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Agnes von Hohenstaufen. Foto: © Lutz Edelhoff
Agnes von Hohenstaufen. Foto: © Lutz Edelhoff
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Preußischer Opern-Weltcup: Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“ am Theater Erfurt

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Gaspare Spontinis und Ernst Raupachs preußische Hochzeitsoper hat eine bescheidene Wirkungsgeschichte. Nach der letzten Bearbeitung 1835 wurde sie im deutschen Sprachraum überhaupt nicht mehr gespielt. Von Sammlern kultisch verehrte Mitschnitte der Aufführungen beim Maggio Musicale Firenze 1954 und 1974, 1970 beim RAI (und zuletzt 1986 in Rom) blieben wirkungslos. Die erste gedruckte Partitur der in Personalaufwand und Umfang riesigen Oper erschien erst 2001 bei Henle. Die von Riccardo Muti und Werner Schroeter betriebene Co-Produktion der Staatsoper Berlin, der Mailänder Scala und der Wiener Staatsoper platzte. Das Theater Erfurt wagte sich an dieses legendäre Werk, veranstaltete um die Premiere ein Symposium und mobilisierte alle musikalischen Kräfte der Stadt. Der Applaus erreichte am Ende die hohen Phonzahlen von Spontinis Partitur. Eine imponierende Kampfaufstellung mit Fragezeichen von innen und außen.

Die vollständige Ouvertüre fand Chefdramaturg Arne Langer erst während der Vorbereitungsphase auf einen Umweg über Spontinis Geburtsort Maiolati. Deren erste Akkorde sind eine echte Entdeckung: Die Es-Dur-Takte mit Crescendo klingen wie das geraffte „Rheingold“-Vorspiel, das Richard Wagner nur noch auf mehrere Minuten strecken musste. Es hatte also gewiss seine Gründe, wenn Wagner in seinen „Erinnerungen an Spontini“ den Berliner Generalmusikdirektor fast ebenso kräftig in die Pfanne haute wie Meyerbeer und Mendelssohn. „Agnes von Hohenstaufen“, die Spontini für seine beste Oper hielt und deren kurze kuriose Aufführungsgeschichte zu seinen Lebzeiten in einer Sackgasse am Königlichen Opernhaus Berlin endete, erweist sich am Theater Erfurt als ganz großer Wurf. Kein Wort ist da zu gering: Eine Entdeckung, ein Abenteuer, eine Sensation! „Agnes von Hohenstaufen“ sagt sehr viel aus über die Entwicklung des Musiktheaters von 1800 bis zum Wilhelminismus. Neben dieser Riesin sind Meyerbeers „Prophet“ und Wagners „Lohengrin“ Liliputaner.

Schon in wenigen Eckdaten (Arne Langers Programmheft gehört in die Bibliothek jedes Opernenthusiasten) jagen sich die Superlative: Zum Entstehungsanlass wurde das etwas dreistündige Opus nicht fertig, bei der Hochzeit des Prinzen Carl mit der Prinzessin Marie aus Weimar erklang 1827 im Königstädtischen Theater also notgedrungen nur der erste Akt. Den Rest lieferte Spontini zur Hochzeit von Prinz Wilhelm und Prinzessin Auguste von Weimar 1829. In der letzten Bearbeitung 1835 des abwechselnd als „Große heroisch-romantische Oper“ und „Lyrisches Drama“ bezeichneten Opus fand die Tuba erstmals Verwendung in einem Opernorchester. Die Partitur hat bis zu 80 (!) Notensysteme übereinander.

Diese Klangmassen setzt das Theater Erfurt mit bewundernswerter Hartnäckigkeit und Energie in Szene. Auf dem Rang drängen sich für das Riesentableau der Kirchenszene Mitglieder der Stadtharmonie Erfurt und des Philharmonischen Chors Erfurt, im Graben war es durch die Mitwirkung der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach neben dem Philharmonischen Orchester Erfurt rammelvoll.

Klangmassen mobilisiert

Die Stauferprinzessin, die diese Klangmassen mobilisiert, ist passiv wie Webers vielgeschmähte „Euryanthe“ und hat um sich eine Mittelalter-Schau ganz à la mode und natürlich auch folgend der preußischen Ideologie. Leicht könnte man den Stab brechen über die Handlung, in der nicht Agnes selbst, sondern ihre couragierte Mutter Irmengard die Idee zur heimlichen Trauung mit dem Sohn Heinrichs des Löwen drängt und sie damit König Philipp August von Frankreich entreißt. Durchaus kritisch zeichnen Ernst Raupach und Carl August von Lichtenstein in ihrem Textbuch den Stauferkaiser Heinrich VI. Dessen Streit mit Heinrich dem Löwen (Juri Batukov) wird auch beigelegt, damit die frisch Verbündeten in militärischer Eintracht zum Eroberungskrieg aufbrechen können.

Im Scheitern und in der Liebe wird man groß. Das beweist auch das Theater Erfurt in allen Ehren. Vor allem Andreas Ketelhut hat sich mit seinen imponierenden Chorscharen bis zum Umfallen in die kraftzehrende Partitur versenkt. Das Erfurter Opern-Abenteuer gerät, das schmälert die Bewunderung für diese Leistungsschau nicht, allerdings ins Straucheln. Denn das Produktionsteam nähert sich den nur außerordentlich schwer zu bewältigenden Anforderungen mit selbststrangulierender Skepsis.

Visuelle Opulenz und Überwältigungsästhetik …

Den Chauvinismus der Handlung lehnt Regisseur Marc Adam ab und will das deutlich zeigen: Also darf der siebenjährige Adler Berry aus der Falknerei Rennsteig zum Staunen aller über die Zuschauerreihen auf die Bühne segeln. Am Ende steht der projizierte Reichsadler für die Vernichtungen im Ersten Weltkrieg. Dazu marschiert der Chor stramm. Der Erinnerungssprung zurück in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts fördert das Verständnis der nicht ganz einfachen Handlung wenig. Konfus, aber chic ist die maskenballtummelnde Verkleidung dieses Biedermeier-Hofs in eine phantastische Stauferklassik à la Moritz von Schwind. Mit dem in die Bühnentiefe prachtvoll aufgerissenen Festsaal und der voluminösen Kirche verbeugt sich Monika Gora also vor Schinkels Ausstattung der Uraufführung. Man will am Theater Erfurt um jeden Preis die visuelle Opulenz und Überwältigungsästhetik, das ist Spontinis Idee vom Gesamtkunstwerk, und man will zugleich die kritische Distanz. Aber beides zusammen geht nicht, wenn man für die Zuschauer beim Sortieren der Handlung keine Hilfe geben will oder das nicht kann. Die Grenze zwischen schöner Naivität und Hilflosigkeit bröckelt.

…  zugleich kritische Distanz

Das ist schade, auch weil man Spontinis blechgepanzerter und streichersatter Instrumentation (eine identische Besetzung der Bühnenmusik wünschte sich Wagner in Paris für „Tannhäuser“) keine subtile Abstufung zutraut. Möglicherweise aus Angst, die immens geforderten Solisten in die vokale Erschöpfung zu treiben, beschränkt sich Zoi Tsokanou mit großer Bescheidenheit auf die Koordination. Sie gestaltet kaum. So erzielt das Blechgeschmetter genau die Wirkung, die man unbedingt vermeiden will: Bestätigende Bravi hageln gedankenlos in die vordergründig lauten Schlusstakte mit szenischem Stahlgewitter. Dagegen rutschen tolle Stellen wie der markant-kalte Hofreigen mit dem Kontrapunkt der um ihr Schicksal bangenden Solostimmen einfach weg. Dabei hört man gerade in solchen Momenten der am meisten zukunftweisenden Partitur Spontinis Konstruktionen, die man mit dieser Power eigentlich erst vom mittleren Verdi kennt.

Seiner Zeit voraus

Die Solopartien sind riesig und exponiert. Auch da ist Spontini seiner Zeit voraus, wenn er bereits 1829 vokale Ausdrucksmöglichkeiten einfordert, die sich in Paris und Italien erst nach 1835 herauskristallisieren. Wie „Fidelio“ oder „Oberon“ erfordert „Agnes von Hohenstaufen“ Sänger, die nicht nur den „verzierten“ oder den „dramatischen Stil“ beherrschen. Sondern beide! Da hat Erfurt wirklich Glück: Claudia Sorokina macht es ja nur ganz selten unter Powerpartien wie Selica in „Afrikanerin“ oder Giselda in „I Lombardi“. Damit ist sie eine bravouröse Überbesetzung für die phlegmatisch-anämische Agnes und bringt diese in den vielen Ensembles an die Führungsspitze. Sie könnte noch viel mehr, als die Regie ihr und den anderen Solisten an Entfaltung persönlicher Leuchtkräfte abfordert. Dadurch, es liegt nicht an deren vokaler Potenz, rutschen Todd Wilander (Kaiserbruder Philipp in tieferer Tenorlage), Siyabulela Ntlale (ein französischer König Philipp mit kräftigem Bariton) und Máté Sólyom-Nagy (handlungsbedingt ein wenig würdiger Kaiser Heinrich VI.) aus dem Aufmerksamkeitsfokus. Gewinner im Solisten-Reigen sind Margrethe Fredheim als Mutter Irmengard, die lyrische Attitüde mit darstellerischer Präsenz unterfüttert, und vor allem Bernhard Berchtold, ein im deutschen Fach positionierter lyrischer Tenor, der nicht nur den richtigen Stimmtypus mitbringt, sondern auch den Mut, ohne Fortissimo-Druck und gerade deshalb glanzvoll Spontinis infame Attacken auf die Kondition zu meistern.

Spontini als Zukunftsmusiker

Allen Einwänden zum Trotz: Diese Aufführung ist nicht nur durch die verschwenderisch zum Einsatz kommenden personellen Ressourcen und den spürbaren Enthusiasmus aller Beteiligten ein Muss, sondern auch, weil man nach dieser fast strichlosen Wiedergabe von Spontinis letzter Oper vieles an Wagner, Meyerbeer und Verdi mit einer erweiterten Perspektive betrachten muss. In Erfurt gibt es dank dem Team um Generalintendant Guy Montavon ein entscheidendes Aha-Erlebnis: Der Reaktionär Spontini outet sich als Zukunftsmusiker, lange bevor Wagner alles neu erfinden wollte.

  • Musikalische Leitung: Zoi Tsokanou - Inszenierung: Marc Adam - Ausstattung: Monika Gora - Licht: Florian Hahn - Video: Paulo Correia - Chor: Andreas Ketelhut - Dramaturgie: Arne Langer - Kaiser Heinrich VI.: Ks. Máté Sólyom-Nagy - Philipp, sein Bruder:  Todd Wilander – Irmengard: Margrethe Fredheim - Agnes, ihre Tochter: Claudia Sorokina - Philipp August, König von Frankreich: Siyabulela Ntlale - Heinrich der Löwe: Juri Batukov - Heinrich, dessen Sohn: Bernhard Berchtold - Erzbischof von Mainz: Kakhaber Shavidze - Burggraf des Kaisers: Myunghun Yoo – Theobald: Ks. Jörg Rathmann - Kampfrichter Henry Neill - Philharmonisches Orchester Erfurt / Thüringen - Philharmonie Gotha-Eisenach - Opernchor des Theaters Erfurt - Mitglieder des Philharmonischen Chores Erfurt - Mitglieder der Stadtharmonie Erfurt Statisterie
  • Premiere (= besuchte Vorstellung): Fr 01.06./19:30 – wieder am So 03.06./18:00 – Mi 06.06./19:30 – Fr 08.06./19:30 – So 10.06./15:00
  • Mitschnitt im Deutschlandradio: Sa 16.06. - eine CD-Veröffentlichung ist geplant.

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