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 Falstaff im Theater Bremen, Nathalie Mittelbach, Meike Hartmann, Marysol Schalit, Mariana Pentcheva und Chor. Foto: Jörg Landsberg
Falstaff im Theater Bremen, Nathalie Mittelbach, Meike Hartmann, Marysol Schalit, Mariana Pentcheva und Chor. Foto: Jörg Landsberg
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Paul Georg Dittrich wagt in Bremen eine radikale Sicht auf Verdis Alterswerk „Falstaff“

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Im historischen Windsor in Guiseppe Verdis genialer Altersoper „Falstaff“ Fratzen überall: Absurde Königskostüme, Richterroben, Faschingsklamotten, wie sie nur einer überbordenden Fantasie entsprungen sein können, dann Alltagsklamotten aus Karriereleitern wie schicke Anzüge bei Herren und auch den Damen, wie sie Vorstandssekretärinnen oder Politikerinnen tragen und alles mögliche dazwischen – ohne historische Zeit.

Aber irgendwie eine rigide, kontrollierende Gesellschaftsstruktur, in der sich dann die große Eifersuchtsarie des Ford wie ein tränerreibender Fremdkörper ausnimmt. Und ein Fremdkörper ist auch Falstaff, im grauen Anzug mit T-Shirt darunter, lange wilde Haare machen ihn ein wenig zum Clochard. „Normal“ eigentlich nur er – und das Kind, das am Ende in seine Arme flieht.

In seiner fünften Inszenierung in Bremen widmete sich Paul Georg Dittrich Verdis genialem Alterswerk „Falstaff“ und räumt auf mit dem Untertitel „lyrische Komödie“ – so war es auch von ihm zu erwarten: lustig ist da wirklich gar nichts. Weder Falstaffs Liebesbriefchen an zwei Frauen gleichzeitig, weil er nicht nur mit denen ins Bett, sondern auch an das Geld von deren Männern will. Und lustig sind auch die Quälereien nicht, die die Rachegesellschaft vollkommen übersteigert ihm zukommen lassen, weil sie endlich einmal etwas erleben: der Wurf in die Themse – ein wirkliches Wasser auf der Bühne – die turbulente Piesackerei im nächtlichen Wald, der sich als Windsor- Ministädtchen präsentiert.

Und je schlimmer das alles ist, desto sympathischer wird der Anarchist Falstaff. Eklig, besoffen, berechnend ist er nicht. Er allerdings hat Unterstützung durch die Kinder, die auf der Bühne in so einer Art Hörsaal sitzen und die Elterngesellschaft beobachten. Aber auch hier übernehmen einige die alten Gesetze, quälen das Mädchen, dessen Puppe Falstaff ist: zwei Jungs entreißen sie ihr. Unterm Strich die Botschaft: Eine korrupte verlogene Gesellschaft, ein Verweigerer und Widerständler und immer mehr die Kinder, unsere Hoffnung, dass einmal alles anders wird.

Dafür nimmt Dittrich manchmal unverständliche Abtraktionen in Kauf. Aber atmosphärische Deutlichkeiten kommen vor allem auch von der musikalischen Interpretation der Bremer Philharmoniker unter der Leitung von Marko Letonja. Der liefert in Bremen seine zweite Oper ab und glänzt mit dieser explosiven Partitur durch einen wunderbaren Reichtum an Zwischentönen wie Ironie, Zärtlichkeit, Frechheit, Hektik. Die Einheit und gegenseitige Bedingtheit von Szene und Musik zeichnet diese sehenswerte Aufführung aus. Johannes Schwärsky als Falstaff ist bedauerns- und liebenswert, mit mitreißend schöner und großer Stimme. Schon erwähnt: Elias Gyungseok Han als Ford, stimmlich und emotional ergreifend. Meike Hartmann als Alice und Nathalie Mittelbach als Meg, Mariana Pentscheva als Kupplerin Quickley, herausragend glockenklar Marysol Schalit als Nanetta und Hyong Kim als Fenton.

Die Bewohner von Windsor bevölkern hochgradig entfremdet die zweigeteilte Bühne: ein Steg in der vorderen Mitte ist die Welt Falstaffs, er ist nicht nur nah, sondern unter uns. Die andern bevölkern die Bühne vorne: ein Parlament oder ein Hörsaal. Damit die vorderen Reihen aber auch die Ereignisse auf dem Steg sehen können, sind zwei Filmer (Michael Dreyer und Lio Klose) tätig, deren Ergebnisse dann vorne zu sehen sind. Nicht immer gelingt das, denn allein die Porträts zeigen noch keine Szene und für die anderen verdecken die Filmer zu viel. Anhaltender Beifall.

  • Weitere Aufführungen: 4. und 11.2. um 19.30, 20.2. um 15:30, 26.2. und 2. 3. um 19:30.

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