Schon Shakespeares „Sommernachtstraum“, uraufgeführt 1595, ist ein poetisches Verwirrstück. Geister treten auf und Menschen aus verschiedenen Schichten, vom Herzog bis zum Kleinverdiener. Henry Purcells Adaptation des Stoffes in „The Fairy Queen“, knapp einhundert Jahre später, fügt noch Musik und Tanz hinzu, erweitert die Bühnenwelten mit antik allegorischen Figuren. Das Theater Lübeck splittet noch weiter auf. Ein Hier und Jetzt in einem Museum, in dem zwei vertrottelte Wärter ihr Spiel treiben, führt zu einem rasanten Weltenbummel. So finden sich Zuschauer wie Protagonisten mal in dieser mal in jener Zeitsituation wieder.
Bühnenmelange
Der Schweizer Tom Ryser liebt die Bühnenmelange. Von allem, von Oper bis Zirkus, von Tanz bis Kabarett hat auch sein Debut in Lübeck etwas. Deshalb musste ihn die barocke, in England entwickelte Semi-Oper reizen, für die „The Fairy Queen“ ein Musterbeispiel ist. Sie mischt Sprechtheater mit Musikeinlagen unterschiedlicher Art, mal als Instrumentalstück in kunstvoller Form oder als Tanz, mal als arioser Gesang oder als derber Song, mal als schwungvoller Chorsatz. Das in einen Fluss zu bringen gelang Ryser sehr gewitzt und im zumeist gut kalkulierten Wechsel der Kontraste. Stefan Rieckhoff hatte ihm einen leichten, schnell sich ändernden Rahmen gestaltet. Der Hintergrund mit beziehungsreicher Wandmalerei schwebt auf und davon, die großen Türen öffnen sich und rollen hinweg, der Boden hebt und senkt sich. Traumhaft verwirrend wird, wenn Titania den eselsköpfigen Zettel in luftiger Höhe in einem schwankenden Boot verführt. Und auch der Kostüm- und Frisurenfundus wurde kräftig gelüftet, hochgetürmte Allongeperücken herausgesucht und mit popkulturig stilisierte Haartrachten kontrastiert. Sie putzen das Bühnenvolk in der Buddenbrook-Stadt ebenso ungemein wie Cul de Paris oder Fummellook.
Einen ebensolchen Stilmix hatte sich die Amerikanerin Lillian Stillwell für ihre Choreografien erdacht. Geformte Reigentänze musste der Chor leisten und tat es in bewundernswerter Manier. Akrobatische Tanzfiguren mit Anlehnungen an den japanischen Ninja-Kampfsport führten drei Tänzerinnen aus (Lara Eva Hahnel, Angela Kecinski und Szu-Wie Wu), auch sonst sorgsam ins Gefüge gesetzt. Die vielfältige Statisterie, darunter eine Schar quicklebendiger Kinder, wirbelte munter umher und gab der Bühne Fülle.
Für Ohr und Herz
Purcells Musik überwältigt Ohr und Herz. Und Lübecks Orchester tat das ebenfalls. Es fand sich unter der Leitung von Andreas Wolf wunderbar leicht in die für ein klassisches Sinfonieorchester ungewohnte barocke Spielweise mit ihrem Wechsel zwischen höfischem Pomp und gefällig gepflegter Unterhaltung. Die Gesangssolisten, allen voran Andrea Stadel und Evmorfia Mataxaki, schmeichelten mit Purcells wunderbarem Stilmix von italienischem Koloraturen-Gepränge bis hin zu elegischem Tiefsinn („If love’s a sweet passion“). Inga Schäfer, Daniel Jenz und Johan Hyunbong standen nicht nach, auch sie erstaunlich stilsicher im wenig geübten Fach. Selbst der Chor, sonst im schweren Wagner- oder Verdi-Klang trainiert, überraschte mit leichter, flexibler Intonation und dynamischer Breite.
Für die Sprechrollen hatte man mit Till Bauer einen frivol frechen Oberon, der quicklebendig und mit glaubwürdiger Freude am Schabernack vom Puck der Charlotte Irene Thompson unterstützt wurde. Leise und abgestuft bot ihm Charlotte Puder als Titania Paroli. Nuanciert verwirrt gestalteten Eva Patricia Koslowski (Hermia) und Anne Schramm (Helena) sowie Julius Schreyer (Lysander) und Jörn Kolpe (Demetrius) die beiden Liebespaare. Andreas Sigrist (Zettel) und Steffen Kubach (Squenz) widmeten sich mit großer Spiellust der Rüpelszenen, wobei beide außerhalb ihres Faches eingesetzt waren, der Schauspieler Sigrist als Sänger mit dem Lied des betrunkenen Poeten und der Sänger Kubach als Bariton in einer reinen Sprechrolle.
In Kürze
Wenn etwas fehlte, war es häufiger das sorgsame Artikulieren bei den Schauspielern. Humor, soll er sich verbal vermitteln, ist da besonders gefährdet. Auch die eine oder andere Massenszene wirkte noch etwas plump. Dennoch hat das Theater Lübeck sich, bleibt es bei der großen Begeisterung, die die Premiere hervorrief, wieder von seiner besten Seite gezeigt.