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Notentitel Morton Feldman. Foto: Hufner
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piano piano – Liebner und Rathert zu Ehren der neunzigsten Geburtstage von Earle Brown und Morton Feldman

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Es war eine wahrhaft schöne Geschichte, die Wolfgang Rathert, Musik-wissenschaftler der LMU-München mit Schwerpunkt zwanzigstes Jahrhundert inklusive Musik der Gegenwart samt speziellem Fokus auf die USA, erzählte. Knapp und präzise, klipp und klar, befreit vom Feinstaub musikwissenschaftlich-mikrotonaler Esoterik.

Aus Zeiten, als das Komponieren nicht mehr nur nach vorgestanzten Ritualen ablief, als sich nach jedem Einzelton nicht die Fortsetzung eines zu erwartenden Systems aufbaute sondern jeweils neue Strukturen des Denkens wahrzunehmen und zu aktivieren waren. Und all dieser fortschrittliche Diskurs spielte sich ab mit Malern, Performern, Tänzern.

Das war zu Zeiten, als in Europa die Wunden des Zweiten Weltkriegs geleckt wurden, in Deutschland die Nierentisch-Spießbürgerlichkeit vorherrschte und moderne Kunst à la Kandinsky jeder zu können glaubte. Da fanden neue europäische Ideen und amerikanische gepaart mit den Ingredienzien einer Weltmusik, in Gruppierungen, zusammen, die dem Amerikanischen an sich erstmals auch in der New York School das originär Nordamerikanische im Jazz gepaart mit dem Abstrakten Expressionismus abtrotzte. Malerisch und musikalisch. Die Welt der Klangfarben und der Realfarben in einem Boot.

John Cage war eine Zentralfigur. Morton Feldman, Earle Brown, David Tudor, der Pianist und Komponist, der Tänzer und Choreograph Merce Cunningham, der französisch-deutschstämmige Denker und Komponierer Christian Wolff, die Maler Robert Rauschenberg, Mark Rothko, Philip Guston bildeten drum herum unterschiedlich changierende, sich erweiternde und ausdünnende Gruppen und Grüppchen. Das strahlte aus. Doch Europa brauchte noch Zeit, hatte sich mit eigenen Tendenzen auseinanderzusetzen, mit elektronischer Musik, musique concrète, Neoklassizismus, Serialismus, Ideologien und Gegenideologien. Hier musste man sich an graphische Notationen gewöhnen, die Öffnung zur Welt hin lernen. Daran haben heute Amerika wie Europa aufs Neue zu knabbern.

Nicht das aber war thematisch für Wolfgang Rathert. Er erinnerte in nicht alltäglicher Knappheit profund und kompetent an die Geburtstage zweier Großer, die 2016 neunzig geworden wären: Earle Brown und Morton Feldman. Fast neidisch mochte sich der Blick wenden gen Westen auf all die Befreiungen der damaligen Zeiten. Die profunde Rundumpianistin Sabine Liebner mit phänomenaler Begabung fürs Zeitgenössische konnte nun unverkrampft in den Ring steigen im ehemaligen i-camp und aktuellen HochX Theater und Live Art, in der grünen Au, da wo Karl Valentin und zuweilen Bert Brecht noch das ehemalige Glasscherben-viertel aufmischten. Und von der ersten Sekunde an war die Spannung, die Anspannung im noch immer nach dem Gusto und im Flair der dicht denkenden Avantgarde ausgestatteten Saal so knisternd, dass bei all der ungemein kontemplativen und höchste Aufmerksamkeit erfordernden Musik jede Stecknadel gehört worden wäre, hätte denn einer der beiden Komponisten ihr Fallen an irgendeiner Stelle vorgeschrieben gehabt.

Es war so gut wie kein Husten, kein Nießen zu hören, fast eineinhalb Stunden lang. Und davon dreißig Minuten im piano des Feldman-Stücks Piano aus dem Jahr 1977. Was Liebner an unglaublichen Klangflächen entstehen ließ, was sie diversen Einzeltönen an Entfaltungsmöglichkeiten einräumte im dichten Makrokosmos klingender Farbflächen, das bietet der Musikbetrieb im Alltagsgeschäft nirgendwo an. Das war Ereignis Eine Ahnung davon bieten Sabine Liebners CD-Aufnahmen.

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