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Wolfgang Schwaninger (Paul), Noa Danon (Marietta) Foto: Nilz Böhme
Wolfgang Schwaninger (Paul), Noa Danon (Marietta) Foto: Nilz Böhme
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Rodenbach versus Korngold-Factory – „Die tote Stadt“ am Theater Magdeburg

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Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ feiert nachhaltiger Bühnenrenaissance als andere wiederentdeckte Opern des frühen 20. Jahrhunderts. Neben großen und Festspiel-Bühnen nehmen sich auch kleinere Häuser der vom Wiener Kritikerpapst Julius Korngold unter dem Pseudonym Paul Schott verfassten, von seinem Sohn als Wunderkind kongenial vertonten Stoff nach dem Roman von Georges Rodenbach „Bruges-la-Morte“ an.

Mit der Wendung zum Happy-End der Opernhandlung gegenüber dem tragischen Ende des Romans tun sich Regisseure bisweilen schwer. In Götz Friedrichs tiefenpsychologischer Entschlüsselung erschoss sich der Protagonist in den Schlusstakten. In Magdeburg veränderte Regisseur Jakob Peters-Messer das Ende radikal: die schaurig-groteske Haupthandlung wird nicht als Traum aufgelöst, auf den Mörder warten Justiz und Nervenheilanstalt.

Guido Petzolds Bühnenbild in Magdeburg ist karg, eine ovale, verglaste Museumsvitrine mit den Erinnerungsstücken wird im zweiten Akt zur Gondel und dann zum Sarkophag des Spiels im Spiel, im dritten Akt zum fahrbaren Altar der kirchlichen Prozession; Projektionen von Bildern der toten Frau Pauls aber auch von Luftballonen auf einer die Bühnenbreite füllenden Jalousie, dahinter silbern transparente Schleier, die anfangs auch ein Sitzmöbel und den Erinnerungsschrein bedecken.

Sven Bindseils Kostüme rücken die Zeit der Handlung an die Gegenwart heran. Die Komödianten (Irma Mihelič Jenny Stark, Eric Schubert, Manfred Wulfert) subsummieren in ihrer Formation den mäzenatischen Grafen (Markus Liske) und agieren in Reizwäsche und in Strapsen, rot gewandete Nonnen aus der Szene mit Brigitta zeigen in der Meyerbeer-Paraphrase der Handlung von „Robert der Teufel“ aufgesetzte, nackte Brüste. Ohne Maske hingegen, kahlköpfig und unattraktiv gealtert, ist Paul, attraktiv hingegen im schwarzen (textlich als farbig angesprochenen) Kleid Marietta. Der Wagner-Tenor Wolfgang Schwaninger gestaltet Paul als Psychopathen mit mühelos kraftvollem Gesang. Noa Danon als Marietta ist durchaus sexy, aber gesanglich bleibt die israelische Sopranistin der Rolle die Textverständlichkeit und ganze Worte schuldig und verfärbt in der hohen Lage die Vokale. Ihre Einsätze der Marie erklingen über Lautsprecher.

Undine Dreißig positioniert die Haushälterin Brigitta mit markanter Altstimme, und Bariton Thomas Florio macht den operettenartigen Schlager „Mein Sehnen, mein Wähnen“ zu einem vokalen Höhepunkt. Beste Stimmkultur bietet der Opernkinderchor des Konservatoriums „Georg Philipp Telemann“, einstudiert von Martin Wagner. Die Magdeburgische Philharmonie schlägt sich sehr wacker unter ihrem taiwanesischen Chefdirigenten Kimbo Ishii, der die unterschiedlichen Genreblöcke dieser vielschichtigen Partitur geschickt zu einem Ganzen zwingt.

Da die Pause nach dem zweiten Akt erfolgt, wäre der vom Komponisten konzipierte nahtlose Übergang „für Aufführungen ohne Zwischenpausen“ (von nach dem ersten „Schau und erkenne“ auf nach dem Ende der Wiederholung im Vorspiel des zweiten Aktes), sinnvoll gewesen. Dies insbesondere auch, da der Regisseur den zweiten Akt ebenfalls im Einheitsraum des ersten Aktes, in Pauls „Kirche des Gewesenen“, im Haus, spielen lässt. Leider wird nicht klar, welche Teile der Handlung in der Magdeburger Lesart Wahnvorstellungen des Paul sein sollen was Realität, etwa auch im Spiel der Rivalität zwischen Pauls Freund Frank (Roland Fenes) um die Gunst Mariettas. Weitere konzeptionelle Fragwürdigkeiten betreffen den beim „Mysterium corporis“ als Priester mit Schutzmasken auftretenden Herrenchor und ein Knabendouble von Paul, welches in deren Händen zum jugendlichen Gekreuzigten mutiert.

Wie in Rodenbachs Roman, so endet die Geschichte in Magdeburg mit dem Mord Pauls an der Tänzerin. Der Wiederauftritt der Marietta, die im ersten Akt ihren Schirm vergessen hatte, entfällt; ihre Gesangslinie („Da bin ich wieder ... ob ich bleiben sollte“) wird partiell von Holzbläsern übernommen.

Am Ende der zweiten, halbwegs gut besuchten Aufführung gab es dankbaren Publikumsapplaus, mit Begeisterungsbezeugungen für den durchaus charismatischen Dirigenten.

  • Weitere Aufführungen:  12., 27. 2., 3. 4., 15. 4. 2016

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