Das 1994 vom Schauspieler Helmut Thiele und dem Pianisten Bernd-Christian Schulze gegründete duo pianoworte hat sich ganz dem noch im 19. Jahrhundert florienden, doch längst im Raritätenkabinett gelagerten Melodram verschrieben. Dem Zusammenklang von Sprechsprache und Klaviertönen entlockte es so manche poetische Pointe, und die Reihe der von den Interpreten animierten Komponisten ist so lang, dass mühelos eine melodramatische Performance zum 250. Schiller-Geburtstag arrangiert und in der Musikhochschule Hannover sowie im Schloss Burgdorf uraufgeführt werden konnte.
Die Verbindung von Dichtung und Musik hat freilich Tücken dort, wo die Musik die poetische Vorlage nur tonmalerisch nachzeichnet. Drei der vier vom duo pianoworte angesprochenen Komponisten erlagen dieser Gefahr. Sie gerieten in den affirmativen Sog eines puren Klangzaubers, der die Deutung des jeweils gewählten Gedichts auf Kulissenwirkung reduzierte und Mehrdeutiges kanalisierte.
Thomas Schmidt-Kowalski etwa hatte das längst zum Steinbruch geflügelter Worte heruntergekommene „Lied von der Glocke“ so neoromantisch kostümiert, dass nicht die Dichtung, sondern die permanent anklingenden, doch niemals die Rätselhaftigkeit des Vorbildes erreichenden Schumann-Andeutungen den Zuhörer forderten. Matthias Drudes Melodram „Der Handschuh“ verdichtete nicht die Balladenvorlage, sondern dehnte sie bis hin zu einem langatmigem Klaviernachspiel, dass die Pointe der Handlung vergessen ließ. Auch Christoph J. Keller hatte sich eine Ballade ausgesucht. „Der Taucher“ wurde von ihm mit einer Perkussionskamera mehrfarbig gefilmt, und die uraufführenden Interpreten präsentierten sich gern als nette Sprechakrobaten und Klavierschlagzeuger von nebenan.
Blieb als anregendste Novität das Melodram „Das verschleierte Bild von Sais“ von Alfred Koerppen mit ausgesparten, kargen und immer wieder auf den Tritonus konzentrierten Klavierakkorden, die keines der vielen Fragezeichen des Dichters übertünchten. Auch Koerppen kennt und nutzt Tonmalerei – dies aber nicht in nachzeichnender Manier, sondern viel überzeugender in vorweggenommenen Andeutungen. Bevor Schillers Jüngling also „leicht die Mauer ersteigt“, hat Koerppen diese Bewegung bereits akzentuiert. Eine eintaktige und rasch in die Höhe schleudernde Triolenfigur weckt Ahnungen im Zuhörer, der erst anschließend den Zusammenhang von Musik und Poesie begreifen kann.
Geheimnisvoll, aber unnachgiebig wirken die immer wieder pulsierenden, vielfach in Akkorden versteckten Tonrepetitionen. Die über dem Ton h schwingenden Glockenklänge des Vorspiels kehren im Nachspiel wieder. Sie umklammern das Schillergedicht und könnten es fast runden, wenn sich nicht durch entschieden wechselnde Akkorde ein rätselhafterer Ausblick ins Ungewisse öffnete. Vier einfach fallende, staccato getupfte, aber durch immer längere Pausen getrennte Quarten im Diskant genügen wie das „Hopp hopp“ des einsamen Kindes in Alban Bergs „Wozzeck“ als Fragezeichen und existentielles Symbol.
Wer's nachprüfen will, hat's leicht. Die vom duo pianoworte noch vor den konzertanten Uraufführungen im Studio produzierten Schiller-Melodramen sind von Musicaphon unter dem Titel „Schiller beflügelt“ als CD (M 56913; Vertrieb: Klassik Center) veröffentlicht worden.