Beim Begriff Valentinstag denken Bayern in erster Linie nicht an Sankt V., sondern an Karl Valentin, den geistreichen Münchner Querkopf – und eine in München spielende Opernhandlung über einen selbsterwählten Hofnarren aus dem Volk, der sich in eine Prinzessin verliebt hat, ist Offenbachs „Fantasio“, dessen Urfassung am Vorabend des Valentinstages in der Komischen Oper Berlin erstmals erklang.
Die Geschichte von Jacques Offenbach Oper, über den selbst der ihm übel gesonnene Richard Wagner meinte, er habe die Fähigkeiten besessen, ein zweiter Mozart zu werden (1. Mai 1882 an Mottl), ist immer noch nicht abgeschlossen. Sein Werkkatalog sorgt musikologisch immer wieder für Überraschungen und in den klingenden Ergebnissen für Verwunderung und Begeisterung.
Im Rahmen ihres derzeitigen Offenbach-Festivals (noch bis 17. Februar) produzierte die Komische Oper Berlin die Uraufführung der Originalfassung von Offenbachs Opéra comique aus dem Jahre 1869. Die Unterschiede zu den späteren drei Fassungen von „Fantasio“ sind keinesfalls marginal, aber um dies zu beurteilen, muss man die Stufen der Arbeit Offenbachs so gut kennen, wie einige der anwesenden Experten, darunter der Herausgeber der kritischen Ausgabe der Offenbach Edition Keck, Jan-Christopher Keck, oder der mit seinem breit angelegten Vortrag über diese Oper als „eine europäische Geschichte“ beinahe den Beginn der Aufführung tangierende Boris Kehrmann.
Immerhin beweist die teils lyrisch-romantische, teils schwärmerisch-draufgängerische, aber selbstredend auch dem Witz verpflichtete Partitur sogar in einer vorwiegend konzertanten Version die dramatische Zugkraft dieser Oper gegen die Kriegsbegeisterung des bevorstehenden 1870er-Krieges zwischen Frankreich und Deutschland. Nach einer akademisch konzipierten Ouvertüre in Sonatenhauptsatzform, in der auch kurz ein Thema aus der Antonia-Szene von „Hoffmanns Erzählungen“ anklingt (welches sich jedoch im weiteren Verlauf des Abends nicht einlöst), setzt mit Studentenchören, die ebenfalls an Offenbachs Hoffmann-Oper erinnern, die in München angesiedelte Handlung ein. In ihrem Verlauf verwendet der Komponist hinkende Narren-Rhythmen und das Horn, mit wenigen Einsätzen, als Klang der Sehnsucht. Am Ende steht ein Marsch des Narren, der mit seiner Argumentation den drohenden Kriegsausbruch verhindert hat. Die Zwänge, die Offenbach zu Veränderungen veranlassten, waren vielfältig, etwa die Kriegsbegeisterung in Frankreich und das kriegsbedingte Fernbleiben des für die Titelpartie vorgesehenen Tenors, was Offenbach dazu führte, die Rolle des freiwillig in ein Narrenkostüm schlüpfenden Studenten zunächst für Mezzo, dann für Sopran neu zu setzen.
Entgegen den Gepflogenheiten der Komischen Oper Berlin gibt es bei „Fantasio“ keine deutsche Übersetzung zum Mitlesen, und die Aufführung erfolgt, den neuen Richtlinien des Hausherrn Kosky folgend, in Originalsprache. Die Dialoge dieser Opéra comique entfallen, darüber hinaus aber leider auch einige der uraufzuführenden Nummern, wie die Couplets Fantasios im ersten, die des Prinzen im dritten Akt, weiter die Romanze der Prinzessin, ein Melodram, einige Chöre und Entr’actes.
Auf dem Plakat und dem lesenswerten Programmheft sitzt der Berliner Interpret der Titelpartie, Tansel Akzeybek, mit Narrenkappe im Foyertreppenhaus des Bode-Museums. Die Rolle des Narren auf der Bühne spielt hingegen Dominique Horwitz – vermutlich partiell unfreiwillig, durch sein Gewackel auf dem Stuhl beim Gesang der Solisten und durch falsche Einsätze als Conferencier in französisch-deutscher Deklamation. Ein leidenschaftliches Dirigat des alle Partien stumm mitsingenden Titus Engel reißt das Orchester der Komischen Oper Berlin, den von David Cavelius einstudierten Chor und die ausgezeichnete Solistenmannschaft zu Höchstleistungen hin. Neben der brillanten Tenorleistung von Akzeybek, virtuos in den Duetten und in dem hier erstmals tenoral zu hörenden „Ronde des Fous“, den köstlichen Parlando-Piani inmitten des kraftvoll wetteiferenden Duetts der kleidungstauschwilligen Magnaten, des Prinzen von Mantua (Dominik Köninger) und seines Adjutaten (Adrian Strooper), einem im Pianissimo ausgeführten a cappella Männerchor-Einsatz und einem vielgliedrigen Finale des Ensembles im zweiten Akt, sind es vor allem die Auftritte der Prinzessin, die großes Vergnügen bereiten. Adela Zaharia meistert die Partie der Elsbeth mit halsbrecherischen, sauber intonierten Koloraturen; und obendrein erinnert die ihre Partner auch an Körperlänge überragende Sopranistin physiognomisch und in ihrem hintergründigen Witz an Offenbachs legendäre Interpretin Hortense Schneider.
Aber war das jetzt tatsächlich die späte, veritable Uraufführung? Ja und nein, denn diese Partitur verlangt nach Szene und Vollständigkeit. Und das sonst auch bei konzertant angekündigten Aufführungen nicht um szenische Minimallösungen verlegene Opernhaus verzichtete diesmal, vielleicht wegen der zahlreichen Mikrofonstative, sogar auf die plakatierte Narrenkappe. Und wer nach dem Abräumen der Solistenpulte, zu Beginn der Applausordnung, noch auf ein nachgeschobenes szenisches Schmankerl hoffte, hatte das Nachsehen.
Das Publikum zeigte sich dennoch rundum begeistert, es geizte nicht mit Applaus und Bravorufen.
Aber zumindest die musikalische Erstbegegnung mit den an diesem Abend gestrichenen Nummern steht weiter aus, und damit ist sicherlich in absehbarer Zeit eine weitere „Fantasio“-Uraufführung zu erwarten.
- Weitere Aufführung: 16. 2. 2016