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Brigitte Fassbaender inszeniert den Beginn des „Ring“ bei den Festspielen Erl. Foto: Xiomara Bender
Brigitte Fassbaender inszeniert den Beginn des „Ring“ bei den Festspielen Erl. Foto: Xiomara Bender
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Vom Elend aller Ungleichheit II – Brigitte Fassbaender inszeniert den Beginn des „Ring“ bei den Festspielen Erl

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Irgendwie „Top of the Pops“ oder „Ein Festspiel nach dem Festspiel“: der viel zu sehr im Schatten von PR- und Marketing-Preisen stehende, von über 150 unabhängigen Kritikern verliehene „Preis der deutschen Schallplattenkritik“, genauer die „Nachtigall“, der jährlich verliehene Ehrenpreis für das Lebenswerk, ging nach zwei corona-verhinderten Terminen nun im Anschluss an ihre „Rheingold“-Premiere an Brigitte Fassbaender – erneuter Jubel – doch die Gefeierte wollte ihn nur im kleineren Kreis der Premierenfeier entgegennehmen!

Der Jubel für den Start des Erler „Ring“-Projekts ließ eine grundsätzliche Frage zur ganzen Welt-Parabel Wagners abermals untergehen: Was wäre, wenn die sexuell ja keineswegs frigiden Rheinnixen diesen durch Hässlichkeit bis zur Unansehnlichkeit unterprivilegierten Zwerg Alberich doch durch Liebe erlöst hätten? Liegt da nicht eine „Urschuld“ der durch „Schönheit“ Überlegenen, in Liebesspott und Liebesverweigerung? Muss dieser bis heute die Welt durchziehende Urkonflikt zwischen einem in vielerlei Hinsicht Zu-kurz-Gekommenen und den in Selbstverliebtheit und Natur-Reichtum Schwelgenden, letztlich dann zwischen Macht und Liebe so menschenverachtend, so letztlich „welt-ruinös“ aufbrechen?

Im Erler Passionsspielhaus ohne Schnürboden und große Seitenbühnen standen Ausstatter Kaspar Glarner, die als Fricka und Waltraute opernweltweit erfahrene, jetzt aber „Ring-Regie-Debütantin“ Brigitte Fassbaender und ein fast durchweg junges Ensemble aus lauter Rollendebütanten zunächst einmal für den Neuansatz nach allerlei Querelen um den früheren Festivalleiter.

Etwas mattgolden schimmerte das wie immer in Erl hinter einem Gazevorhang auf der Hinterbühne sitzende Orchester: Dirigent Eric Nielsen disponierte klug, ließ zusammen mit Fassbaender hohe Textverständlichkeit zu, spannte aber aus diesem Piano-Parlando dann den Bogen zu den finsteren Drohungen der Alberich-Welt oder zum pompösen Auftrumpfen der Wotan-Familie nicht extrem und fulminant und begeisternd genug. Von hörbar flatternden Blechbläser-Nerven über mehr dramatischen Biss ist noch „Musikdrama-Luft nach oben“.

Von Fassbaenders umfassender Metierkenntnis profitierten alle Solisten: ohne Souffleuse auf der bis an die Sitzreihen reichenden Spielfläche fand eine Mischung aus eitel-biestigem Konversationsstück, abgründiger Gewalt-Nonchalance und so korruptem wie intrigantem Machtkampf statt. Gut fließende Projektionen auf den seitlichen Halbrunden und dem Gazevorhang beschworen Rhein-Tiefe, wolkige Bergeshöhen und nasse Felsenunterwelt für Nibelheim – und zum Einzug nach Walhall leuchtete die gewaltige, saalüberspannende Holzkonstruktion des Passionshausdaches beeindruckend. Glarners Kostüme spannten den Bogen von den sexy Escort-Ladys an einer Rhein-Tafel mit Goldgeschirr, die sich aber ihre gestylten Perücken vom Kopf zogen und als kahlköpfige Cyber-Girls etwas von Zeitlosigkeit signalisierten; dagegen wirkte der gesamte Wotan-Clan groß-spät-bürgerlich; Wotan (Simon Bailey) vom Meditationssitz an mit etwas zu wenig machtgieriger Fallhöhe – trotz Speer-Sammlung im Umzugsgetürme; Gattin Fricka (Dshamilja Kaiser) etwas sehr hausfraulich – im scharfen Kontrast zur 1930er-Filmschönheit der kommenden Rivalin Erda (Judita Nagyova); dazu die Riesen auf Plateau-Sohlen im etwas schmuddeligen Gründerzeit-Bauherren-Look (Thomas Faulkner, Anthony Schneider), eine nett-liebliche Freia (Monika Buczkowska), ein Froh als hip-gestylter Künstler (Brian Moore) neben einem schwarzen Donner mit großen Hämmern (Manuel Walser).

Vokal: alle Festspiel-Niveau. Abermals „Zeitlosigkeit“ der „Ring“-Problematik in der ganz märchenverhafteten Zwergen-Erscheinung Mimes im Kontrast zu den zwei alle überragenden Hauptfiguren: Craig Colclough brachte gedrungenes Äußeres, lauernde Körperlichkeit, auftrumpfendes Gold-Kostüm-Geprotze, vor allem aber so viel vokale Biestigkeit, kantige Schärfe und dann finster-wuchtige Fluch-Gewalt mit, dass es ein Alberich-Abend geworden wäre – wäre da nicht mit dem stattlichen Ian Koziara ein völlig neuer Loge-Typ durch all dieses „Gelichter“ flaniert: im gelben Designer-Anzug, lässig mal mit dem Feuerzeug kleine Flammen, aus dem Boden aber dann Flammenwerfer-Stöße produzierend; dazu noch mit imposantem Tenor überwiegend lässig hingeworfene Bemerkungen - kein intrigantes Bürschchen, sondern eine Naturgewalt, die sich am Ende im Weltenbrand neben dem Wasser des Rheins zeitlos siegreich weiß. Allein diese Akzente ihrer Interpretation machen auf den Fortgang des „Fassbaender-Rings in Erl“ gespannt.

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