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„Rheingold Feuerland“. Foto: Neuköllner Oper
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„Schlag nach bei Wotan!“: Simon Stockhausens Wagner-Paraphrase „Rheingold Feuerland“ an der Neuköllner Oper

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Jüngste Wagner-Interpretationen docken bei Figuren der Gegenwart an. Carl Hegemann, Dramaturg der Bayreuther Neuinszenierung des „Tannhäuser“, argumentierte gegenüber der Mäzenatenversammlung der „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“ mit der Begründung, wer Joep van Lieshout kenne, für den sei klar, dass dieser bildende Künstler und Architekt Tannhäuser sei. Und für Bernhard Glocksin, den Nachdichter von „Rheingold“, ist der Spekulant und zugleich Gründer humanitärer Stiftungen George Soros, alias George Warren, identisch mit Wotan. Als „Rheingold Feuerland“ hatte der von Simon Stockhausen mit Musik unterlegte „Wagner Wiedergänger“ an der Neuköllner Oper in Berlin Premiere.

Auch im Hinblick auf Gastspiel-Möglichkeiten im Wagner- und Verdi-Jahr 2013, widmet sich die Neuköllner Oper in dieser Spielzeit mit zwei Inszenierungen dem „Ring des Nibelungen“ und der „Aida“. Dass es sich dabei um sehr freie Adaptionen handelt, liegt in der Spezialität dieses Berliner freien Opernhauses begründet.

In „Rheingold Feuerland“ wird die Geschichte Wagners mit fünf handelnden, überzeugend spielenden und auch leidlich singenden Darstellern nicht nacherzählt, sondern in neuer Abfolge der durch Text-Projektionen noch erkennbaren Topoi der Vorbild-Spielvorlage, heutig reflektiert. Dabei wird Richard Wagner im neuen Stück auch textlich erwähnt und über seine Handlung diskutiert.

Ansatz des „Wagner Wiedergängers“ ist Reportage. Die bolivianische Journalistin Mercedes (Andrea Sanchez del Solar) interviewt George Warren (Thorsten Loeb). Der weiht sie ein in den Mechanismus des weltweiten Systems von Blut und Handel, in das System der Milliardengewinne durch Börsengeschäfte in der Zeit von Millisekunden. Warrens Berater ist ein Dr. Anashnapuram, alias Dr. Loge, auf einer anderen Ebene die transsexuelle indische Tempelhure Agni Devi.

Für sein Metan-Projekt, flammende Energiegewinnung aus der Tiefe des Meeres, kooperiert der Milliardär Warren mit Christo, einem Aufsteiger aus den Slums brennender Müllhalden bei Neapel. Christo (Janko Danailow), Wiedergänger des Wagnerschen Alberich, verdankt seine Macht einem alten Schmuck, den er schwarzen Immigrantin Erda geraubt und dann gegen einen Ring eingetauscht hatte. Auf der wasserlos verrotteten Szene, da das Wasser zur Kühlung gigantischer Computersysteme missbraucht wird, ersetzt Erda auch die Rheintöchter, die nur noch als Projektion, mit Fischschwänzen unter Wasser, existieren, da sie der Zeit der Vorglobalisierung angehören (Video: Rene von der Waar).

Basierend auf den bei Wagner verwendeten Archetypen, hat Lilli-Hannah Hoepner das Thema Kapitalismus und Gier mit turbulent agierenden Darstellern auf einem mit schwarzem Müll bedeckten und das Publikum teilenden Trigon (Ausstattung: Markus Meyer) inszeniert.

Bernhard Glocksins Mischung Wagnerscher Texte mit Facts der globalen Finanzwirtschaft, verbaler Behandlung ihrer legalen und illegalen Geschäfte, ergibt eine schlüssige, das Publikum erhellende und zugleich deprimierende Geschichte, – getreu Loges Rat: „Schlag nach bei Wotan!“ Glocksins Version endet denn auch nicht mit dem Einzug nach Walhall, sondern mit Loges sehr plastischer Schilderung, wie aus dem blauen Planeten ein roter Feuerball ohne Menschen wird, denn „Menschen lernen nur aus Erfahrungen, das ist ihr Karma“.
Säuselnd intoniert Božidar Kocevski als indischer Berater Loges Gesänge.

Dennenesch Zoudé, die afrikanische Erda, schlüpft als Darstellerin auch in die Rolle einer Ärztin im weißen Kittel. Die Ausschnitte von Wagners Urmutter, aber auch Alberichs Fluch, singt sie in heller Mezzosopranlage. Die anderen Darsteller präsentieren die hier zitierten Wagner-Passagen im Musical-Stil.

Simon Stockhausen, der bei seinem Vater Karlheinz bereits als Fünfjähriger Musikunterricht erhalten hatte, versteht seine Komposition als „Nachhall“, als ein „Verweben mit den Wagnerschen Klangwelten“. Für Glocksins Wiedergänger schafft Stockhausen ein eigenes Sounddesign, das prägnante Themen Wagners aufgreift. Obgleich als permanenter Klangteppich für die melodramatischen Dialoge komponiert, spielt die Musik in diesem neuen Gesamtkunstwerk doch eine merklich untergeordnete Rolle. Unter der musikalischen Leitung von Lam Tran Dinh lassen Jason Liebert und Christian Weidner Wagners Themen auf Posaune, aber auch auf den in der „Rheingold “-Partitur nicht verwendeten Instrumenten Euphonium, Sousaphon, Saxophon, Duduk und Raita erklingen. Holger Marseille am Schlagzeug wird überboten von Stockhausens elektronisch erzeugter Klanggewalt, deren Affinität zum Original nicht nur an der Stelle der gehämmerten Ambosse deutlich wird. Die herausgeschälten Motive von Wasserwogen, Tarnhelm und Vertrag bilden dabei keine Fremdkörper, haben aber ihre dialektische Leitfunktion verloren.

Das Premierenpublikum ging gut mit und spendete am Ende der gut anderthalbstündigen Uraufführung heftig Beifall. Gegen Ende dieser Spielzeit wird an der Neuköllner Oper als Pendant zu „Reingold Feuerland“ eine interkulturelle „Götterdämmerung“ von Nuran David Calis folgen.

Weitere Aufführungen: 20., 21., 25., 26., 27. 28. August, 1., 2., 3., 4., 8., 9., 10., 11., 15., 16., 17., 18., 22., 23., 24. und 25. September 2011.

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