Der Begriff „Wunderkind“ ist überstrapaziert, doch was der anfangs 16jährige Erich da unter Aufsicht seines strengen Kritiker-Vaters 1913 bzw. 1916 in Wien komponierte, klingt selbst für den Opernkenner atemberaubend. Dass Leo Feld, der Librettist des „Ring des Polykrates“, eigentlich Hirschfeld hieß und aus Augsburg stammte, war nicht der zentrale Grund, sondern die Fortsetzung der Augsburger Reihe mit „Entarteter Musik“ von Komponisten, die durch die „braunen Kulturvernichter“ für Mitteleuropa verloren gingen.
1913 gelang es dem jungen Korngold, parallel zu Puccini und den italienischen Veristen, vor allem aber nach Wagner alle kompositorischen Errungenschaften aufzugreifen, italienische Sanglichkeit, spätromantische und impressionistische Klangreize samt musikdramatischer Wucht zu Eigenem zu formen. Das machten die Augsburger Philharmoniker unter Roland Techet in der Premiere mehrfach zu lautstark, aber doch auch emotional stark und mit üppiger Klangfülle betörend hörbar.
Im „Ring des Polykrates“ wird Schillers gleichnamige Ballade nicht nur zitiert. Deren Zentralgedanken von der Flüchtigkeit (zu) großen menschlichen Glücks hält der unglückliche Jugendfreund Peter „Pech“-Vogel der einst geliebten Laura und dem mit ihr glücklich verheirateten Hofkapellmeister Wilhelm mahnend, herausfordernd, neidisch und letztlich intrigant vor. Augsburgs Schauspieldirektor Markus Trabusch hat dies sinnfällig in ein rundum offenes „Goldkäfig“-Häuschen verlegt. Die Entstehungszeit 1913-14 und die Uraufführung 1916 haben ihn und Bühnenbildern Volker Hintermeier dazu verführt, diesen Goldkäfig mitten in ein bühnenweites Schlachtfeld-Ödland zu platzieren und im Hintergrund originale Filmsequenzen vom fröhlichen Kriegsbeginn bis hin zum Grauen der Materialschlachten zu projizieren. Vogel tritt als Kriegsinvalide auf: abgenutzte Uniformreste, geschientes Bein samt Krücke, ein Auge verloren, ungepflegter Bart. Das verschiebt prompt die dramaturgische Balance: Wilhelm und - komödiantisch gespiegelt - auch Diener Florian stellen, durch Vogel aufgestachelt, ihr Glück in Frage, lernen es aber am Ende doch schätzen und jagen den Störenfried davon – was bei so einem „armen Hund“ wie dem Invaliden Vogel die vier Glücklichen moralisch völlig ins Unrecht setzt – und Korngold nicht komponiert hat. Doch was Christopher Busietta und Sophia Brommer als Dienerpaar, Giulio Caselli als Vogel und Niclas Oettermann als Wilhelm sangen, ließ den „Regie-Einfall“ vergessen. Im Mittelpunkt eines mitreißenden Schlussquartetts stand die schöne Laura von Sally du Randt, der man Glück und ausgleichende Selbstbehauptung vokal wie darstellerisch glaubte.
Nach der Pause war sie die traumschöne, rätselhaft verschlossene Violanta - wie in Wien nach 1900 und nach Sigmund Freud eben die Renaissance gesehen wurde: Die Frau vereint Weiblichkeit, Verführung und Tod. Korngold verschmilzt dazu venezianisches Ambiente, Karneval-Trubel, heftige Gefühlsaufwallungen und setzt dazwischen raffinierte Fernchor-Wirkungen und atmosphärische Zwischenspiele als retardierende, spannungssteigernde Momente. Violanta lockt den Verführer Alfonso, der ihre Schwester, eine junge Novizin, verführt und lachend in den Tod gehen ließ, zu sich und will ihn mit einem Lied als Signal vom finsteren Ehemann (zu wenig abgründig Stephen Owen) töten lassen. Als sie sich Alfonso im verführerischen Negligé nähert, ihm sein oberflächliches Verführertum vorhält, er ihr aber seine hektische Suche nach Liebe überzeugend erklärt, bricht Violantas Verschlossenheit auf, wandelt sich ihre Verachtung in exstatische Hingabe – und von kleinen Premieren-Forciertheiten abgesehen, überwältigten Sally du Randt und der überzeugend „exotisch anders“ wirkende Ji-Woon Kim da in einem nach-tristanischem, rauschhaften Liebesduett. Derartiges kann nur enden, indem sich Violanta am Ende selbst ins Messer ihres Mannes stürzt – und Regisseur Trabusch auch Alfonso sich selbst töten lässt. All dies hinreißend komponiert von einem 18jährigen! Jubelstürme. Das boshafte Bonmot, dass das Schönste an Augsburg der Zug nach München sei, ist umzudrehen… nicht auszudenken, wenn die Uraufführung beider Werke 1916 in München ein Anlass wäre, sie 2016 auf dem Spielplan des Nationaltheaters zu finden!