur den drei Knäbinnen, dem Sprecher und den beiden Geharnischten hatte die Regie oder der Text das Zwitterwesen verweigert.
Mit der Verdopplung veränderten sich die Zwischendialoge. Bei Schikaneder sollten sie die Handlung weiterleiten. Bei Schimmelpfennig waren sie substantieller, trotzdem kurzweiliger, zudem heutigem Jargon angeglichen. Sie standen nicht nur mit den anderen Figuren in Kontakt, stritten auch mal untereinander, kommentierten oder kündigten ihr Tun mit vielerlei Wort- und Spielwitz an. Ein Beleg dafür: Monostatos zögert im 2. Akt etwas lange, Pamina zu küssen. Ungeduldig fordert sein sprechendes Pendant: „Nun sing doch mal was!“
Ein Traumspiel
Manches dem Original als Manko Angelastete bereinigte das neue Zentralmotiv, das das Geschehen als Traum zu deuten anbot. Es gab zunächst dem rätselhaften Puppenhaus einen Sinn. Es stand rechts neben der runden, rotierenden Spielfläche. Zum zweiten Teil der Ouvertüre nämlich tritt eine junge Frau auf, holt aus dem kleinen Häuschen Kopfkissen und Decke, bettet sich und lässt sich von den zum Ausgang bereiten Eltern, Mama im Abendkleid und Papa in einem merkwürdigen Anzug, eine gute Nacht wünschen. Das anschließende Gezänk der Eltern, pantomimisch versteht sich, geht bei ihr in den Schlaf über, in dem sie ihrem Double, auch ihrem Freund Tamino und anderen Figuren begegnet. Auch drei bunte Figuren sind dabei, die sich selbst als Sklaven beschreiben. Auch weiterhin gibt es nichts vom alten Ägypten, auch keine Freimaurerei. Beides sind nicht einmal Versatzstücke in ihrer Traumwelt, selbst wenn Papa Sarastro weiterhin von Isis und Osiris singt. Alles Merkwürdige der „Zauberföte“ als Traumspuk darzustellen, erweist sich als ein feiner Trick. Die Mutter wandelt sich zu einer von inneren Zweifeln geplagten Nachtschwärmerin, der Vater zum despotischen, auch führenden und verzeihenden „Vorbild“ in einem jungen Leben, das sich emanzipieren will. Sein hellbrauner Anzug allerdings fällt in alte Erklärungsmuster zurück, ist das Oberteil doch zur einen Hälfte ein biedermeierlicher Gehrock der Freimaurerzeit, zur anderen ein Jackett des Heute und Jetzt.
Der eigentliche Grund, immer wieder der „Zauberflöte“ sich zuzuwenden, ist für viele die Musik. In Kiel wurde das Orchester, um das Spiel über den Graben nach vorn zu bringen, in den Bühnenhintergrund verbannt. Keine so gute Idee, zumal die lockeren Texte und das auffällig muntere Treiben in Karaseks vitaler Regie Benjamin Reiners zu einem sehr geschwinden Tempo verführten. Anfangs vor allem hätte man sich mehr Ruhe für Feinheiten gewünscht. Im zweiten Akt fanden er und das Orchester zu mehr Intensität. Sie nützte auch den Sängern, die hier nur kurz erwähnt werden können. Vigdis Bergitte Unsgård als Pamina gehörte mit ihrem warmen Sopran dazu, auch der wendige Tenor, den César Cortés seinem Tamino gab. Das zweite jugendliche Paar, Samuel Chan als Papageno und Mengqi Zhang als Papagena, meisterten ihre quirligen Partien klangschön und sicher. Emma Posman nahm sehr beschwingt die Koloraturen der Königin der Nacht auf sich, Fred Hoffmann bewährte sich als Monostatos, während Thorsten Grümbel als Sarastro mit einem schlanken Bass hier gut aufgehoben war, in einer konventionellen Inszenierung es möglicherweise schwerer gehabt hätte. Ein Spaß, auch stimmlich, war das Damentrio mit Agnieszka Hauzer, Tatia Jibladze und Fiorella Hincapié, beachtlich auch das Trio der Knaben mit den Stimmen von Shaylee Zavazava, Luca Janicki und Laureena Wawerla. Der klangvolle Chor sei nicht vergessen, der aber in der weißen Kleidung und mit den Schutzbrillen einer Abordnung aus der Corona-Pflegestation glich.
Die Dopplung der Rollen könnte im Verdacht stehen, das Vorurteil Sängern gegenüber zu verdecken, sie hätten weniger Geschmeidigkeit im Darstellen und verbalen Ausformen einer Rolle. Es hat sich hier nicht bestätigt. Gerade das Miteinander gleicher Personen war vergnüglich anzusehen. Dennoch ist die Zahl der Mitwirkenden zu groß und als Entschuldigung dafür genommen, die Schauspieler nur pauschal zu loben.
Ein Schlussgedanke
Ist diese durchaus unterhaltsame Version nun die letzte? Wohl nicht. Sie war tempo- und pointenreich, kam gut an. Dennoch bleibt ein Aber: hätte das Traumwelthafte nicht sorgfältiger eingeführt, auch wirkungsvoller durchgeführt werden müssen? Die knappe Pantomime anfangs und ein kurzes Familientableau zum Schluss sind magere Deutungshilfen.
11.12.2021 – Kiel: Die Zauberflöte, W.A. Mozart, Premiere
Musikalische Leitung Benjamin Reiners
Regie Daniel Karasek