„Der Schatz“ von Georg Wilhelm Pabst mit Musik von Max Deutsch live im Jüdischen Zentrum München als ein Stummfilm-Schatz. Wolf Loeckle füht über den Film hinaus ins Mark von Münchens aktuellem Kultur- und Geistesleben.
Wer als junge, hübsche Frau zu einem attraktiven, sie begehrenden jungen Mann sagt, er möge doch die Schatzsucherei abbrechen inmitten einer uralten Glockengießerei und selbige all den anderen gierigen Goldgräbern und Schatzschnüfflern überlassen, da er ja sie dafür als unbezahlbaren Schatz gewönne, der thematisiert echt Zeitloses aus der Menschheitsgeschichte. Das war auch für Georg Wilhelm Pabst, den Großmeister des deutschen Stummfilms, ein lockendes Sujet, in das er den Komponisten Max Deutsch minutiös einzubinden gedachte.
Warum der Schönberg-Schüler und Busoni-Freund Max Deutsch in unserem Deutschland von heute weithin unbekannt ist, lässt sich als Frage wohl stellen – und dennoch kaum beantworten. Die Leute vom Orchester Jakobsplatz München unter ihrem Chefdirigenten Daniel Grossmann wollten das ändern – und taten gut daran. Ihre Antwort war die Aufführung der Filmsymphonie in fünf Akten, vollsynchron im Live-Act zu G. W. Pabsts erster großer Regiearbeit, dem Stummfilm „Der Schatz“ vom Jahr 1923 (Uraufführungsort Dresden). Davor noch, damals, als die slapstick-Meister den Ton vorgaben im innovativen Bereich des analytischen Bild-Fortschritts, zur Steinzeit des Informationszeitalters, das damals freilich noch keiner auch nur annähernd vorausahnen konnte, da gab es den Ton-Film noch nicht. Da mussten die Stories taff erzählt werden, via Bildsprache samt deutlicher Körperartikulation. Als die Bilder also lernten, sich zu bewegen, die ihrerseits Inhalte vorgaben, die noch und nicht von den Polit-Ideologen reingepresst wurden, da war des Zuschauers Denkvermögen gefordert. Seine Kombinatorik, seine Lust an Humor und Schadenfreude und Erkenntnisgewinn und diskursiver Einordnung ins Weltganze. Die sprachliche Ebene hatten die Leute selbst über ihre Gehirnfunktionen beizusteuern. Bald half bei alledem Live-Musik am Klavier, improvisiert oder auskomponiert. Später entstanden ganze Filmsymphonien. Und die sind samt ihrer originalen Bilder höchst beliebt in Philharmonien und anderen Event-Arenen oder auch Konzertsälen der mittleren Dimension.
Wie dem Hubert Burda Saal im Jüdischen Zentrum München. Das es an dieser Stelle noch gar nicht so sehr lange gibt, am Herzen der Stadt gewissermaßen, in direkter Nachbarschaft von katholischer Sankt Jakobskirche und Stadtmuseum München (samt seinem außergewöhnlichen Filmmuseum), kaum einen Steinwurf vom Oberbürgermeisterbüro am Marienplatz entfernt.
Da hat die ehemalige Hauptstadt der Bewegung sich in die richtige Richtung bewegt und ein signifikantes Zeichen gesetzt mit Synagoge, jüdischem Gemeindezentrum und Jüdischem Museum. Neuerdings auch mit dem NS-Dokumentationszentrum (auf dem Grund des ehemaligen Braunen Hauses) an der Brienner Strasse als Teil des Kunstareals München und in unmittelbarer Nachbarschaft zum neuen israelischen Generalkonsulat in, die architektonische Substanz, weitergedachter und aktualisierter Gestalt.
Inmitten all dieser spät vollzogenen und Strukturen operiert auch das Orchester Jakobsplatz unter seinem Chefdirigenten Daniel Grossmann. Das Orchester Jakobsplatz schafft Räume und Möglichkeiten für eine lebendige deutsch-jüdische Gegenwartskultur heißt es in der öffentlichen Selbstdarstellung. Und das ist kein flotter Marketingspruch. Ohne das OJM würde der überaus facettenreichen Münchner Kultur ein Quantum intellektueller und raffinierter Exklusivität fehlen – für ein breites Publikum: mit Musik von Georg Friedrich Händel und Mordecai Seter in der Münchner Allerheiligenhofkirche oder Morton Feldman mit Samuel Beckett mit Bibiana Beglau mit Sängern des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper im Jüdischen Zentrum Jakobsplatz. Oder auf Reisen nach Ungarn etwa, Israel, Theresienstadt, USA – mit Ausstrahlung zurück in die Heimat. Ein erfolgreiches Jahrzehnt kann sich so formieren als Basis für die Zukunft. Hier bewegt sich das OJM. Und sein Publikum mit. Es war in der Tat bewegend, was sich da abspielte an Erheiterung, an Bewegtheit, an ungläubigem Staunen über körperlich akzentuierte Schauspielerei und pappmachéartige Kulissen mit Realitäts-Appeal.
All das musste extra betont daherkommen, gab es doch keine Sprache und ARRI-München-oder-Hollywoodstudio-generierte Digitaltechnik, die schier alles möglich macht. Das Staunen vor der Bilderwelt aus den Zwanzigern des zwanzigsten Jahrhunderts war mindestens so groß wie die Verwunderung über die perfekte Zukleisterung unserer Ohren und Augen mit Klang-wie-Bild-Müll der aktuellen Gegenwart (wobei auch hier die Ausnahmen die Regel bestätigen). Wie Daniel Grossmann den ziemlich opulenten klangerzeugenden Apparat überaus akkurat und bildsynchron zusammenhielt und Max Deutschs durchaus (spät)romantisch-Richard-Straussisch-Erich-Wolfgang-Korngold-Karl-Goldmark-mässig daherkommende Musik in all ihrer Eigenständigkeit mit der einen oder anderen Hindemith-und-Mahler-Nähe, darstellte und damit erklärende Assoziationslinien zum dramaturgischen Verlauf mitlieferte, das war hilfreich. Und lieferte den Beweis, dass diese Musik aufzuführen sich lohnt. Zumal in dieser darstellerischen Qualität. Vielleicht lohnt das ein andermal mit anderer absoluter Musik von Deutsch.