Die Meldung kommt nicht überraschend: Das fusionierte SWR-Orchester soll seinen Sitz ab 2016 in Stuttgart haben. Die Entscheidung fällt zwar erst am morgigen 7. Dezember in der SWR-Rundfunkratssitzung in Baden-Baden, die von Intendant Peter Boudgoust installierte Standortkommission hat sich aber in ihrem Abschlussbericht für die Baden-Württembergische Landeshauptstadt und damit gegen Freiburg und Baden-Baden ausgesprochen. Eine entsprechende Beschlussvorlage für die Rundfunkratssitzung schließt sich dem einstimmigen Votum der Kommission an.
In ihrem Abschlussbericht, der nmz Online ebenso vorliegt wie die Beschlussvorlage*, präferiert die Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Staatssekretärs im Baden-Württembergischen Kunstministerium, Michael Sieber, den Standort Stuttgart in sämtlichen Kriterien: „1) Infrastrukturen, 2) Abstecher/Reisen/Residencies/Anbindung, 3) Orchesterlandschaft, 4) Nachfragepotential, 5) Medienumfeld, 6) künstlerische Konsequenzen“.
Beim ersten Punkt „Infrastrukturen“ standen für die Kommission die Probenbedingungen im Mittelpunkt. Hier sah sich Freiburg mit seinem Konzerthaus stets im Vorteil, für die Kommission überwog aber die Tatsache, dass dort „keine SWR-eigenen Infrastrukturen im Konzerthaus oder in dessen unmittelbarer Umgebung“ zur Verfügung stehen. Da beim SWR-Funkstudio in Stuttgart ohnehin eine Sanierung anstünde, sei eine entsprechende „Ertüchtigung“ der Räumlichkeiten „in Kombination mit der erweiterten Nutzung der Liederhalle die beste Lösung.“
Für Punkt 2 wurde eine „simulierte Saisonplanung“ zum Ausgangspunkt genommen. Die bessere Verkehrsanbindung Stuttgarts ergab hier gegenüber Freiburg und Baden-Baden geringere geschätzte Reisekosten.
In Bezug auf das dritte Kriterium geht die Kommission davon aus, dass sich die Auswirkungen einer geringeren Anzahl von Profi-Musikern pro Einwohner „durch das Instrument der Residencies“ kompensieren lassen könne. Diesem Punkt wurde ebenso wie den Kriterien „Nachfrage“ und „Medienumfeld“ eine geringere Relevanz zugesprochen. Bei der Nachfrage geht die Kommission sowohl für Stuttgart wie für Freiburg von einer „Marktsättigung“ und für Baden-Baden von einem „Überangebot“ aus. Beim „Medienumfeld“ – für die fünf Fachleute wesentlich für „Wahrnehmung und Ansehen“ des künftigen Klangkörpers – sieht das Gremium Stuttgart in Sachen „überregionale Bedeutung und Vielfalt“ im Vorteil.
Die „künstlerischen Konsequenzen“ wurden von der Kommission vor allem daraufhin abgewogen, welche Kooperationen der künftige Standort ermöglichen könnte: mit SWR-eigenen Einrichtungen, anderen Kulturakteuren und Kunstgattungen. Hier und in Bezug auf die „Attraktivität“ des Standorts für Dirigenten, Solisten und künftige Orchestermusiker liegt, so der Abschlussbericht, wiederum Stuttgart vorne.
Die Beschlussvorlage des Intendanten für die morgige Rundfunkratsitzung schließt sich „nach eingehender Prüfung und Bewertung der Empfehlung der Standortkommission an“ und stellt als nächste konkrete Planungsschritte neben der Einsetzung eines künstlerischen Leiters u.a. Folgendes in Aussicht: „Die Erarbeitung eines künstlerischen Profils für das SWR Sinfonieorchester und die Suche nach einem Chefdirigenten, die Erarbeitung eines Zielstellenplans und die Klärung tariflicher Regelungen, die Weiterentwicklung von Konzepten, wie zum Beispiel dem Modell eines ‚Orchesters in Residenz‘, sowie die Vorbereitung von Personalentwicklungsmaßnahmen für das Zusammenwachsen der ‚Kulturen‘ beider Orchester.“
Die Vokabel „Hauptprobenstandort“, die Intendant Peter Boudgoust im Vorfeld benutzte, findet sich in der Beschlussvorlage übrigens nicht mehr. Sie hatte schon im Vorfeld ihren Zweck verfehlt, zur Beschwichtigung der Akteure aus Stuttgart und Freiburg beizutragen. Dass das Engagement und die Argumente der Letzteren am Ende nichts bewirkten, verstärkt ebenso wie die Zusammensetzung der Kommission** (u.a mit Christian Lorenz, dem Intendanten der Bachakademie Stuttgart) den Eindruck, dass es bei Boudgousts Fusionsplänen von vornherein vor allem auch um eines ging: ein Rundfunkorchester in Baden abzuwickeln. Dass sich ausgerechnet der Rundfunkrat morgen dagegen stellen könnte, ist nicht zu erwarten.
*Mittlerweile sind beide Dokumente auf den Seiten des SWR einsehbar.
** Der Standortkommission gehörten an:
- Michael Sieber, Staatssekretär a.D., Vorsitzender des Kuratoriums der Schwetzinger Festspiele, Mitglied des SWR Experimentalstudios für akustische Kunst, e.V., Vorsitzender
- Till Casper, Unternehmer, ehem. Präsident des baden-württembergischen IHK-Tages, Kunstsammler, Mitglied des Beirats der Kunststiftung Baden-Württemberg
- Christian Lorenz, Intendant Bachakademie Stuttgart
- Catherine Rückwardt, Dirigentin, bis 2011 Generalmusikdirektorin und Intendantin des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz
- Susanne Weber-Mosdorf, Ministerialdirektorin a.D., stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Kunststiftung Baden-Württemberg
Update 7.12.2012:
Stuttgart wird ab 2016 Sitz des zukünftigen SWR Sinfonieorchesters
Künstlerischer Leiter soll Fusion der beiden Orchester durchführen
Von Mirko Hertrich, dapd
Stuttgart. Stuttgart wird ab 2016 Sitz des zukünftigen SWR Sinfonieorchesters. Der Rundfunkrat des öffentlich-rechtlichen Senders stimmte am Freitag einer entsprechenden Entscheidung des Intendanten Peter Boudgoust zu, der einer Empfehlung einer externen Standortkommission gefolgt war, wie der SWR mitteilte. Die fünfköpfige Expertengruppe aus Personen des öffentlichen und kulturellen Lebens hatte sich den Angaben zufolge einstimmig für Stuttgart als Standort des neuen Orchesters ausgesprochen. Als Standort war auch Freiburg im Gespräch.
SWR-Intendant Boudgoust informierte die Gremien außerdem darüber, dass der SWR einen künstlerischen Leiter einsetzen werde, der mit der Vorbereitung und Durchführung der Fusion beauftragt wird. Er solle das neue Orchester auch in die Klangkörper und Festival-Landschaft des SWR integrieren. Der SWR-Rundfunkrat hatte Ende September beschlossen, das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart sowie das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg aus Kostengründen zusammenzulegen.
Für Konzertbesucher soll sich nichts ändern
Boudgoust versicherte: "Die Entscheidung für Stuttgart als zukünftigem Orchestersitz ist keine Entscheidung gegen Freiburg oder Baden-Baden. Es gibt auch keine Gewinner oder Verlierer von Landesteilen oder Städten." Kritiker hatten bemängelt, dass der Landesteil Baden mit einer Entscheidung für Stuttgart bei der Vergabe leer ausgeht.
Der Beschluss benenne Stuttgart als den zentralen Standort der Proben und den Sitz des Orchestermanagements ab 2016, sagte der Intendant. Die bisherigen Abonnement-Konzerte in Freiburg und Stuttgart würden genauso unverändert bleiben wie die Beteiligungen an den Festivals in Donaueschingen und Schwetzingen.
Orchesterfusion stößt weiter auf Widerstand
Darüber hinaus sei die Entscheidung für den Standort Stuttgart auf keinen Fall eine Vorentscheidung über das zukünftige künstlerische Profil des Orchesters, unterstrich Boudgoust. "Dieses muss die herausragenden Qualitäten beider Orchester aus Stuttgart und aus Freiburg berücksichtigen."
Die Orchesterzusammenlegung ist heftig umstritten. Er halte die Fusion für eine Katastrophe, sagte der Stuttgarter Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling der "Stuttgarter Zeitung" (Freitagausgabe). Bis jetzt hätten beide Orchester ein unverwechselbares Profil. "Schmeißt man beide zusammen, kommt ein gesichtsloses, normales Rundfunkorchester heraus, brauchen wir das wirklich?"
Das Budget der beiden Sinfonieorchester liegt dem SWR zufolge derzeit bei 20 Millionen Euro jährlich. Durch die Fusion ab 2016 sollen es fünf Millionen Euro weniger werden.
Freiburg kritisiert Entscheidung für Orchesterstandort
Stuttgart (dapd). Die Stadt Freiburg bedauert die Entscheidung des Südwestrundfunks (SWR) für Stuttgart als Standort des fusionierten Orchesters der Rundfunkanstalt. Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) sagte, der Weggang des Orchesters sei ein weiterer großer Verlust für die ganze Region, den Standort Freiburg und die kulturelle Ausstrahlung.
Der Oberbürgermeister der badischen Stadt monierte, dass der SWR der Stadt keine Möglichkeit eingeräumt habe, der externen Kommission die Argumente für Freiburg als Hauptprobenstandort direkt vorzutragen. Er kritisierte auch, dass dem fünfköpfigen Gremium kein Vertreter aus Südbaden angehört habe. Zunächst habe die Stadt von der Zusammensetzung der Kommission nicht einmal Kenntnis gehabt.
Nach Ansicht Salomons bleibt der Eindruck, dass die personelle Zusammensetzung der Kommission und die Beurteilung der Standortkriterien auf ein "gewolltes Ergebnis" ausgerichtet waren.