Die Komische Oper Berlin bejubelt ihre erste Ausgabe von „Schall&Rausch“ als „Festival für brandneues Musiktheater“. ‚Musiktheater‘ stimmt schon, wenn man das Dachwort für Szenisch-Musikalisches den Anlässen entsprechend erweitert. Für eines der avanciertesten Opernhäuser Deutschlands sind jetzt sind auch Dream-Pop-Konzerte ‚Musiktheater‘. Albertine Sarges machte am Samstagabend das Auditorium glücklich.
Man muss nicht gleich Alexander Strauchs Performance „Von Innen nach Außen“ für Bariton, E-Gitarre, Akkordeon und Diaprojektionen aus dem Jahr 1998 beschwören. Diese fand in einem Schaufenster im damals noch als schwul bezeichneten Münchner Glockenbachviertel statt – bei einem Straßenfest außerhalb queerer Schutzzonen bildete eine Collage aus schwulen Kontaktanzeigen das Textbuch. Taschenkontrolle wie am Einlass zum SchwuZ Queer Club im düsteren Neuköllner Rollberg-Viertel, wo man wegen wenig Licht und Plakatierung als Ortsunkundiger ziemlich lange nach den Locations von „Schall und Rausch“ suchen musste, gab es damals auch noch nicht.
Das Erstaunliche im Showroom des SchwuZ: Das zahlreich geströmte und im Vergleich zu den Vorstellungen der Komischen Oper im Stammhaus der Behrenstraße an Durchschnittsalter um gefühlt 20 Jahre jüngere Publikum war in niederschwelliger Harmonie zum Konzertgeschehen auf der Bühne – wie weiland das Publikum von Abonnement-Vorstellungen an Sonntagnachmittag, als die Operette noch spießig war und man dem Silbersee-Publikum noch Heile-Welt-Sucht unterstellte.
Die Hoffnung darauf, dass die von Albertine Sarges mit ihren Band-Akteur:innen Sebastian Eppner, Robert Kretzschmar, Lisa Baeyens aufgesagten Parfüm-Rezensionen aus den 1990er Jahren hätten Ironie, Kritik an der Elterngeneration und Zeitgeist-Persiflage sein können, erledigte sich alsbald. Eine Wellness-Wolke schwebte über den beseligt bis aufmunternd lächelnden Anwesenden. Keinerlei Stimmungsnebel aus Trockeneis trübte das Fluidum, dem die meisten SchwuZ-Stammgänger:innen fernblieben und lieber in den anderen Club-Räumen ihren gewohnten Samstagabend-Konventionen nachgingen. Mischungen der Party- und Opern-People gab's wohl erst zur Geisterstunde.
Immerhin ist Albertine Sarges eine Musicpoint-Protegée, kam also an das Privileg einer Förderung und Subventionierung ihrer für Streichelzoos und Kuscheln idealen Stimmungsmusiken. Das wurde enthusiasmiert goutiert. Nicht minder sanfte Applaus- und Trampel-Crescendi durchwogten nach den Songgruppen immer mehr anschwellend den Saal. Auf dem Podium blieb's allerdings beim Textaufsagen und freundlichen Melodiegesten. Dieser grundsympathischen Show waren in der Musik und in der Stimmung alle Kanten fremd. Es gibt jetzt offenbar auch das D-Wort (wegen „Dialektik“), das K-Wort (wegen „Kritik“) und das O-Wort (wegen „Opposition“). Insgesamt also sehr hübsch, zahmer Biss und vor allem kein Ton oder keine Silbe davon, dass die Geschmacksfrage „Davidoff Cool Water“ contra „Fahrenheit“ eine halbe Lebensanschauung bedeutete. Wie heute die Favorisierung von „Coke“ oder „fritz-kola“.
- „Schall&Rausch. Festival für brandneues Musiktheater“ - Komische Oper Berlin – 17. bis 26. Februar 2023