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Der Rosenkavalier: Samantha Hankey (Octavian), Christof Fischesser (Baron Ochs auf Lerchenau), Johannes Martin Kränzle (Herr Faninal), Ensemble der Bayerischen Staatsoper. Foto: © Wilfried Hösl.
Der Rosenkavalier: Samantha Hankey (Octavian), Christof Fischesser (Baron Ochs auf Lerchenau), Johannes Martin Kränzle (Herr Faninal), Ensemble der Bayerischen Staatsoper. Foto: © Wilfried Hösl.
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Wem die Stunde schlägt – Nach fast 50 Jahren ein neuer „Rosenkavalier“ an der Bayerischen Staatsoper

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Nostalgie wird aufleben. Denn süddeutsche und Münchner „Rosenkavalier“-Liebhaber haben es sich seit 1972 bequem gemacht: Carlos Kleiber hat dirigiert; Otto Schenk kennt sich wie wenige in Stil und Etikette des 18.Jahrhunderts aus und konnte mit Sängern umgehen; Jürgen Rose zauberte ein Imitat der Amalienburg auf die Bühne – süffiger Opern-Champagner… schon auch ausgeperlt… jetzt also: alles neu.

„Phantastischen Realismus“ hat Regisseur Barrie Kosky mit seinem Bühnenteam als Stilebene gewählt. Er hat den Satz der Marschallin „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“ durchgängig sichtbar gemacht. Er meint, dass der 1. Aufzug der Marschallin gehört, der 2. der Braut Sophie und der 3. dann dem Rosenkavalier Oktavian. Im dunklen Bühnenraum wird als Erstes das Zifferblatt einer großen Standuhr sichtbar; die Zeiger kreisen schnell und wirr; für das Erwachen aus der Liebesnacht von Marschallin und Oktavian bleiben sie auf 05.20 Uhr stehen – und aus dem großen Pendelkasten kommen in tändelndem Liebesnachspiel die beiden heraus, jagen sich in reizvoller Unterwäsche durch den Raum - Bühnenbildner Rufus Didwiszus lässt im dunkel-silbernen Saal Säulen und Wandteile, dann auch große Pflanztöpfe durch gesichtslos schwarze Dienst-Geister auf- und abfahren – alles ist im Fluss. Glänzende Personenregie und fesselnd mitzuerlebende Emotionen in den Gesichtern – Vorteil der Nahaufnahmen.

Dann hat sich Regisseur Kosky um den grassierenden Gender-Wahnsinn raffiniert herummanövriert: statt des kleinen „Mohren Mohammed“ kommt ein abgemagerter, bis auf ein Höschen nackter, bebrillter Greis, mit altgrauen Federflügelchen auf dem Rücken, mal die Papageno-Flöte imitierend, mal die Rose tragend, mal als Kutscher, am Ende auf der Uhr hockend, ihre Zeiger abbrechend und vielleicht amüsiert oder mahnend oder drohend hochhaltend – durch alle drei Aufzüge wie ein Menetekel des „Alles, was ist, endet“, doch auch mit einer Aura von wohlwollend amüsierter Distanz zu aller Turbulenz. Hübsch, aber auch unklar als eigenwillig gewähltes „Symbol“.

Der 2. Aufzug wird durch einen schrillen Wecker eingeläutet: 08.00 Uhr, Sophies Hand stoppt ihn durch den Vorhang. Faninals Stadtpalais ist eine neureich die Wände vollkommen bedeckende Gemäldegalerie mit „alten Meistern“ – in dem nur auch Sophies Bett steht. Zum weiß-silbern prunkenden, visuellen Höhepunkt wird die Einfahrt einer großen Glitzer-Kutsche mit pantomimischem Pferde-Gespann samt dem erwähnten Kutscher-Greis – Nachbau eines Prunkgefährts des „Märchenkönigs Ludwig II.“ – bayerisches Herz, was willst du mehr? Nur dass Oktavian da aus einem der eng wirkenden Fenster seine Rosenübergabe heraussingt, wirkt „behindert“ – so „surreal“ das zahlreiche Herausquellen der Bediensteten eben wieder den „phantastischen Realismus“ beschwört. Folglich toben die Lerchenauischen Rüpel als Faune und Bacchantinnen durch den Raum, sticht sich Baron Ochs nur seine Fingerspitze an Oktavians Degen blutig, treten die Intriganten Valzacchi und Annina mit Teufelshörnchen auf – und versinkt der Ochs angetrunken in Sophies Bett durch die Matratze ins Bodenlose…

Dramaturgisch zu kompliziert „multiperspektivisch“ ist die Bühne für das zwielichtige Weinlokal des Finalakts. Natürlich inszeniert Oktavian mit dem Intrigantenpaar in dem „Beisl“ ein Verwirr- und Entlarvungsspektakel. Doch aus dem Zuschauerraum fällt unser Blick über das Orchester hinweg in ein zunächst leeres Vorstadttheater, dessen Bühne auf der realen Bühne liegt. Zunächst wird ein turbulentes, nicht immer überzeugendes Auf und Ab der Komparsen vorgeführt. Dann geht der Vorhang vor dem hinteren Theaterchen zu. Gelungen wirkt, dass sich keine geisterhaften Fenster oder Luken auftun, sondern alle Komparsen im gleichen „Look“ wie Ochs kurz auf- und abtreten – er sich also „x-fach“ am Tisch, an der Wand oder im Raum zu sehen glaubt und davon wirr wird.

Höhepunkt seines Entsetzens ist, dass der Vorhang sich öffnet und ein mit Chor (Einstudierung Stellario Fagone) und Puppen vollbesetztes Theater zeigt. Der zur Vernehmung des Ochs erneut geschlossene Vorhang öffnet sich dann wieder – und die Marschallin sitzt allein im hinteren Parkett, ihre fulminante Auftrittsmusik verschenkt… Der ganze Problemraum versinkt zum weltenthobenen Terzett im Dunkel. Am Ende fährt die Standuhr des Beginns hoch; oben thront der Amor-Greis und die Marschallin verschwindet im Pendelkasten – alles nur eine „Wienerische Maskerad“ und weiter nichts?

Ob die vielen Einzelzüge der Inszenierung sich von der „vollen“ Musik zu einem Ganzen fügen, bleibt abzuwarten. Jetzt dirigierte der kommende GMD Vladimir Jurowski pandemie-bedingt die auf rund 40 Musiker komprimierte Partitur-Fassung von Eberhard Kloke. In der Aussteuerung der Stream-übertragung klang das Orchester mehrmals zurückgenommen zugunsten der Stimmen. Als Einzelreiz blieb hängen, dass Kloke die Sätze der Marschallin zur „Zeit“ durch das Solo-Klavier explizit hervorgehoben hat. Dass Jurowski ein „Debüt“-Ensemble leitete, schien die Expressivität eher verstärkt zu haben: von einem rollengerechten Nebenfiguren-ensemble umgeben Johannes Martin Kränzle in seinem 50.Bühnenjahr als Faninal - eine Luxusbesetzung; Christof Fischessers Ochs glänzte vokal und mit bester Textverständlichkeit; Katharina Konradi sang ihre erste Sophie sehr gut, wirkte aber zu fraulich-reif; Samantha Hanker trat als neues Münchner Ensemblemitglied in die Fußstapfen einer Hertha Töpper und Brigitte Fassbaender – und bestand vokal und in der Bühnenpräsenz. Die Münchner Rollenvorgängerinnen der Marschallin könnten erdrückend wirken – doch Marlis Petersen trat nicht in der Kategorie „üppigster Luxussopran für Strauss“ an (und kam im Terzett kurz an Grenzen); sie sang eine selbstbewusst wissende Frau, die gibt, auch mal leidet, aber im Bewusstsein unser aller zeitlicher Begrenztheit bewusst auch nimmt – Barrie Kosky hat für sie das beeindruckendste Bild der Aufführung gefunden: am Ende des 1. Aufzugs steigt sie in einem Traumkleid (Kostüme: Victoria Behr) in den Uhrenkasten, setzt sich leger auf das leicht schwingende Pendel und nimmt den Lauf der Zeit entspannt hin. Eine schöne Botschaft an uns alle…

  • Der Mitschnitt ist ab heute 19 Uhr als kostenloses Video-on-Demand auf STAATSOPER.TV abrufbar.

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