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Tosca unter Kampfraketen: Puccini in packender Vollendung am DNT Weimar. Foto: Candy Welz, DNT
Tosca unter Kampfraketen: Puccini in packender Vollendung am DNT Weimar. Foto: Candy Welz, DNT
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„Tosca“ unter Kampfraketen: Puccini in packender Vollendung am DNT Weimar

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Puccini-Enthusiasten sollten sich diese „Tosca“ nicht entgehen lassen. Generalintendant Hasko Weber und Stefan Lano am Pult ergänzen sich ideal. Sie machen mit einem höchst beeindruckenden Sänger-Ensemble aus den eigenen Reihen (ohne Gäste!) diese Oper zur tickenden Zeitbombe und einem großartigen musikalischen Wurf. Im italienischen Kernrepertoire hörte man die Staatskapelle Weimar nur selten in derart kundiger Toppform wie bei dieser hier packend und sensibel erschlossenen Puccini-Partitur.

Cavaradossi schnappt erst mal nach Luft, wenn Tosca weg ist. Denn diese Frau weiß genau, wie sie die Grenzen zwischen keuscher Andacht vor der Madonna und einer verheißungsvollen Umarmung verschwinden lässt. Doch die Interpretation der Brasilianerin Camila Ribero-Souza hat viel mehr zu bieten als temperamentvolles Durchfegen der Bühne des Deutschen Nationaltheaters. Neben vielen anderen Momenten meißelt sich folgender der von ihr mit perfekt fokussiertem Sopran durchmessenen „Tosca“ ein: Die Generalpause vor dem berühmten Solo „Vissi d'arte“ ist kein Innehalten vor einem Hit, dafür eine bis zum Bersten aufgereizte Spannungssekunde. Auch die folgenden Phrasen und Melodiebögen sind von Zäsuren durchbrochen. Ribero-Souzas Sopran glüht und blüht darüber hinweg, bewusst und in vokaler Bestform.

Ein großartiger Musiktheaterabend ist diese „Tosca“-Premiere, weil Musik, Szene und Darsteller ideal zusammenkommen. Am Anfang andeutungsweise burlesk, weil Generalintendant Hasko Weber bei seiner erst zweiten Opernregie feine komödiantische Strippen zieht, um Giacomo Puccinis oft als Folter-, Erpressungs- und Liebesspektakel nur halbverstandenes Melodramma danach umso bedrohlicher und mit noch mehr Verzweiflung aufzuladen. Eine szenische und auch musikalische Tragödie, die im Orchestergraben ihre Voraussetzung hat und gegen Ende zu noch größerer Eindringlichkeit hochschießt. Jede der kleinen Gesten auf der Bühne ist durchdacht, weiße Rosen werden zum Folter- und Liebeswerkzeug: Mit einer weißen Rose würgt Scarpia den wenig später blutüberströmten Cavaradossi, weiße Rosen legt Tosca anstelle des im Textbuch geforderten Kruzifixes zu einem Kreis um die Leiche des von ihr mit vier zielsicher kräftigen Messerstichen getöteten Scarpia. Mit weißen Rosen überschüttet sie Cavaradossi vor seiner Scheinhinrichtung, in deren Erwartung er und Tosca zu Kindern werden. Der Übergang vom zweiten zum dritten Akt und das Tageserwachen über Rom: Ein Moment erschütternder Paralyse. Tosca begegnet im Hirtenknaben ihrem anderen Ich (Isabel Geelhaar). Am Ende ist nur Cavaradossi von einem Schuss getötet, Tosca verharrt ohne Todessprung versteinert und Scarpia, Prinzip ewiger Tyrannei, steht von den Toten auf.

Den historischen Handlungshintergrund in Rom 1800 löste Thilo Reuther in einem sich drehenden Raum auf, der Machtattribute ideologischer Knechtungen akkumuliert: Ein riesiges Kruzifix, Luxussymbole in der Vitrine, eine Madonna, Kampfraketen in Startposition. Die Kostüme von Sarah Antonia Rung umhüllen die Figuren wie zum Schutz, die Körper dürfen nicht zu viel von sich preisgeben. Deshalb wirken die Momente zärtlicher und gewaltsam erzwungener Intimität noch stärker.

Hasko Webers Regie wird getragen von einer starken musikalischen Leistung. Stefan Lano weiß, wie weit er die Solisten mit seiner bewusst langsamen und packenden Haltung treiben kann. Er verdeutlicht, wie fragwürdig die sogenannten „veristischen“ Momente in dieser Oper sind, lässt den Solisten für die großen und mitreißend gesteigerten Fortissimi alle Zeit. Die Spannung heizt er noch mehr an, wenn er Kolorit wie die Trommeln der Wache in die Fast-Unhörbarkeit zurücknimmt. Er forciert die Mittelstimmen. Damit verhindert er, dass die Staatskapelle Weimar in jenes süffige Flair hineinrutschen können, das auf spätromantische Sinfonik spezialisierte Klangkörper manchmal als „Italianitá“ missverstehen. Hasko Weber kann mit den Sängern wirklich jede musikalische Geste aus dem Graben zur dramatischen Verdichtung nutzen.

Jaesig Lee singt den sympathischen Oppositionellen Cavaradossi nach minimalen Trübungen  auf betörend großer Linie. Henry Neill beweist auch in dem für ihn ungewöhnlichen Part des Angelotti, dass er für Weimar ein Gewinn ist. Blankes Entsetzen verbreitet der in der Personalunion von großer Diktator und Kardinal fürwahr gefährliche Scarpia. Alik Abdukayumov trägt unter dem Habit Purpurhemd und Glitzerhose. Einer, der bei Frauen kräftig zupackt statt romantisch säuselt – ein Arientext wird gekonnte Bühnenwirklichkeit! Abdukayumov macht den zweiten Akt zum beklemmenden Crescendo einer einzigen Vergewaltigung mit Scherzo-Zäsuren. Cavaradossi liegt in Toscas Armen, Scarpia bläst Seifenblasen über die beiden schon hier zu Tode Versehrten.

Luxus wie an einem ganz großen Haus: Zum von Jens Petereit einstudierten Chor kommen der Kinderchor der schola cantorum und der Extrachor mit Studierenden der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Es steht im Raum: Hier gibt es quotengerecht viele Frauen in den vom vokal glänzenden Mesner (Ulrich Schenker-Primus) kaum noch in Ruhe gehaltenen Ministrantengruppen. Vor dem mit Mafioso-Sonnenbrille auftretenden Diktator Scarpia sind hier alle gleich. Eine unerhört dichte Studie über menschenverachtenden Missbrauch beginnt, die durch eine stilkundige und deshalb schmerzlich-schöne musikalische Leistung packende Verdichtung erfährt. Puccini perfekt!

 

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