Ein wenig mulmig ist vielen Menschen immer noch, wenn es um künstliche Intelligenz (kurz: KI) geht. Es sind existenzielle Fragen, die uns bewegen. Es ist nicht wie die einstmalige Vorhersage bei der Erfindung des Fernsehens, dass das Kino verschwinden wird. In den Köpfen der Menschen geht es um wesentlich mehr: werden wir ersetzt, werden wir noch gebraucht oder sind wir gar schon vollständig überflüssig? Die Ausstellung „Can you hear it?“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe beschäftigt sich mit musikalischen Fragestellungen, die KI leisten kann, ausdrücklich den Menschen unterstützend. Die Ergebnisse aber gehen weiter, als Menschen es bisher leisten konnten – das ist faszinierend und verstörend gleichermaßen. Aber auch spannend und absolut sehens- und hörenswert!
An der Kasse im Hamburger Museum für Kunst & Gewerbe sitzt noch immer ein Mensch aus Fleisch und Blut. Auch sonst scheint dort alles so zu sein wie immer – und das ist gut so. Das ein wenig mulmig-futuristische Gefühl, das diejenigen beschleichen könnte, die die Ausstellung „Can you hear it? Musik und Künstliche Intelligenz“ besuchen wollen, scheint unbegründet. Man hört ja in letzter Zeit vermehrt so einiges, was diese „künstliche Intelligenz“, kurz „KI“ so leisten können soll. Fragen wie „Was kann KI?“, „Welche Chancen bietet KI?“, „Welche Gefahren birgt KI?“, „Wird der Mensch bald überflüssig?“ und daraus resultierend „Übernehmen bald die Maschinen die Herrschaft, die Macht?“ begleiten und verstören uns tagtäglich.
Rolf Bader, Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Universität Hamburg und einer der beiden Kuratoren der Ausstellung, sieht in der KI „nicht nur einen Hype, sondern etwas, was unsere gesamte Welt durchdringen wird“. Aber er versucht die Besucher auch zu beruhigen und berichtet, dass es die ersten Versuche mit KI und den Einsatz bestimmter Algorithmen schon in den 80er Jahren gegeben habe. So weist er der KI einen klaren Bereich in unserer Gesellschaft und unserem Leben zu: „KI soll das tun, was wir gern hätten, dass sie das tut“. Sie solle selbstbestimmt voranbringen, was sie tut und sie sei fast überall einsetzbar, betont Bader, aber: „Sie kann nur das tun, was sie zuvor [Anm: man könnte ergänzen: vom Menschen] gelernt hat!“
Olaf Kirsch, der Co-Kurator der Ausstellung und Leiter der Sammlung Musikinstrumente am MK&G, ist naturgemäß als Museumsmensch und historischer Musikwissenschaftler nicht allzu sehr vertraut mit den allerneuesten Entwicklungen der Technik. Er verlässt sich auf das Urteil des Musikhistorikers Jacques Handschin, der postulierte, dass, wenn man etwas verstehen will, man ein Buch darüber schreiben müsse. Kirsch verändert den zweiten Teil der Aussage in „eine Ausstellung dazu vorbereiten müsse“. Am Ende muß er aber im Hinblick auf KI und die Ausstellung gestehen: „Hinterher hat man viele Fragen, die man vorher nicht hatte“. Eine wichtige Erkenntnis hat er aus der Antwort von Bader gewonnen, als er ihn fragte „Woher weiß die KI; dass sie Musik hört?“. Antwort: „KI weiß nicht, dass sie Musik hört, ebenso wie auch das menschliche Gehirn es nicht weiß. Beide müssen es zuvor lernen.“
Mit seinem Forschungsteam am Institut für Systematische Musikwissenschaft führte Bader Studien in unterschiedlichen Kulturräumen und Kontexten durch, deren Ergebnisse nun in Teilen in der Ausstellung im MK&G zu sehen sind. Dabei bietet KI beispielsweise die Möglichkeit, Musik objektiviert nach ihren Klangeigenschaften zu vergleichen und nach Ähnlichkeiten zu sortieren. In der Ausstellung werden an zehn Stationen die Qualitäten, Fähigkeiten und Möglichkeiten der KI in der Musik exemplarisch aufgezeigt. Der erste Blick auf fast alle dieser Stationen zeigt Bekanntes: ein Cembalo, einen Resonanzboden eines Flügels, außereuropäische Musikinstrumente oder ein Gamelan-Ensemble. Erst ein kleiner Monitor und eine Eingabeeinheit zeigen, dass es hier im Hintergrund wohl noch mehr gibt.
Die Grundbedingung für die KI ist, dass sie zunächst einmal – ähnlich dem menschlichen Gehirn – viel lernen muss. Dazu muss sie viele Musikstücke hören, um sie dann später mit Hilfe von Parametern zu analysieren. Dazu gibt es zwei Wege: die „konnektionistischen“ (verknüpfenden und multidimensionalen) funktionieren ähnlich dem menschlichen Gehirn. Ein Netz aus Nervenzellen verarbeitet Informationen von außen, indem sich die Zellen untereinander verknüpfen. Warum und auf welche Weise dies geschieht, ist bisher noch nicht erforscht. Das zweidimensionale Modell, die Kohonen-Karte, benannt nach ihrem Finnischen Entwickler Teuvo Kalevo Kohonen zeigt, wie sich das Neuronenfeld während des Lernens selbst organisiert, indem ähnliche Reize nah beieinanderliegen. So wird das Lernen transparent, die Ergebnisse lassen sich nachvollziehen.
Wie funktioniert der Einsatz von KI konkret? Was für Einsatzmöglichkeiten gibt es im Bereich der Musik(forschung)? Zwei Beispiele: an einer der zehn Stationen „erkennt“ KI, ob ein Klavier gerade die Fabrik verlassen hat oder schon ein Jahr Konzertspiel hinter sich hat, denn das Instrument entwickelt „seinen“ Klang erst über die Zeit hinweg. Die ursprüngliche Spannung der Saiten, die Mechanik der Tasten, der Filz auf den Hämmern – sie alle verändern sich mit der Zeit oder sind verantwortlich für Veränderungen. KI macht sichtbar, wie unterschiedlich Tongruppen eines jungfräulichen Instruments sind und wie sich der Klang über die gesamte Klaviatur über Monate hindurch angleicht. KI kann also nicht nur das Alter von Instrumenten bestimmen, sie kann, wenn sie entsprechend trainiert wird, auch zwischen verschiedenen Klangeigenschaften unterscheiden.
Oder: Musik wird heute oftmals gestreamt. Algorithmen analysieren das Hörverhalten und schlagen weitere Musikstücke vor. [Von großen Versandhandeln kennt man diese Technik: wer einen Toaster kauft, bekommt gleich noch einen weiteren vorgeschlagen, weil das ja andere Kunden auch gekauft haben. Eigentlich Unsinn, denn wer braucht zwei Toaster.] Die vorgeschlagenen Stücke treffen nicht immer den Geschmack von Hörern, weil sich Streaming-Dienste auf das stützen, was andere (!) Nutzer gestreamt haben. Es sind andere Parameter, die den eigenen Bedarf charakterisieren und klassifizieren. Hier kann die KI genauer den Bedarf eines Hörers identifizieren. [Um im Bild zu bleiben: wer einen Toaster gekauft hat, bekommt als zweiten Vorschlag einen Stabmixer oder eine Mikrowelle vorgeschlagen.]
Die Breite der Einsatzmöglichkeiten von KI ist weitgefächert. Sie hilft, altbekannte (aber nicht in letzter Konsequenz durchschaute und erklärte) Phänomene vergangener Zeiten zu verstehen. Sie macht aber auch eine Tür zur Zukunft auf, einer Zukunft, die zugleich einfach geschehen wird und vom Menschen mitgestaltet wird. Dabei hat er aber nun einen Begleiter an seiner Seite, der manches in seinem Sinne mitgestalten und ordnen kann. Das ist eine durchaus faszinierende Vorstellung. Immer wieder wird der Mensch aber seine Wertvorstellungen mit einbringen müssen und quasi als Kontrollorgan fungieren müssen. Ein Blick in den Ausstellungsbereich „KI und Ethnie“ zeigt, wie sehr der Mensch in seiner vermeintlichen Vollkommenheit Macht gebraucht und mißbraucht. Die Neutralität der KI kann hier regulierend und moderierend wirken, wenn sie richtig eingesetzt und verstanden wird. Andererseits bleibt das mulmige Gefühl, was wohl passieren könnte, wenn sie sich selbständig machen würde – aber vielleicht ist es gerade dieses mulmige Gefühl, was den Menschen derzeit gegenüber der KI noch überlegen sein lässt.
- Weitere Informationen mit einer Übersicht über das Rahmenprogramm: https://www.mkg-hamburg.de/ausstellungen/can-you-hear-it