Seit vielen Jahren gibt KS Prof. Regina Werner-Dietrich an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Operettenworkshops. Nach fünfzehn Wochen mit je einer Stunde präsentieren sich die Teilnehmenden am Ende des Wintersemesters im Großen Saal zum Abschlusskonzert mit dem genrekundigen Salonorchester Cappuccino. Starke Herausforderungen durch das Ach-So-Leichte sind das und eine Talentprobe für Instinkt, künstlerische Balance und fein kalkulierte Freiheiten.
Die Grippewelle brachte einige Störfaktoren in die Programmfolge, die aber ganz schnell vergessen waren. Tausend kleine Operettenenglein hätten gejauchzt bei dieser „anständigen Frau“ aus der „Lustigen Witwe“: Die Sopranistin Annika Steinbach und der Tenor Severin Böhm sinnieren in gestischen und tänzerischen Andeutungen über Flirt und Liebe. Sie schweben über dem doppelten Boden des Textes, gestatten sich bei einigen Noten und Längenwerten maßvolle Freiheiten, umschmeicheln sich und verführen sogar Salonorchester-Primas Albrecht Winter zu Fermaten. Damit erzählen sie mindestens noch eine weitere Geschichte neben dem drohenden Seitensprung. Beide – Anfänger wohlgemerkt – machen es also goldrichtig und bringen deshalb das wahre Wesen der Operette zum Funkeln. Egal, ob man das frühere Ideal à la Anneliese Rothenberger oder die anarchischen Radikalburlesken heute favorisiert.
Immer gehört natürlich zur szenischen und musikalischen Sicherheit auch die Raffinesse der visuellen Präsentation. Da lässt Regina Werner-Dietrich von ihren Solistinnen einiges an Aplomb und Verheißung auffahren. Es liegt aber nicht nur an dem Kleid mit Schultern unter schwarzen Spitzen, dass Nele Kovalenkaite als Komtesse Stasi und „Venus in Seide“ Eindruck macht. Sondern auch, weil sie jetzt und in Zukunft genau weiß, dass eine echte Operettendiva unter der sicheren Höhe auch in den Mezzosopran-Farben einer Carmen punkten muss, die sie hier ohne Forcieren tatsächlich hat. Natalija Cantrak mit „Csardasfürstin“ und Dostals „Lied von Lieb und Treu“ aus „Die ungarische Hochzeit“, Sofia Pinto mit den „Zigeunergeigen“ der „Gräfin Mariza“ treten schon so auf, dass man sich auf ihre etwas dramatischeren Schwelgereien freuen muss. Durch geziert naive Farben reizt auch Felicitas Wrede zu Begehrlichkeiten, wobei die kapriziöse Innigkeit des Sieveringer Flieders und Glaskoloraturen des Wiener Frühlings ebenso tückische Anspruchsfallen stellen wie die aufkochende Puszta-Erotik.
Inzwischen gibt es dieses Abschlusskonzert des Operettenworkshops aufgrund der großen Nachfrage schon zweimal, als Matinée und nachmittags. Es ist ein genau beobachtendes Publikum, was das recht paprikareiche Menü mit Schlenkern zum Broadway von George Gershwin und John Kander beklatscht. Da zeigt sich für alle Mitwirkenden, dass Wirkung nicht nur am Stimmmaterial liegt, sondern ebenso an dem, was man daraus macht.
Gerade junge Sängerinnen und Sänger ziehen für andere Sparten bis zum Liedgesang beträchtlichen Erkenntnisgewinn aus dem Operettenworkshop: So zum Beispiel, wenn im aufdonnernden Weibermarsch ein sekundengenau gestützter Mezzopiano-Ton sich vom Kraftgesang der Herrenriege bestens abhebt und ein schwebend verklärter Blick zum angerauten Vibrato der Violine das Publikum vollends betört. Da zeigt sich: Operette ist bestens kompatibel mit klassischer Gesangs- und Vortragskultur, Regina Werner-Richter steigert so auch die Konkurrenzfähigkeit ihrer Studierenden. Denn für die Bewährung auf den knallharten Vorsingpodien der Agenturen und Theater wird gewinnendes Auftreten ein gewaltiges Plus für alle Mitwirkenden und ein eloquenter Sprint manchmal vorteilhafter als der vokale Vollgalopp.