An das Berliner Schillertheater, wo Hans Neuenfels mit seiner Gattin Elisabeth Trissenaar, etwa als „Penthesilea“, einst Triumphe gefeiert hat, kehrte der Regisseur nun zurück und gab mit „Die Pforten der Liebe“, der Uraufführung seiner Neufassung von Mozarts achtem Bühnenwerk „La finta giardiniera“, sein nicht unumstrittenes Staatsopern-Debüt.
Mozarts 1774 innerhalb von drei Monaten entstandenes und im Januar 1775 in München uraufgeführtes Dramma giocoso in tre atti, „La finta gardiniera“ fristet bis heute ein bescheidenes Bühnenleben. Den nur drei Aufführungen der Erstfassung, mit einer durch Secco-Rezitative verbundenen Abfolge von 29 Gesangsnummern, folgte 1780 am Komödienstadl in Augsburg die etwas erfolgreichere deutsche Version mit gesprochenen Dialogen. Doch auch „Die Gärtnerin aus Liebe“ litt unter Langatmigkeit und konnte sich nur schwer durchsetzen. Den von ihm als „unsinnig und völlig verfehlt“ erachteten Text ersetzte Regisseur Hans Neuenfels durch eine Handlung auf der Meta-Ebene. Auch dieses Procedere ist für Mozarts Opern nicht neu: So dichtete etwa Herbert Rosendorfer für die Aufführung beim Deutschen Mozartfest, 1981 in Hildesheim, für „La Clemenza di Tito“ anstelle der Secco-Rezitative Dialogszenen von Kaiser, Kaiserin und Hofstaat, die Mozart und dessen Opernhandlung in dessen letzter Oper reflektieren.
Hier, im Jugendwerk, setzt Neuenfels als Autor einen in die Jahre gekommenen Grafen und seine Gemahlin sowie weitere sieben Darsteller in unterschiedlichen Rollen ein, überträgt aber auch den singend handelnden Personen Texte, bisweilen gereimt, und in einem Fall, für Serpetta (Regula Mühlemann) auch auf Schwiizerdütsch. Gerne übernimmt der Regisseur als Übervater der Szene aber auch selbst hinterfragende Kommentare über Lautsprecher. Ein Cembalo leitet zu den Dialogen über und begleitet bisweilen melodramatisch die neuen, häufig witzigen, und auch Lacher im Zuschauerraum auslösenden, offensiv provokanten, gesprochenen Szenen.
Das Grundmotiv des Originals bleibt in der neuen Handlung erhalten und wird in der Introduktion ins Bild gesetzt: In rasender Eifersucht erdolcht Belfiore seine Geliebte, die Marchesa Violante Onesti. Aber die für tot gehaltene Violante schlüpft unter dem Namen Sandrina bei einem Podestà unter, der dezidiert ihrem Hymen nachstellt. Bevor die Geliebten sich wieder begegnen und am Ende, sich erneut zu einander bekennend, die „Pforte der Liebe“ überschreiten und in einen Time Tunnel treten, erfolgen die opernüblichen Verwicklungen.
Die collagenartige Abfolge der Nummern des Originals ist beibehalten, aber die Arien sind in ihrer Dacapo-Form häufig gekürzt; der abschließende Rundgesang entfällt ganz. So kommt die im Original über fünf Stunden dauernde Oper auf eine Dauer von dreieinviertel Stunden.
Den Reigen der sieben Protagonisten, von denen shakespearemäßig jeder einen Anderen liebt, der wiederum seine Liebe nicht erwidert, weil auch er/sie einen Anderen liebt, forciert der Bearbeiter – unter Berufung auf Mozarts späte Pubertät zum Zeitpunkt der Komposition – zu einem Spiel in Nähe von de Laclos’ „Gefährlichen Liebschaften“. Die Motivationen der Handlungsträger werden drastisch zurückgeführt auf deren Sexualität.
So legt der Bearbeiter Neuenfels etwa Arminda die folgenden Verse in den Mund: „Drum für alle Frauen dieser Welt / eile ich voran ins Männerfeld, / werd’s entwurzeln, werd’ es roden, / werd’ es säubern von den Hoden. / Und die widerlichen, roten Knollen / schick’ ich den Chinesen. Die sollen / sie mit ihren eignen gelben Eiern, / Höhepunkt der Frühlingsfeiern, / als globale Delikatessen / zu Orangensäften pressen.“ Und der Regisseur Neuenfels zeigt in Armidas nachfolgender Arie Nr. 13 das Leiden dreier Jungen, wenn Armida die aus ihren Hosen hervorgezogenen Orangen und Rüben zerkleinert und in einen Mixer steckt.
Die Sopranrolle des Ritters Ramiro outet sich in der Neufassung als eine Frau, die eine Frau liebt.
Ausstatter Reinhard von der Thannen arbeitet mit einfachen Mitteln: eine fahrbare Zentralwand dient auch als Projektionsfläche für die deutsche Übersetzung der in italienischer Originalsprache gesungenen Arien, und die Portalverkleidungen im Leucht-Design zitieren das Rokoko. Drei Sitzgelegenheiten, die aus Unmengen von Geigenkästen gebildet sind, werden abgelöst von einem weißem Küchentisch mit zwei Stühlen, wie sie schon in Neuenfels’ dritter Opern-Inszenierung, Schrekers „Die Gezeichneten“, ein Artefakt bildeten. Ein roter Leuchtkreis, von einem Geier gleichmäßig umkreist, steht für die Gefährdung der Liebenden im ersten der zwei raren Ensemblenummern. Fahrbare, gebogene Plexiglaswände betonen im zweiten Ensemble die Einsamkeit der Protagonisten in hell erleuchteter Finsternis; erneut und wiederholt erstechen dort Violante und Belfiore einander mit Springfeder-Theaterdolchen und werden dann in gläserne Särge gebettet, in denen sie aber nicht zur Ruhe kommen.
Im trefflich aufeinander abgestimmten, intensiv geprobten Ensemble-Spiel bleiben die Sängerdarsteller hinter den großartigen Leistungen von Elisabeth Trissenaar als alternder Contessa und Markus Boysen als ihrem immer noch nach jungen Mädchen geilen, schließlich im Rollstuhl an einem Exzess sterbenden Gatten, nicht zurück.
Hinreißend singt und spielt Stephanie Atanasov die in die Rolle des Ritters Ramiro flüchtende Lesbierin, in ihrer aussichtlosen Liebe zur dramatisch intensiven Alex Penda als Armida. Aris Argiris verkörpert den Nardo, mit der auch außerhalb dieser Oper berühmten, dreisprachigen Verführungsarie, Stephan Rügamer den exzentrischen Podestà. Ein Mozartsches Traumpaar bilden Annette Dasch, mit betörenden Piani, und der Tenor Joel Prieto mit ungemeiner Bandbreite an stimmlichen und darstellerischen Ausdrucksmitteln.
Die Staatskapelle Berlin, im halb hoch gefahrenen Orchestergraben, fand anfangs in den Streichern schwer zusammen, und auch für die Hörner war es ein wenig glücklicher Abend. Dirigent Christopher Moulos betont die unterschiedlichen Klangfarben, mit denen der frühe Mozart orchestral geradezu zu experimentieren scheint. In der Abfolge der bisweilen kenntlichen Vorstufen für Arien späterer Meisterwerke des Komponisten, verdichtet er das Ende mit seiner ausladend umfangreichen Abfolge von Accompagnato und Duett zu einem echten Mozart-Erlebnis.
Im ausverkauften Auditorium blieben nach der Pause einige Plätze unbesetzt. Die Begeisterung des Publikums ergoss sich auf alle Beteiligten, nur der Regisseur und sein Ausstatter wurden von Bravo- und Buhstürmen umbraust und genossen dies sichtlich.
Weitere Aufführungen: 27. November, 1., 8., 15. Dezember 2012, 6., 11., 19. April 2013.