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Attila Fodre, Jessica Stavros, Raphael Pauß, Maria Kataeva und Cornelia Berger in der Düsseldorfer Roussel-Premiere. Foto: Frank Heller
Attila Fodre, Jessica Stavros, Raphael Pauß, Maria Kataeva und Cornelia Berger in der Düsseldorfer Roussel-Premiere. Foto: Frank Heller
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Späte deutsche Erstaufführung von Albert Roussels letztem Bühnenwerk „Das Testament der Tante Karoline“ in Düsseldorf

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Bei einer Handlung über Testament und gierige Erben denkt der Opernbesucher unwillkürlich an Puccinis „Gianni Schicchi“. Und eine weitere Oper des 1918 an der Metropolitan Opera in New York uraufgeführten „Trittico“ scheint Vorlagecharakter zu Albert Roussels „Le testament de la tante Caroline“ zu besitzen, denn wie die Titelrolle in „Suor Angelica“ hat auch Béatrice ein uneheliches Kind zur Welt gebracht.

Und doch ist die achtzehn Jahre jüngere, 1936 in Olomouc in tschechischer Sprache uraufgeführte Oper Puccinis Wurf dramaturgisch unterlegen. Ist dort allein schon die Suche nach dem Testament des reichen Verstorbenen Movens für eine hinreißende musikalische Ausformung, so gehen hier die Verwandten der durch zahlreiche Männerbekanntschaften zu Reichtum gelangten Karoline zunächst davon aus, dass kein Testament existiere, wodurch sich sogleich zwei ihrer drei Nichten und deren Männer zu übervorteilen versuchen, bis dann der Notar auftaucht, der im Gegensatz zu Giovacchino Farzanos Libretto für Puccini eine Hauptrolle spielt, und das im Tresor verwahrte Testament eröffnet. Die Tante nämlich hat verfügt, dass der Erstgeborene der Nichten ihr Alleinerbe wird. Damit scheint die Klosterschwester auszuscheiden, während Karolines kinderlos gebliebene Schwestern sogleich zur Tat schreiten, das ihnen nur genau ein Jahr bleibt, einen männlichen Nachfolger zu gebären. Béatrice aber outet sich, dass sie vor zwanzig Jahren in einer Kutsche von einem Kutscher geschwängert wurde und das Neugeborene am Weihnachtsabend vor dem Waisenhaus abgestellt habe. Zufällig ist der Knabe, dem wegen des Fundtags der Name Noël gegeben wurde, sogar zugegen, denn er war als Chauffeur bei Karoline angestellt. Die Hälfte einer Ansichtskarte des Eiffelturms, welche die Mutter dem ausgesetzten Knaben beigegeben hatte, fügt sich zu ihrer, – Happy End.

Abgesehen vom erzählerisch-reflektierenden Ansatz der Handlung, ist das Libretto von Michael Veber sprachlich gewandt und witzig. Joseph Heinzelmann hat es für die Erstaufführung in Prag (1937) pointiert ins Deutsche übertragen. Aufgrund einer von Christian Dammann in Bremerhaven aufgefundenen Partitur, entschloss sich die Deutsche Oper am Rhein, dieses Werk, das neun Rollen Profilierung bietet, mit dem Opernstudio herauszubringen. Unklar ist, ob es sich dabei um die erste Fassung oder um Roussels radikale Umarbeitung handelt, jedenfalls folgt die Aufführung der einaktigen Einrichtung, welche der Librettist unter dem Pseudonym Nino nach Roussels Tod, im Jahre 1964 postum vorgenommen hat. In Düsseldorf als „Operette“ angekündigt, erweist sich diese Partitur kaum als Besonderheit am Ende der Reihe der sieben Bühnenwerke Roussels, sondern als eine typische Opéra Comique, eher Jacques Ibert und Arthur Honegger verwandt als Jacques Offenbach und Reynaldo Hahn. Albert Roussel, im selben Jahr geboren, wie Siegfried Wagner und Hans Pfitzner und wie Ersterer ein Kosmopolit,  starb ein Jahr nach der Uraufführung dieses Bühnenwerks, 1937 in Royan, bewundert von seinen einstigen Schülern Poulenc, Prokofjew und Martinu.

Durch Extravaganz und Exzentrik in der Darstellung, bemüht sich Mechthild Hoersch, die künstlerische Leiterin des Opernstudios, die enorme Fallhöhe zwischen den musikalischen Szenen und den eingeschobenen Dialogen zu überbrücken. Die Regisseurin hat nicht nur Karolines Verwandtschaft, sondern auch noch der Dienerin Ticks angehängt und bewegt die Protagonisten schlangenartig, zackig oder quirlig. Ein achtköpfiger Chor, maskiert und in Dominos, kommentiert, was er durchs Schlüsselloch beobachtet, was der Zuschauer aber ohne Wände und Türen ohnehin erlebt. Im Kleinen Haus des Schauspielhauses lässt Ausstatterin Stefanie Grau das Spielpodest und auch das des dahinter gelagerten Orchesters auf und nieder fahren.

Die eigentliche Überraschung des Abends bieten die 24 Instrumentalisten des altstadtherbst orchesters Düsseldorf. Unter der beschwingt zupackenden, die Ensembles der Solisten nur über Monitore trefflich führenden musikalischen Leitung von Christoph Stöcker erweist sich diese freie Orchesterformation als ein exquisiter Klangkörper. In der Ensemble-Oper bilden die Sextette Höhepunkte, und die individuell geführte, skurrile Verwandtschaft – mit den Nichten (Cornelia Berger und Maria Kataeva) und deren Ehemännern (Attila Fodre und Raphael Pauß) – wetteifert stimmlich mit den aus der Commedia stammenden Typen des Arztes (Bogdan Baciu) und des Notars (David Jerusalem), sowie den verliebten Dienern Lucine (Luiza Fatyol) und Noël (Ovidiu Purcel). Gleichwohl ragen zwei Sänger aus der Schar der Solisten empor: die Sopranistin Jessica Stavros, mit der Geständnisarie der unmoralischen Klosterschwester Béatrice, und der Bassist David Jerusalem als ein in Diktion, Stimmführung und kühlem Witz großartiger Sängerdarsteller in der Rolle des Notars Maitre Corbeau.

Am Ende der pausenlosen, gut einstündigen Aufführung gab es begeisterten Beifall.

Weitere Aufführungen: 28. 2., 1., 3. 7., 22. März 2012

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